Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ortstermin: Gemeinschaft der Außerirdischen
> Die Glamrock-Band Kiss zeigt in Hamburg, dass ihr Konzept unabhängig vom
> Zeitgeist funktioniert
Bild: Karnevalisten am Werk: Der Auftritt von Kiss in Hamburg
Gene Simmons ist perfekt geschminkt, dem Dialekt nach Schwabe und ein
stiller Genießer. Seine viel zu langen Beine mit den Plateauschuhen hat er
in eine der vorderen Sitzreihen der Hamburger O2-Arena gezwängt und während
alle um ihn herum immer wieder aufspringen und die ausgestrecktE Faust in
Richtung Bühne strecken, bleibt er sitzen und singt leise mit.
Aus der Lederjacke des Gene Simmons aus Schwaben ragen silberne
Latex-Stacheln, die noch länger sind als die von dem Gene Simmons auf der
Bühne. Für den Gene aus Schwaben ist es das siebte Kiss-Konzert und er wird
danach sagen, dass es das Beste bisher war. Der Gene auf der Bühne hat rund
2.000 Kiss-Konzerte hinter sich und wenn er danach etwas sagt, dann nur zu
Fans, die 1.000 Euro für ein VIP-Ticket gezahlt haben.
Der aktuelle Zuspruch für Kiss ist enorm, obwohl es diese Band seit 1973
gibt und die beiden verbliebenen Gründungsmitglieder Gene Simmons und Paul
Stanley mit 60 und 58 Jahren die Väter und Großväter mancher Fans sein
könnten. Momentan ist die Band auf Europatour und hat sich im Gegensatz zu
manchen Altersgenossen keine kleine Clubtour organisiert. Die Band spielt
in den größten Hallen und betreibt riesigen Aufwand. Weil sie erkannt hat,
dass Kiss ein Konzept ist, das unabhängig vom Zeitgeist funktioniert.
Bei Kiss geht es schon immer weniger um die Musik, als um die Show. In
Zeiten, in denen die Musikbranche mehr auf das Live-Erlebnis setzt als auf
CD-Verkäufe, hat die Band einen Erfahrungsvorsprung. Und den nutzt sie
exzessiv: Feuerwerkskörper explodieren, Böller erschüttern die Halle im
Takt, Hebebühnen fahren die Musiker nach oben, eine Seilbahn lässt Gene
Simmons durch die Arena schweben. Feuer und Blut werden gespuckt und der
Graben zwischen Fans und Bühne ist schmal. Alles ist dramaturgisch
durchdacht bis zum Finale mit dem größten Hit "I was made für loving you".
Der große Knall am Schluss ist so eindrucksvoll, dass niemand mehr eine
Zugabe fordert.
Der Theaterdonner alleine bliebe unverbindlich, wären da nicht als Urheber
diese vier Figuren auf der Bühne, die auf unterschiedliche Art und Weise
Charme entwickeln. Gene Simmons zum Beispiel: Mit seinen blinkenden
Mega-Plateauschuhen, seinem schwarzen, stacheligen Lederpanzer und dem
altersgemäßen Übergewicht stakst er wie ein Urzeit-Käfer über die Bühne.
Oder Paul Stanley: Mal zeigt er die behaarte Brust in Macho-Pose, dann den
Popo wie eine Drag-Queen auf dem Laufsteg. Die Musiker haben die richtige
Dosis Selbstironie in ihre Show eingebaut: Sie erwarten keine Huldigung.
Sie wollen den Jubel der knapp 10.000 Zuschauer als einen Sieg über die
Ernsthaftigkeit. Kiss ist Karneval auf amerikanisch.
Dementsprechend wichtig sind die Masken: Auf der Bühne stehen dadurch keine
alten Männer, sondern coole Musiker-Aliens. Die Fans können mitmachen. Das
Motto heißt: Gemeinschaft der Außerirdischen. Für Menschen von sieben bis
77.
2 Jun 2010
## AUTOREN
Klaus Irler
Klaus Irler
## TAGS
Los Angeles
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neues Album von Melvins-Gitarrist Buzzo: Musik ohne Strom
Besonders durch den Ausnahmezustand: „Gift of Sacrifice“ ist ein
akustisches antiautoritäres Pädagogikalbum von Melvins-Gitarrist Buzz
Osborne.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.