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# taz.de -- Debatte Gaza-Streifen: Israels Vietnam
> Die Besatzungspolitik beschädigt Israel und nützt der Hamas. Die
> Regierung Netanjahu hat im Umgang mit den Palästinensern jede Distanz und
> jeden Überblick verloren.
Bild: Ausgrenzung mit Mauern und Zäunen: Die Besatzung des Gaza-Streifens entw…
Ein Krieg erzählt der Bevölkerung die Wahrheit über sie. Deshalb ist es so
schwierig zuzuhören. Wir sind fest entschlossen, einen ehrlichen Blick auf
den ersten Gazakrieg zu vermeiden. Und nun haben wir im internationalen
Gewässern das Feuer auf eine internationale Gruppe von humanitären Helfern
und Aktivisten eröffnet. Wir kämpfen und wir haben den zweiten Gazakrieg
schon verloren. Für Israel wird dieser Feldzug gegen Gaza ungleich teurer
und schmerzhafter werden als der erste.
Als sie den ersten Krieg gegen Gaza 2008 begannen, hofften die israelischen
Militärs und Politiker, der Hamas eine Lektion zu erteilen. Das ist ihnen
gelungen. Die Hamas hat gelernt, dass der beste Weg, Israel zu bekämpfen,
bedeutet, Israel das tun zu lassen, was dem Land zu einer Art zweiten Natur
geworden ist: zu toben, ins Fettnäpfchen zu treten, Mauern zu bauen, es mal
richtig krachen zu lassen.
Die Hamas, ebenso wie der Iran und die Hisbollah, haben schnell begriffen,
dass Israels Embargo gegen den von der Hamas regierten Gazastreifen die
avancierteste und mächtigste Waffe ist, mit der man den jüdischen Staat
zerstören kann. In Israel hingegen müssen wir unsere Lektion noch lernen.
Und die lautet: Wir verteidigen nicht mehr Israel. Inzwischen verteidigen
wir die Besatzung, und die wird Israels Vietnam werden.
Natürlich haben wir gewusst, dass so etwas passieren könnte. Am vergangenen
Sonntag, als der Armeesprecher damit begann, die Hilfsflotte für Gaza als
Angriff auf Israel zu bezeichnen, sprach Knessetmitglied Nachman Shai, der
übrigens oberster Armeesprecher während des Golfkriegs 1991 war, öffentlich
von seinem schlimmsten Albtraum. In diesem enterten israelische Truppen
einen Hilfskonvoi und eröffneten das Feuer auf Friedensaktivisten,
humanitäre Helfer und Nobelpreisträger.
Miri Regev vom Likudblock, die früher dem Presseamt der israelischen
Streitkräfte (IDF) vorstand, sagte am Montagmorgen, dass es nun das
Wichtigste sei, sich um die negative Presse zu kümmern, die müsse dringend
aus der Welt geschafft werden. Doch sie wird nicht einfach verschwinden.
Eines der Schiffe trägt den Namen "Rachel Corrie". Als die junge Frau sich
vor sieben Jahren einem israelischen Bulldozer in den Weg stellte, wurde
sie von diesem überrollt. Ihr Name und ihr Schicksal sind seitdem ein
leuchtendes Symbol für die propalästinensische Bewegung.
Türkei den Krieg erklärt
Auf ominöse Weise zerstören wir schrittweise, wie in einem lemmingartigen
Marsch der Dummheit, unsere Beziehungen zu Ankara. Also zu einer
Regionalmacht von zentraler Bedeutung, die uns dabei hätte helfen können,
nach dem ersten Gazakrieg einen neuen Weg einzuschlagen - wenn wir sie
beachtet hätten. Stattdessen sind wir jetzt gefährlich nahe dran, der
Türkei de facto den Krieg zu erklären. "Dieser Zwischenfall wird uns noch
lange beschäftigen, zumal was die Türkei betrifft", sagte auch das
Knessetmitglied Benjamin Ben Eliezer, der Minister, der bekanntlich eine
außerordentliche Sensibilität für Israels Bindungen an die muslimische Welt
an den Tag legt. (Eliezer plädiert regelmäßig für ein rücksichtsloses
Vorgehen gegen die Palästinenser, Anm. d. Red.)
Wir erklären immer wieder, dass wir keinen Krieg gegen die Menschen in Gaza
führen. Wir sagen es immer wieder, denn wir wollen es uns so gerne glauben.
Es gab eine Zeit, in der wir zu Recht behaupten konnten: Wir wissen, was
wir tun in Kriegszeiten. Das ist vorbei. Jetzt wissen wir gar nichts. Das
ist auch ein Grund dafür, warum wir vor Gesprächen mit der Hamas und dem
Iran zurückschrecken: Beide kennen uns so viel besser als wir selbst. Sie
wissen, dass wir unfähig sind, uns klar zu sehen, und uns daher nicht mehr
zu bremsen vermögen. Die Hamas, genauso wie der Iran, profitieren von der
vergifteten israelischen Innenpolitik, die allzu leichtfertig die Zukunft
belastet, um kurzfristig für scheinbare Ruhe zu sorgen. Sie wissen, dass
wir verzweifelt unser Selbstbild zu erhalten versuchen und daher an der
Politik festhalten werden, die ihnen, unseren Feinden, buchstäblich in die
Hände arbeitet. Insbesondere die Hamas konnte sich dank der israelischen
Besatzung von Gaza bereichern, Stichwort Tunnelsteuer. Der Ärger über
Israel hat sie fest in Gaza verwurzelt.
Netanjahus Prüfung
Auch viele rechte Israelis haben ihre stille Freude angesichts der Scheiße,
die uns gerade um die Ohren fliegt. "Wir haben es euch gesagt", frohlocken
sie. "Die Welt hasst uns, egal was wir tun. Also können wir auch weiter
siedeln (im Klartext: das Westjordanland und Ostjerusalem besetzen) und
unsere Grenzen verteidigen (also der Hamas den Rücken stärken und uns
ultimativ beschädigen, in dem wir die Gaza-Blockade nicht aufheben)."
Die Hamas, der Iran, die Israelis und der harte Kern der Diaspora wissen,
das Benjamin Netanjahu vor einer enorm wichtigen Prüfung steht. Getrieben
von dem Wunsch, die Aufmerksamkeit der Welt auf den Iran und dessen
Bedrohungspotenzial für die israelische Bevölkerung zu lenken, muss
Netanjahu erkennen, dass die Welt nun auf Israel blickt und sein
Bedrohungspotenzial für die Menschen in Gaza.
3 Jun 2010
## AUTOREN
Bradley Burston
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