# taz.de -- Literarisches Colloquium: "Da musst du die Luft rauslassen" | |
> Für zwei Tage trafen sich arrivierte und junge Schriftsteller beim | |
> Literarischen Colloquium. Sprechen über Literatur: tiefergehängt, | |
> pragmatisch, am Handwerk orientiert. | |
Bild: Ufermauer am Wannsee, mit Reiher. | |
Alle Literaturhäuser sollten so etwas machen. Ein bis zwei Dutzend | |
Autorinnen und Autoren für zwei Tage einladen, Mittagessen bereitstellen, | |
abendliches Grillen organisieren, alle haben 20 Minuten Zeit, einen Text | |
vorzulesen, danach wird jeweils 20 Minuten diskutiert, ein paar | |
Medienvertreter dürfen Mäuschen spielen, fertig. Solche Werkstattgespräche | |
sind nicht sehr teuer und eine gute Sache. | |
Im Literarischen Colloquium Berlin gibt es so etwas. Die Veranstaltung | |
nennt sich aus historischen Gründen "Tunnel über der Spree" (es gab im 19. | |
Jahrhundert eine prägende literarische Gesellschaft in Berlin, die so hieß) | |
und fand dieses Jahr am Montag und Dienstag dieser Woche statt. Alte Hasen | |
waren dabei und Autorinnen und Autoren, die gerade mehr oder weniger weit | |
auf dem Weg sind, sich einen Namen zu machen. Außerdem lasen Burkhard | |
Spinnen, Katja Lange-Müller, Judith Schalansky und David Wagner selbst | |
keine eigenen Texte vor, saßen aber im großen Saal des LCB mit am langen | |
Tisch und beteiligten sich an den Diskussionen. | |
Es war gelegentlich seltsam, ihnen allen beim Suchen und Finden eines | |
angemessenen Sprechens über Literatur zuzuhören; gerade in diesen Tagen. | |
Irgendwo da draußen tobten Koalitionskrise und Zeitungsalltag und röhrten | |
die Vuvuzelas, hier drinnen, mit Blick auf den Wannsee, herrschten | |
Gruppendynamik und Textinnerlichkeit. Aber interessant war es allemal. | |
Was man als Beobachter mit nach Hause nehmen konnte: zum Beispiel die im | |
Grunde banale, aber auch lustige Erkenntnis, dass man als junger Autor | |
keine seiner Figuren aus Hildesheim kommen lassen darf. Weil alle Leser | |
denken würden, das sei eine Anspielung auf den dortigen | |
Literaturstudiengang von Hanns-Josef Ortheil. In einem der Texte kam so | |
eine Hildesheim-Verortung vor, und alle Diskutanten am Tisch bestätigten | |
sich, dass sie sofort an den Studiengang gedacht hatten. | |
Außerdem konnte man sich als Beobachter ins Notizbuch schreiben, dass die | |
selbst geschriebenen Mythen der Gruppe 47 inzwischen sehr weit in die | |
Vergangenheit gerückt sind. F. C. Delius las einen Abschnitt aus der | |
längeren Gruppe-47-tagt-in-Princeton-Erzählung vor, an der er gerade | |
schreibt, und fragte besorgt in die Runde, ob das nicht zu sehr nach "Jetzt | |
erzählt der Alte mal aus seinem Nähkästchen" klinge. Doch gerade die | |
jüngeren Teilnehmer fanden das gar nicht. Sie fanden im Gegenteil, dass er | |
noch viel ausführlicher und unmittelbarer aus dem Nähkästchen plaudern | |
könnte. Auch die legendärsten Momente der Gruppe 47 sind längst exotisch | |
geworden. | |
Die Frage ist ja schon länger, was an ihre Stelle treten könnte. Beim | |
"Tunnel" wurde man Zeuge eines sympathetischen Sprechens über Literatur, | |
aus dem man sich durchaus Anregungen für das öffentliche Sprechen über | |
Bücher mitnehmen konnte. Vor Jahren soll es bei dieser Veranstaltung noch | |
hoch hergegangen sein. Nach 68 wurde politisiert, klar. In den frühen | |
Neunzigern war auch Sascha Anderson mal dabei gewesen, und Ost- und | |
Westautoren haben sich sofort in die Haare gekriegt. Das alles war dieses | |
Jahr nicht der Fall. Man ließ die Texte nebeneinander stehen und | |
kritisierte nur immanent. | |
Katja Lange-Müller brachte die Vereinbarung, die sich wie von selbst | |
hergestellt hatte, auf den Punkt: "Es geht hier darum, einem Text in seiner | |
Eigenart auf die Höhe seiner Möglichkeiten zu verhelfen, nicht darum, die | |
Eigenart zu ändern." Es wäre ein Fehler, das als neue Lauheit oder | |
Langweiligkeit zu interpretieren. Vielmehr kommt jetzt erst der | |
Werkstattcharakter der Veranstaltung voll zum Zug. | |
Nimmt man die Veranstaltung dieser Woche symptomatisch, kann man | |
feststellen: Wenn Autoren an anderen Autoren etwas loben wollen, tun sie | |
das kurz und unverschwiemelt und reden von einer "schön geschlossenen | |
Tonlage" oder einer "sprachlich hohen Durcharbeitung". Wenn sie etwas zu | |
kritisieren haben, sagen sie: "Im Grunde suchst du eine ganz andere Figur", | |
"Da musst du ein bisschen Luft rauslassen", "Da klappern die | |
Genre-Scharniere", "Man spürt allzu deutlich Pflicht und Neigung" oder "Ich | |
glaube, du musst etwas mehr diesem ,Show, dont tell'-Ding folgen." Vor | |
allem Texte, die allzu dick auftraten, wurden freundlich, aber fein | |
zerschreddert. "Wenn so Metaphern aufkommen, fragt man sich als Leser doch | |
gleich: Wann kommt die nächste Schote?" | |
Gerade so ein tiefergehängtes, handwerklich-pragmatisches Sprechen über | |
Literatur würde, denkt man, auch der Literaturkritik gelegentlich ganz | |
guttun. Und beim Bachmann-Wettbewerb kriegt die Kritikerjury das eh viel zu | |
selten hin; allerdings herrschen da auch hoher Öffentlichkeitsdruck und die | |
Notwendigkeit, die Texte am Schluss in Preisträger und leer Ausgegangene zu | |
hierarchisieren. Da muss man sich als Juror zwangsläufig mit | |
Wichtiganalysen und Entdeckungsjubel aufblasen. | |
In der vergangenen Jahren hat der Literaturbetrieb vor allem an der | |
Erneuerung seiner Marketingmaßnahmen gearbeitet. Mit dem deutschen | |
Buchpreis wurde ein neues Instrument gefunden. Solche Werkstattgespräche | |
wie diese Woche im LCB sind gute Mittel, um daneben die ständig nötige | |
innere Erneuerung der Literaturlandschaft nicht nur den Schreibschulen und | |
Klagenfurt zu überlassen. Wie gesagt, alle Literaturhäuser sollten so etwas | |
machen. | |
17 Jun 2010 | |
## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
Dirk Knipphals | |
## TAGS | |
Schriftstellerin | |
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