# taz.de -- CSD "rassistisch und kommerziell": Als Frau Butler ablehnte | |
> Beim Christopher Street Day freuen sich die Medien über bunte Bilder, | |
> Politik interessiert weniger. Doch beim Berliner CSD sorgte dieses Jahr | |
> die Theoretikerin Judith Butler für die Politisierung. | |
Bild: Beim Christopher Street Day interessiert die Politikdie Medien weniger, w… | |
Am Ende eines Christopher Street Days (CSD) sind die Teilnehmer oft schon | |
ganz schön am Ende. Nach vielen Kilometern Weges und dem ein oder anderen | |
Schluck Sekt ist mancher froh, es überhaupt noch bis zur | |
Abschlusskundgebung geschafft zu haben. Die war in diesem Jahr am | |
Brandenburger Tor, in Gehweite des Reichstags. Mittendrin also und somit | |
genau dort, wo die Schwulen und Lesben einst anzukommen hofften. 600.000 | |
waren es in diesem Jahr in Berlin. | |
Doch in diesem Jahr ragte besonders eine Teilnehmerin heraus, ein extra von | |
den Veranstaltern in der Business Class eingeflogener Gast aus den | |
Vereinigten Staaten. Die Philosophin und Philologin Judith Butler nämlich, | |
die vom Berliner CSD e.V. mit dem "Zivilcouragepreis" für ihr Lebenswerk | |
ausgezeichnet werden sollte und es stattdessen wie Marcel Reich-Ranicki | |
hielt. Sie nahm den Preis nicht an, weil der CSD kommerziell und | |
rassistisch sei. Sie verlas auf Deutsch: "Einige der Veranstalterinnen | |
haben sich explizit rassistisch geäußert, beziehungsweise haben sich nicht | |
von diesen Äußerungen distanziert. Die veranstaltenden Organisationen | |
weigern sich, antirassistische Politiken als wesentlichen Teil ihrer Arbeit | |
zu verstehen. In diesem Sinne muss ich mich von der Komplizenschaft mit | |
Rassismus, einschließlich antimuslimischem Rassismus distanzieren." Die als | |
"Queer-Theoretikerin" bezeichnete Feministin Butler rief im Anschluss dazu | |
auf, den queeren "Transgenialen CSD" im Stadtteil Kreuzberg-Neukölln am 26. | |
Juni zu besuchen. | |
Spätestens jetzt wurden einige wieder hellwach, zumindest jene, die | |
wussten, wer Judith Butler ist. Wäre dieser Text nicht von der | |
Großtheoretikern aus den USA verlesen worden, man hätte ihn leicht ermüdet | |
als Kreuzberger Retrogrille aus den Achtzigern verbucht. Kommerzialismus, | |
Rassismus, ja. "Das Fernsehen ist schlecht", ja. Und wäre es nicht | |
ausgerechnet in diesem Jahr so gewesen, dass der Transgeniale CSD nicht am | |
gleichen Tag, sondern in der Woche darauf stattfindet, dann wären sehr, | |
sehr viele Teilnehmer des großen CSD nach Ende der Abschlusskundgebung | |
weitergezogen. Und zwar in die Kreuzberger Oranienstraße, gemeinsam Biere | |
trinken mit den Teilnehmern des Transgenialen CSD. Dort läuft ein bisschen | |
andere Musik, man zieht sich anders an und verfügt in der Regel über ein | |
abgeschlossene Hochschulstudium. Oder ist kurz davor. Queer-Punk statt | |
Techno. | |
Robert Kastil ist Geschäftsführer des CSD e.V. Er hat in dieser Woche noch | |
sehr viel zu tun, auch wenn der große CSD vorbei ist. Er hat kein Problem | |
mit der transgenialen Gegenveranstaltung. "Gemeinsam feiern, getrennt | |
demonstrieren", so bringt er das in den letzten Jahren gewachsene | |
Arrangement auf den Punkt. | |
Es ist nicht neu, dass es in Bewegungen Streitereien gibt. Kastil erzählt, | |
wie es früher war, in den Neunzigern: "Da gab es auf einmal drei | |
verschiedene CSDs. Es war chaotisch, auch finanziell war das ein Desaster. | |
1998 wurde dann der CSD.e.V. gegründet." | |
Im offenen, acht- bis zehnmal im Jahr tagenden Forum des CSD e.V. werden | |
das Motto und die politischen Forderungen des Christopher Street Days | |
ausgehandelt. Laut Kastil kommen im Schnitt zwischen dreißig und fünfzig | |
Leute. Vertreter sämtlicher Parteien, der Lesben und Schwulenverband in | |
Deutschland (LSVD), Homo-Vertreter der Berliner Verkehrsbetriebe, Maneo, | |
einzelne Aktivisten. | |
Der CSD wurde immer größer - und zu einer logistischen und finanziellen | |
Herausforderung. Mit dem Vorwurf des Kommerzialismus kann Kastil ebenfalls | |
gut leben: "Was ist kommerziell? Ja, es gibt Sponsoren. Wir bekommen keine | |
öffentlichen Mittel. Wollen wir auch nicht, der politischen Unabhängigkeit | |
wegen. Ohne Sponsoren müssten die Kosten von den Teilnehmern übernommen | |
werden. Um die 200.000 Euro sind das." Kastil räumt jedoch ein, dass es in | |
den Nuller Jahren Exzesse gegeben hat: "Wagen von Burger King und | |
Coca-Cola. Mittlerweile haben wir eine Werbeflächenbegrenzung bei den Wagen | |
festgelegt." Gemeinnützige Teilnehmer, die einen Wagen anmelden, zahlen | |
keine Startgebühr. Gewinne erwirtschaftet der CSD nach Angaben von Kastil | |
nicht. | |
Und was ist mit dem Rassismus? Jan Salloch ist einer von vier Vorständen | |
des CSD e.V. Er war nach dem Butler-Eklat geschockt: "Mich irritiert dieser | |
Vorwurf. Und mein Eindruck ist, dass wir instrumentalisiert wurden. Frau | |
Butler scheint die Entscheidung am Vorabend getroffen zu haben, und ich | |
gehe davon aus, dass sie sich mit Vertretern von Gladt e.V. getroffen hat. | |
Es geht bei diesem Rassismus-Vorwurf um das immer Gleiche: Maneo und den | |
LSVD." | |
Maneo ist ein schwules Antigewaltprojekt aus Berlin-Schöneberg. Gerade in | |
diesem Berliner Kiez ist es in den letzten Jahren verstärkt zu Übergriffen | |
auf Schwule gekommen - und Maneo hat die Identität des Großteils der Täter | |
offen benannt: junge Männer mit Migrationshintergrund. | |
An dieser Frage entzünden sich nun schon seit Jahren Konflikte, innerhalb | |
der "Community" und auch darüber hinaus. Die einen fürchten, dass die | |
genaue Benennung dieser Täter Ausländerfeindlichkeit schüren könnte - und | |
Minderheiten gegeneinander ausgespielt würden. Die anderen sagen, dass man | |
Probleme beim Namen nennen muss, um sie zu lösen. Etwa im Rahmen des | |
Projekts "Miles", des Zentrums für Migranten, Lesben und Schwule des LSVD. | |
"Miles" leistet unter anderem Aufklärungsarbeit bei Jugendlichen mit | |
Migrationshintergrund. | |
Gegen letztere Ansätze positioniert sich Gladt e.V., "die einzige | |
unabhängige Selbst-Organisation von türkeistämmigen Lesben, Schwulen, Bi- | |
und Transsexuellen und Transgendern außerhalb der Türkei". Gladt spricht | |
dem LSVD die Kompetenz in diesen Fragen ab, beklagt, dass es im Vorstand | |
des LSVD keine Migranten gäbe. Und Gladt zeigte sich diese Woche in einer | |
Pressemitteilung höchst erfreut über Butlers Rede: "Das richtige Signal zur | |
richtigen Zeit." | |
Steckt tatsächlich Gladt hinter Butlers wohl spontaner Reaktion? Hakan Tas | |
war Mitbegründer von Gladt. Er sagt: "Frau Butler ist im Stande, sich ihre | |
eigene Meinung zu bilden." Er sagt auch, dass er den Rassismus-Vorwurf "so | |
nicht teilen würde", beklagt aber, dass sich der CSD nicht öffne: "Es gibt | |
dort keine interkulturelle Kompetenz. Und wir haben auch keine Einladung | |
zum Forum bekommen." | |
Es führt nicht weiter, sich mit Streitereien innerhalb einer Politszene zu | |
beschäftigen. Es geht oft um Posten, Kränkungen, Fehden. Hakan Tas benennt | |
jedoch auch die konkreten Probleme von homosexuellen Migranten: "Türken | |
werden in der Szene oft als Stricher und Taschendiebe dargestellt. Außerdem | |
heißt es nun, dass alle Ausländer homophob sind." Diese Verallgemeinerungen | |
ärgern ihn - und sie verweisen auf die schwer erträgliche | |
Doppelstigmatisierung von homosexuellen Migranten, die sich weder in ihrem | |
familiären Umfeld noch in der Szene geborgen fühlen. Die das Gefühl haben, | |
nicht willkommen zu sein bei der Mehrheit der Minderheit, die auf das | |
Brandenburger Tor zu marschiert. Vielleicht sollten diese 600.000 im | |
nächsten Jahr zu ihnen kommen und mitten durch Kreuzberg und Neukölln | |
marschieren. Das wäre eine Botschaft, die im Gegensatz zu den Diskursen | |
einer Judith Butler wirklich bei den Menschen ankommen würde. | |
Noch in diesem Jahr kann man allerdings auch zum Transgenialen CSD gehen. | |
24 Jun 2010 | |
## AUTOREN | |
Martin Reichert | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Judith Butler über soziale Gerechtigkeit: "Ich bin für Spaß und Genuss" | |
Die Geschlechterforscherin Judith Butler über Rassismus, Homophobie und das | |
Problem, etwas Falsches durch etwas anderes Falsches korrigieren zu wollen. | |
Gay Pride und Politik: Karneval des linken Milieus | |
Beim Streit um Judith Butler geht es nicht um Rassismus in der queeren | |
Community. Sondern um unterschiedliche Vorstellungen von Politik. | |
Eklat beim Christopher Street Day: Judith Butler spielt nicht mit | |
In der Berliner Volksbühne rief Judith Butler zum gemeinsamen Kampf gegen | |
Diskriminierung auf. Den CSD kritisierte sie als zu kommerziell und lehnte | |
einen Zivilcouragepreis ab. | |
Kommentar zum CSD: Mehr Politik und weniger Ikea, bitte! | |
Der CSD hat den politischen Anspruch verloren - und bedient nur noch | |
Klischees. | |
Eklat beim Berliner CSD: Judith Butler drückt die Spaßbremse | |
Die Theoretikerin sorgt mit ihrer Ablehnung des Zivilcourage-Preises für | |
Wirbel. Der CSD sei zu kommerziell und zu unkritisch gegenüber Rassismus | |
und Krieg, begründete Butler ihre Haltung öffentlich. | |
Pro & Contra Zivilcourage-Preis des CSD: War die Absage von Judith Butler das r… | |
Zu kommerziell, zu wenig antirassistisch: Judith Butler kritisierte auf der | |
Berliner Waldbühne den Christopher Street Day der Hauptstadt - und lehnte | |
den Zivilcouragepreis ab. |