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# taz.de -- Berliner Christopher Street Day: Engel und anderes Geflügel
> 50 Wagen und 14 Fussgruppen tanzen und feiern bei dem Festzug. Engel sind
> auch dabei, und sie sind betrunken. Betrachtungen zum CSD
Bild: Eigentlich alles wie immer: Feierstunde beim CSD.
BERLIN taz | Erst mal muss man ja hinkommen, mit den
11-Zentimeter-Stilettos aus Plexiglas und der windempfindlichen Perücke,
Busse fahren nicht, Taxen und andere Pkw ohnehin nicht, und so ein
bodenlanger Taftpetticoat kommt schon mal in die Speichen. Aber es haben
scheinbar alle geschafft: Um 15.30 Uhr ist der CSD bereits an der
Siegessäule, knapp 50 Wagen und 14 Fußgruppen, begleitet von queerem und
nicht queerem Hinz und Kunz. Wozu die als Bienen verkleideten Menschen
gehören, die von anderen in weißen Rentokil-Overalls verfolgt werden, ist
nicht ganz klar - zu "From Russia with Pride" eher nicht, auch nicht zur
BDSM-Fußgruppe.
Engel aller Formen und Farben, das Transgender-Wappenwesen des diesjährigen
CSD, flattern um den Zug, einer mit schwarzen Flügelchen ist so besoffen,
dass er - ausgerechnet! - an den hochherrschaftlichen Bau knallt, der das
Chinesische Kulturinstitut beherbergt, und ein paar Meter weiter um ein
Engelshaar vor die Konrad Adenauer-Stiftung göbelt. Vielleicht ist er für
die ganzen leeren Asti-Flaschen verantwortlich, die wie kleine Wegweiser am
Rand herumkullern.
Dem restlichen Geflügel gehts aber prächtig. Auf dem "Blond"-Wagen
befingert eine Person ihre ziemlich straff aussehenden Brüste und ruft dazu
"Uuuuh!! Uuuuuuuhhh!!" Und jetzt fährt Udo Kier auf dem Fahrrad vorbei,
oder zumindest jemand, der Fan von Udo Kier ist.
Aber wo ist eigentlich Klaus Wowereit? Nicht auf dem Bündnis 90/Die
Grünen-Wagen, auch nicht bei "queer - Die Linke", und selbstverständlich
ohnehin nicht bei "LSU - Lesben und Schwule in der Union", einem Wagen
voller weißer, um die Bäuche herum eher spannende T-Shirts und mit Musik
von Rosenstolz.
Und entweder liegt es wiederum am Kicherwasser Asti oder den zerrenden
Boxen, dass als Refrain zunächst "Ich geh ins andere Loch" zu verstehen
ist, bis klar ist, dass es sich um den Titel "Ich geh in Flammen auf"
handelt. Was setzt die SPD dagegen, unter dem Motto "Vielfalt statt
Einfalt"? AC/DC mit "Thunderstruck", das ist natürlich ziemlich cool, aber
Wowereit ist dort auch nicht, oder seine In-Drag-Verkleidung ist zu gut.
Der "Seitenwechsel"-Wagen zitiert mit "Die Zukunft des Fußball ist
weiblich" Fifa-Chef Sepp Blatter, und auch der GMF-Club-Wagen hat das
Fußballthema aufgegriffen: Männer mit "Frei" und "stoss" auf den T-Shirts,
und darüber "Footballs coming out!" Schön wärs, dann würde vielleicht auch
Jogi Löw mitfahren, abgesehen davon, dass er zumindest dieses Jahr
tatsächlich eine gute Entschuldigung hat.
Langsam nähert sich alles dem Brandenburger Tor. Jetzt wird auch die
Genialität dieser Route ersichtlich: Vom Brandenburger Tor aus strömen
verstärkt Nicht-CSD- sprich schlichte Berlintouristengruppen dem Zug
entgegen, bierbauchige Männerbündnisse aus Norddeutschland treffen auf
betagte Lesbenkatzen in Kostüm, aufgeklärte Familien wundern sich über
schwule Skins. Es sollte ja ohnehin um Diversity gehen (übrigens auch das
Motto des Ikea-Wagens voller "Lövas", diesen albernen grünen Blättern), um
die vielen Variationen, die das Leben so in petto hat, und die Akzeptanz
und Sichtbarmachung derselben.
Sichtbar ist so eine Sache. TransidentikerInnen sieht man ihre
Vergangenheit ja nicht unbedingt an, was selbstredend in ihrem Sinne ist -
im Gegensatz zur landläufig leichter vorzeigbaren sexuellen Orientierung.
Darum ist das Schaffen eines Bewusstseins ja auch umso wichtiger:
Allüberall gibt schließlich es alles, wo ist also zum Beispiel der Wagen
mit den schwulen Rappern? Wo der mit den Islamlesben? Den queeren
Propheten? Engel gibt es im Koran jedenfalls auch. Nur besoffen sind sie
offiziell selten.
21 Jun 2010
## AUTOREN
Jenni Zylka
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