# taz.de -- Judith Butler über soziale Gerechtigkeit: "Ich bin für Spaß und … | |
> Die Geschlechterforscherin Judith Butler über Rassismus, Homophobie und | |
> das Problem, etwas Falsches durch etwas anderes Falsches korrigieren zu | |
> wollen. | |
Bild: Judith Butler: "Ich denke, dass das Recht auf Vergnügen nicht wichtiger … | |
taz: Frau Butler, in welcher Weise sehen Sie den Berliner CSD in | |
Komplizenschaft mit Rassismus? | |
Judith Butler: Mehrere der Organisatoren und Sponsoren haben öffentlich | |
Meinungen vertreten, die Communitys türkischer, nordafrikanischer und | |
arabischer Herkunft herabwürdigen. | |
Wen meinen Sie damit? | |
Ich spreche von Inhalten, die zum Beispiel auf Webseiten vertreten werden. | |
Ich betrachte diese Beiträge als Formen von Rassismus, denen man | |
entgegentreten muss. Ich war auch darüber alarmiert, was für ziemlich | |
schreckliche Stereotype unter einigen der prominentesten Figuren beim | |
Berliner CSD zirkulierten. Natürlich haben nicht alle Organisatoren des CSD | |
solche Äußerungen gemacht, aber die Tatsche, dass solche Äußerungen von den | |
jetzigen Organisatoren nicht verurteilt worden sind, war genug, um mich zu | |
überzeugen, dass die Annahme des Preises eine Komplizenschaft mit Rassismus | |
bedeuten würde. | |
Haben Sie sich mit mehreren Gruppen getroffen, bevor Sie den Preis | |
verweigert haben? | |
Ja, ich habe mich mit mehreren Gruppen getroffen und wurde auch von | |
mehreren anderen Gruppen in Europa und den Vereinigten Staaten gebeten, | |
unter diesen Bedingungen den Preis nicht anzunehmen. | |
Wann haben Sie sich entschlossen, den Preis nicht anzunehmen? | |
Endgültig habe ich mich am Abend vor der Preisübergabe dazu entschlossen. | |
Einer der kontrovers diskutierten Punkte in letzter Zeit in Berlin betrifft | |
das Vorgehen des schwulen Überfalltelefons "Maneo". Auf Fragebögen zur | |
Erfassung homophober Gewalt wird die Möglichkeit angeboten, den ethnischen | |
Hintergrund des Angreifers anzugeben … | |
Ich denke, dass das eine rassistische Vorgehensweise ist. Beschuldigen wir | |
alle Juden, wenn eine jüdische Person etwas Falsches getan hat? | |
Beschuldigen wir alle Frauen, wenn eine Frau etwas Falsches getan hat? Wenn | |
jemand etwas Kriminelles getan hat, ist die Handlung kriminell, nicht die | |
Person, und nicht der ethnische oder religiöse Hintergrund einer Person. | |
Eine solche Taktik ist bestrebt, Minderheiten für Handlungen verantwortlich | |
zu machen, die sicherlich genauso häufig von rechtsextremen Deutschen | |
begangen werden, deren nationale Zugehörigkeit nicht erwähnenswert ist. | |
Sicherlich muss jede Kampagne gegen Homophobie dafür sorgen, dass der | |
absolut falsche Charakter jedes Angriffs von sexuellen Minderheiten oder | |
Gender-Minderheiten, und dazu gehören auch Transsexuelle, Aufmerksamkeit | |
bekommt. Aber sie muss auch die Bürgerrechte aller Menschen schützen, und | |
dazu gehören alle Minderheiten. Als jemand mit einem jüdischen Hintergrund | |
bin ich sehr alarmiert, wenn man den ethnischen oder religiösen Hintergrund | |
auf einem solchen Fragebogen angeben soll. Es läuft darauf hinaus, | |
Minderheiten zur Zielscheibe zu machen, und es kann nicht richtig sein, | |
etwas Falsches zu korrigieren, indem man erneut etwas Falsches macht. | |
Eine Studie des Soziologen Bernd Simon von der Universität Kiel besagt, | |
dass eine homophobe Einstellung bei Jugendlichen, die aus der ehemaligen | |
Sowjetunion, der Türkei oder arabischen Ländern stammen, stärker ist als | |
bei Jugendlichen ohne Migrationshintergrund. | |
Eine interessante Studie, keine Frage. Aber wirft sie auch einen Blick auf | |
homophobe Attacken von jugendlichen und erwachsenen Neonazis? Und was ist | |
der Zusammenhang zwischen Homophobie und rechtsextremen Bewegungen? Wir | |
müssen mit diesen Studien vorsichtig sein, weil wir nicht wissen, wie sie | |
ihre Untersuchungsgesamtheit finden und wie die Interviews geführt werden. | |
Eine wirksame Präventionsstrategie kommt Ihrer Meinung nach also ohne die | |
Information ethnischer Zugehörigkeit aus. Sollte man auf diese Angabe | |
verzichten? | |
Es ist eine Art und Weise, ein rassisches Profil zu erstellen, was eine | |
Beschneidung der Menschenrechte bedeutet. Hochinteressant und dringend wäre | |
es erstens, alle Formen homophober Gewalt zu berücksichtigen, inklusive | |
derer, die von Rechtsextremen begangen werden - und zu gucken, wie die | |
"Fakten" aussehen würden, wenn wir diese Frage stellen. Und zweitens mit | |
Gruppen farbiger Queers, die aus Migrantencommunitys kommen, | |
zusammenzuarbeiten, die immer mit der Frage von Rassismus innerhalb der | |
"queer community" umgehen müssen sowie mit der Frage von Homophobie | |
innerhalb und außerhalb der Minderheitencommunitys. Nur dann können wir ein | |
echtes Bild sich überschneidender Unterdrückungen bekommen und eine | |
weitreichende und wirksame Koalition gegen Gewalt ermöglichen. | |
Wenn Sie denken, die ethnische Zugehörigkeit von Gay-Bashern sollte nicht | |
diskutiert werden, wie kann eine solche Strategie von einer Haltung | |
unterschieden werden, die Homophobie nicht ernst nimmt? | |
Homophobie ernst zu nehmen, heißt zu akzeptieren, dass sie auf | |
unterschiedlichen Ebenen existiert und in verschiedenen Schichten der | |
Gesellschaft. Wir sollten uns für die Homophobie innerhalb der CDU oder | |
innerhalb der katholischen Kirche interessieren, aber auch unter Liberalen | |
der Mittelklasse und neuen rechtspopulären Organisationen. Wenn wir dann | |
vielleicht Homophobie innerhalb von Migrantencommunitys in Betracht ziehen, | |
würden wir eine Art und Weise des Nachdenkens über Homophobie haben, die | |
Rassismus nicht wiederholt. Aber untersuchen wir das Problem? Oder | |
versuchen wir, diese Homophobie zu bekämpfen? Wenn wir das versuchen, | |
müssen wir es in einem Zusammenhang einer Allianz machen, für die der Kampf | |
gegen Rassismus genauso wichtig ist wie der Kampf gegen Homophobie. | |
Geht Ihre Argumentation nicht davon aus, dass der Kampf gegen Rassismus | |
wichtiger ist als der Kampf gegen Homophobie? | |
Nein, sie sind beide gleichermaßen inakzeptabel. | |
Sie haben Hamas und Hisbollah als einen Teil der Linken bezeichnet. Gibt es | |
für diese beiden palästinensischen Organisationen einen Platz innerhalb | |
einer queeren Koalition gegen Rassismus und Homophobie? | |
Mir ist klar, dass einige Leute mich in der Weise zitiert haben, dass ich | |
Hamas und Hisbollah als links verstehen würde. Bei dem Statement in seiner | |
Gänze betrachtet, als Antwort auf eine Frage, die aus dem Publikum kam, | |
ging es allerdings darum, dass diese Bewegungen zwar als links beschreibbar | |
sind, aber dass man, wie mit jeder Bewegung auf Seiten der Linken, | |
entscheiden muss, ob es eine Bewegung ist, die man unterstützt oder nicht. | |
Ich habe niemals eine dieser Bewegungen unterstützt, und da ich mich selber | |
zur Gewaltlosigkeit verpflichtet fühle, wäre es für mich auch unmöglich, | |
eine von ihnen zu unterstützen. Es ließe sich viel dazu sagen, wie sie sich | |
gebildet haben und was ihre Ziele sind und in welcher Weise sie einen Kampf | |
gegen Kolonialismus und Imperialismus darstellen. Aber dabei geht es für | |
mich um analytische und beschreibende Arbeit - nicht um Anhänglichkeit oder | |
Unterstützung. | |
In welcher Weise ist die Situation in Ländern wie den Vereinigten Staaten | |
und Deutschland in Bezug auf Rassismus, Homophobie und ihre | |
Überschneidungen vergleichbar? | |
Ich bin nicht in der Lage, Verallgemeinerungen dieser Art vorzunehmen. Aber | |
ich habe bemerkt, dass in Deutschland unter Rassismus oftmals nur | |
Antisemitismus verstanden wird, und es ist weit verbreitet, den Verweis auf | |
"Rasse" zurückzuweisen unter Berufung darauf, dass diese Kategorie selbst | |
Rassismus vorantreibt. Aber wir müssen in der Lage sein, die verschiedenen | |
ineinander verzahnten Geschichten von Rassismus zu verstehen, | |
Antisemitismus und Anti-Schwarzen-Rassismus zum Beispiel. Es gibt | |
historisch neue Formen des Rassismus, die wir untersuchen und gegen die wir | |
uns stellen müssen, also hoffe ich, dass der Diskurs über Rasse und | |
Rassismus in den kommenden Jahren präziser und gründlicher wird. | |
Haben wir tatsächlich zwei verschiedenen Welten, die kommerzielle weiße | |
schwule Welt auf der einen Seite und die multikulturelle, queere, | |
politische auf der anderen? | |
Ich glaube nicht, dass das Problem darin liegt, dass die eine Gruppe zu dem | |
einen und die andere zum anderen Event geht. In der Tat habe ich | |
angenommen, dass es Überlappungen gibt, deshalb habe ich auch überhaupt | |
erst zugesagt. Es ist mir relativ egal, ob diese Veranstaltungen | |
kommerziell sind. Aber es ist mir nicht egal, wenn Organisatoren und | |
Sponsoren der Veranstaltungen an rassistischen Praktiken teilhaben oder | |
offene Verachtung für Minderheiten äußern. Für mich ist "queer" eine aktive | |
Bewegung unter Minderheiten, die zu Koalitionen führen sollte, und wenn | |
eine Minderheit im Namen einer anderen geopfert wird, hat die Bewegung | |
ihren politischen Anspruch auf Gerechtigkeit und Gleichheit verloren. Ich | |
bin für Spaß und Genuss, und ohne Frage genieße ich auch kommerzielle | |
Vergnügen, aber ich denke nicht, dass das Recht auf Vergnügen wichtiger ist | |
als das Bekenntnis zu sozialer Gerechtigkeit. Ich habe sozusagen deutlich | |
gemacht, wozu ich mich verpflichtet fühle. | |
1 Jul 2010 | |
## AUTOREN | |
Peter Rehberg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Gay Pride und Politik: Karneval des linken Milieus | |
Beim Streit um Judith Butler geht es nicht um Rassismus in der queeren | |
Community. Sondern um unterschiedliche Vorstellungen von Politik. | |
Transgenialer CSD in Kreuzberg: Ismus muss weg! | |
Beim Transgenialen CSD am Samstag können politische Forderungen nicht | |
durchdringen | |
CSD "rassistisch und kommerziell": Als Frau Butler ablehnte | |
Beim Christopher Street Day freuen sich die Medien über bunte Bilder, | |
Politik interessiert weniger. Doch beim Berliner CSD sorgte dieses Jahr die | |
Theoretikerin Judith Butler für die Politisierung. | |
Eklat beim Christopher Street Day: Judith Butler spielt nicht mit | |
In der Berliner Volksbühne rief Judith Butler zum gemeinsamen Kampf gegen | |
Diskriminierung auf. Den CSD kritisierte sie als zu kommerziell und lehnte | |
einen Zivilcouragepreis ab. | |
Pro & Contra Zivilcourage-Preis des CSD: War die Absage von Judith Butler das r… | |
Zu kommerziell, zu wenig antirassistisch: Judith Butler kritisierte auf der | |
Berliner Waldbühne den Christopher Street Day der Hauptstadt - und lehnte | |
den Zivilcouragepreis ab. |