# taz.de -- Experte über Risikomanagement: "Das System ist inzestuös" | |
> Selbstgefälligkeit, geheime Absprachen und Nachlässigkeiten verhindern, | |
> dass es in den USA echte Sicherheitsmechanismen gibt, meint Rechtsexperte | |
> Zygmunt Plater. | |
Bild: "Selbstgefälligkeit bedeutet, dass es keine echten Sicherheitsmechanisme… | |
taz: Herr Plater, vor 20 Jahren haben Sie nach der Ölkatastrophe mit der | |
"Exxon Valdez" in Alaska die juristische Untersuchungskommission geleitet. | |
Was empfinden Sie, wenn Sie jetzt die neue Ölkatastrophe im Golf | |
betrachten? | |
Zygmunt Plater: Frustration. Vor allem, weil die Lektionen von "Exxon | |
Valdez", die wir in unsere Empfehlungen gefasst haben, nicht beachtet | |
worden sind. | |
Was hätte getan werden müssen? | |
Sowohl die Ölkonzerne als auch die Regierung hätten ein Risikomanagement | |
machen müssen. Außerdem hätte die Notfallplanung modernisiert werden | |
müssen, denn ein gewisses Risiko ist unvermeidlich. Beides ist nicht | |
geschehen. | |
Woher kommen denn die Widerstände? | |
Wir haben es mit einem zweipoligen System zu tun: mit Konzernen, die die | |
Wirtschaft führen, und mit Behörden, die uns vor Marktversagen schützen | |
sollen. Dieses System ist von Natur aus inzestuös. Die Konzerne heuern | |
Leute an, die aus den Behörden kommen, und die Behörden heuern Leute an, | |
die aus den Konzernen kommen. Was fehlt, ist eine dritte Einheit: die | |
Öffentlichkeit. Die Fischer und Anwohner dürfen nicht mitreden. | |
Die Fachleute kennen die Gefahren nicht? | |
Es ist ein sehr komplexes und sehr riskantes Megasystem, das sich durch | |
Selbstgefälligkeit, geheime Absprachen und Nachlässigkeit charakterisiert. | |
Die menschliche Natur verdrängt das Negative. Aber wenn Sie ein Megasystem | |
haben, ist das eine gefährliche Kombination. Und Selbstgefälligkeit | |
bedeutet, dass es keine echten Sicherheitsmechanismen gibt, weil die | |
Regierung nicht wachsam ist und weil die Aktiengesellschaften von | |
kurzfristigem Gewinninteresse geleitet sind. | |
Wie soll die Öffentlichkeit - als dritte Einheit - die Feinheiten der | |
Öltechnologien verstehen? | |
In Alaska haben wir eine Struktur empfohlen, die trotz des Widerstands der | |
Lobbyisten 1990 in das Ölverschmutzungsgesetz eingeflossen ist: den | |
Regional Citizens Oversight Council. Darin sitzen Anwohner, die die | |
Ölproduktion und das -transportsystem beobachten und die Einblick in die | |
Unterlagen von Gesellschaften und Behörden haben. Das ist ein effizienter | |
Überwachungsmechanismus. Leider gilt das Gesetz nur für Alaska. | |
Wären die Reaktionen genauso, wenn der Unfall in einem anderen Bereich des | |
Energiesektors passiert wäre? Sagen wir, in einem Atomkraftwerk? | |
Mir scheint, wir nehmen die Atomenergie ernster. Weil wir wissen, wie | |
entsetzlich ihr Potenzial ist. Öl und Gas hingegen sind mit unserer | |
Gesellschaft, mit unseren Autos und mit unserer Politik verwoben. In den | |
vergangenen Jahren hatten wir Öl-und-Gas-Präsidenten und Vizepräsidenten. | |
Im Golf ist BP Verursacher der Katastrophe und zugleich jene Institution, | |
bei der alle Rettungsoperationen zusammenlaufen. Muss das so sein? | |
Das war in Alaska genauso. Und das ist in gewisser Weise unvermeidlich. Die | |
Industrie hat Kapital und Ressourcen, die jederzeit eingesetzt werden | |
können. Die Regierung hat das nicht. Wichtig ist nicht, woher die | |
Ressourcen kommen, sondern wo das Kommando ist. Im Augenblick sieht es so | |
aus, dass die Regierung erklärt, das Bindemittel Corex sei gefährlich und | |
ineffizient. Und BP benutzt es trotzdem weiter. Das wäre in Deutschland | |
undenkbar. Aber in den USA sind wir Cowboys. | |
Wie erklären Sie diese Mentalität? | |
Es gehört zur Kultur der amerikanischen Industrie, Behörden als lästig zu | |
betrachten. Und die Übertragung von Weisungsbefugnissen auf eine | |
Regierungsbehörde gilt als Gräuel. | |
Sie wollen eine stärkere Regierung? | |
Amerika pflegt die altertümliche Idee, dass eine Regierung nicht wirklich | |
nötig und eher der Feind ist. Im Golf zeigt sich, dass wir eine Regierung | |
brauchen, die nicht mit der Industrie unter einer Decke steckt. Wir | |
brauchen eine Regierung, die reguliert. Das ist kein Kommunismus. | |
Die Opfer der "Exxon Valdez" haben nach einem 19 Jahre langen Rechtsstreit | |
im vergangenen Jahr lächerlich geringe Entschädigungen erhalten. Droht | |
dieses Schicksal jetzt auch den Anwohnern und Fischern des Golfs? | |
Der politische Kontext ist heute anders. Die Bush-senior-Verwaltung war | |
1990 kein bisschen ernsthaft in dieser Sache. Die Obama-Verwaltung hingegen | |
ist es wohl. Hinzu kommen Gesetzesänderungen. Beides dürfte dafür sorgen, | |
dass die Leute am Golf besser entschädigt werden. Vorausgesetzt, dass BP | |
nicht pleitegeht. | |
INTERVIEW: Dorothea Hahn | |
17 Jun 2010 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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