# taz.de -- Nach den Parlamentswahlen in Belgien: Der grobe Dicke siegt | |
> Die flämischen Nationalisten triumphieren bei der Parlamentswahl. Flamen | |
> und Wallonen bilden zwar einen Nationalstaat - doch es gibt kaum | |
> Gemeinsames. Droht jetzt die Spaltung? | |
Bild: Breit, hemdsärmelig und grob: Bart de Wever von der N-VA. | |
BRÜSSEL taz | Die Parlamentswahl in Belgien am Sonntag hat die Entfremdung | |
zwischen dem reichen Flandern und der von flämischen Transferzahlungen | |
abhängigen Wallonie weiter verstärkt. Zwar büßte der ausländerfeindliche, | |
die sofortige Unabhängigkeit Flanderns fordernde Vlaams Belang 5 | |
Parlamentssitze ein, doch dafür errang die für eine allmähliche Loslösung | |
Flanderns eintretende Neue Flämische Allianz (N-VA) aus dem Stand 27 Sitze. | |
Bei den Wahlen 2007 hatte sie auf einer gemeinsamen Liste mit den | |
flämischen Christdemokraten (CD&V) 30 Sitze erhalten. | |
Die CD&V des seit drei Jahren vergeblich einen Ausweg aus der Dauerkrise | |
suchenden, noch amtierenden flämischen Ministerpräsidenten Yves Leterme ist | |
der eigentliche Verlierer dieser Wahl. Seine Partei bekam nur noch 17 Sitze | |
und wird drittstärkste Kraft im neuen belgischen Parlament. Platz zwei | |
eroberten die wallonischen Sozialisten. Da der flämische Wahlsieger Bart de | |
Wever den belgischen Staat mittelfristig abschaffen will, bekundet er | |
keinen großen Ehrgeiz, belgischer Ministerpräsident zu werden. Damit könnte | |
diese Rolle an den Parteichef der französischsprachigen Sozialisten fallen. | |
Elio di Rupo wäre der erste wallonische Regierungschef des Landes nach fast | |
40 Jahren. | |
In Belgien gibt es keine nationalen Wahllisten. Die flämischen | |
Christdemokraten treten nur in Flandern an, die wallonischen Konservativen | |
nur in der Wallonie - auch Grüne, Liberale und Faschisten haben in beiden | |
Landesteilen eigene Parteien. Hinzu kommen exotische Splittergruppen wie | |
die Liste Dedecker in Flandern oder die Parti Populaire in der Wallonie. | |
Zwölf Parteien gelang der Einzug ins neue Föderalparlament. Die | |
Regierungsbildung wird sich mindestens bis in den Herbst ziehen. Bei der | |
Nationalwahl 2007 dauerte es 300 Tage, bis sich eine Koalition aus Parteien | |
beider Landesteile zusammengerauft hatte. | |
Die Verfassungsreformen der vergangenen Jahrzehnte höhlten den | |
Nationalstaat stetig weiter aus und gaben den Regionen immer | |
weiterreichende Kompetenzen. Inzwischen machen Flamen und Wallonen sogar | |
weitgehend ihre eigene Außenpolitik; in der Landwirtschaft, bei | |
Strukturförderung, Verkehrspolitik oder Energiewirtschaft gehen sie schon | |
lange getrennte Wege. Die Förderung erneuerbarer Energien zum Beispiel | |
läuft in der Wallonie nach einem völlig anderen System als in Flandern. In | |
diesem Bereich fällt es Flandern leichter, mit Dänemark oder den | |
Niederlanden zu kooperieren als mit dem eigenen Süden. | |
Angesichts der Entfremdung zwischen Flamen und Wallonen wird der Zerfall | |
Belgiens seit Jahren vorausgesagt. Die Trennung wird von flämischer Seite | |
gewünscht, wie das jüngste Wahlergebnis zeigt. Allerdings haben auch die | |
Flamen keine Antwort auf die Frage, was mit dem König aller Belgier, der | |
30.000 Mann starken Armee und der gemischtsprachigen Region Brüssel | |
passieren soll. Der Wahlkreis Brüssel-Halle-Vilvoorde ist der einzige, in | |
dem flämische und wallonische Parteien nebeneinander antreten. Das | |
belgische Verfassungsgericht hat 2003 entschieden, dass ein gemischter | |
Wahlkreis der Föderalverfassung widerspricht. Doch die Wallonen widersetzen | |
sich jedem Versuch, den Wahlkreis neu zuzuschneiden. Sie fürchten die | |
Spaltung Belgiens vor allem aus finanziellen Gründen. Wenn sich die Flamen | |
aus der gemeinsamen Sozialversicherung zurückziehen würden und eigene | |
Steuern erheben könnten, wären die Wallonie und auch Brüssel bankrott. | |
Wie gegensätzlich die Volksgruppen sind, zeigt ein Blick auf ihre | |
Wahlsieger: Der niederländisch sprechende Bart de Wever, der seine für die | |
Unabhängigkeit Flanderns eintretende N-VA zur stärksten Partei Belgiens | |
machte, ist ein breit gebauter, hemdsärmeliger Mann, der grobe Scherze und | |
drastische Vergleiche liebt. Er will die Monarchie abschaffen und die | |
Region Brüssel auflösen. | |
Der Sozialist Di Rupo, sein Gegenspieler bei den französischsprachigen | |
Wallonen, ist ein zierlicher Mann mit leicht tänzelnden Bewegungen und | |
blumiger Sprache, der zu seinen dunklen Anzügen stets makellos sitzende | |
Fliegen trägt. Der 58-jährige Sohn italienischer Einwanderer befürwortet | |
die Monarchie, will Brüssel als Region erhalten und den belgischen | |
Nationalstaat retten. Wenn ihm das nicht gelingt, könnte Nachbar Frankreich | |
zu Hilfe eilen. Zwei Drittel der Franzosen befürworten einen Beitritt der | |
Wallonie. Umgekehrt ist die Liebe nicht so groß - die überwältigende | |
Mehrheit der Wallonen will lieber Belgier bleiben. | |
15 Jun 2010 | |
## AUTOREN | |
Daniela Weingärtner | |
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