# taz.de -- Social Network für Indianer: "Wir waren zuerst da!" | |
> Chief-Konferenz per Video-Chat und Internet School: Kanadas Indigene | |
> haben sich mit MyKnet.org ein Stück verlorenen Raumes zurück erobert. | |
Bild: Jedes Indiviuum ist Teil einer Familie und Gemeinschaft: Indigene Jungs i… | |
50.000 Mitglieder eines Sozialen Netzwerkes auf 50.000 Einwohner - von | |
solchen Zahlen kann Facebook nur träumen. Im Nordwesten Ontarios, wo sich | |
rund 50.000 Indigene bei MyKnet.org vernetzen, sind sie Realität. | |
"MyKnet ist eine soziale Online-Umgebung von Indianern für Indianer", | |
erklärt Philipp Budka vom Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der | |
Universität Wien. Seit ein paar Jahren forscht er über das Internetportal | |
und dessen Provider Knet. | |
Das Herzstück ist MyKnet.org, eine Ansammlung von Homepages, über die | |
Angehörige der First Nations, wie sie sich selbst bezeichnen, miteinander | |
kommunizieren. | |
Wie die meisten Aboriginals werden auch die First Nations stark | |
benachteiligt. Ihre Siedlungen und Reservate sind häufig weit voneinander | |
entfernt, Straßen gibt es kaum. Nur im Winter, wenn Flüsse und Seen | |
zugefroren sind, brausen Trucks über diese "winter roads". Im Sommer können | |
die Distanzen nur per Flugzeug bewältigt werden. Die fehlende Perspektiven | |
in der Isolationbringt Probleme mit sich. Depressionen, Alkoholismus, | |
Arbeitslosigkeit und eine hohe Selbstmordrate sindAlltag. | |
"Grund dafür ist die Unterdrückung der First Nations und die Missachtung | |
ihrer Kultur durch die Mehrheitsgesellschaft", erklärt Philipp Budka. Um | |
das Web 2.0 dafür zu nutzen, die eigene Kultur zu fördern, hatte das Tribal | |
Council, ein Zusammenschluss der politischen Führer der Indigenen, die | |
Organisation Knet 1994 gegründet. Im Jahr 2000 folgte das soziale Netzwerk | |
MyKnet.org. | |
Der Name Knet kommt vom indianischen Wort "Kuhkehna", auf deutsch: "jeder | |
und überall". Das Besondere an MyKnet sind aber nicht nur seine | |
Nutzerzahlen: "Für die Menschen ist das Netzwerk identitätsstiftend. In den | |
kanadischen Medien sind die First nations völlig unterrepräsentiert. Knet | |
ist eine Art Zurückfordern eines Raumes, in dem Fall, eines virtuellen. Mit | |
ihrem eigenen Netzwerk sagen sie: wir waren zuerst da, das gehört nur | |
uns!", erklärt Budka. | |
Tatsächlich ist die äußerst schlicht gehaltene Webpage Eigentum der | |
politischen Führer der Indigenen. Werbung gibt es keine, doch die Menschen | |
erringen immer wieder Projektfinanzierungen für MyKnet und die anderen | |
Dienste. "Das zeigt, dass die Indigenen selber in der Lage sind, sich mit | |
komplexen administrativen und ökonomischen Dingen auseinander zu setzen, | |
sich selbst zu helfen", so Budka. | |
Als Internet Provider, Organisation und Netzwerk bietet Knet noch weitere | |
Dienste: Politische Besprechungen der "Chiefs" können per Videokonferenz | |
stattfinden. Auch für medizinische Zwecke wird es genutzt: Krankenhäuser | |
gibt es nur im Süden. Um nicht wegen jeder Verletzung ins Flugzeug steigen | |
zu müssen, werden mit speziellen Tools Röntgenaufnahmen dorthingeschickt. | |
Ärzte können werden per Videochat konsultiert werden. Daneben gibt es | |
Bildungsangebote für Jugendliche, die sich eine weiterführende Schule nicht | |
leisten können. Sie lernen über E-Learning an der "Internet High-School". | |
Aber es findet auch Missbrauch statt. Ähnlich wie bei Facebook gibt es eine | |
Pinnwand-Option auf den Homepages, die "C-Box". Unerkannt und anonym | |
beschimpfen, bedrohen und belästigen sich manche User gegenseitig. Vor | |
allem Jüngere klagen über die "verdammte Langeweile" und lassen ihrem Frust | |
freien Lauf. "Letztlich ist dies aber nur der Spiegel einer Gesellschaft, | |
in der Gewalt ein relativ alltägliches Phänomen ist", so Budka. Und das | |
gelte nicht nur für die indigene Gesellschaft. | |
Die meisten Nutzer von MyKnet.org wollen sich aber vor allem selbst | |
darstellen, "auf persönlicher Ebene innerhalb der gesellschaftlichen | |
Struktur", erklärt Budka. "Man ist zwar ein Individuum und hat seine | |
Vorlieben und Ansichten, ist aber immer Teil einer Familie und | |
Gemeinschaft, und eben Teil der kanadischen First Nations." | |
8 Jun 2010 | |
## AUTOREN | |
Sunny Riedel | |
## TAGS | |
Reiseland Kanada | |
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