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# taz.de -- Präsidentschaftskandidaten: Zum Verlieren auserwählt
> Wie ist das, als Verlierer ins Rennen zu gehen? Peter Sodann, Dagmar
> Schipanski und Hildegard Hamm-Brücher erzählen es.
Bild: Am Vorabend der Wahl 1999: Noch strahlt die Präsidentschaftskandidatin D…
Es hat mit einem Bier begonnen. Peter Sodann, der Schauspieler und
"Tatort"-Kommissar, saß mit Gregor Gysi von der Linkspartei im Herbst 2008
in Halle in einem Café. Sie saßen, sie schwatzten, da rückte Gysi mit dem
Satz heraus: "Willst du Bundespräsident werden?" Sodann hat laut gelacht.
Peter Sodann ist 74 Jahre alt, er guckt immer ein wenig müde, er hat eine
Menge hinter sich. Er war in der DDR Werkzeugmacher, dann Jurastudent, er
war Schauspieldirektor und nach der Wende "Tatort"-Kommissar. Er ist ein
Mann, der Gelegenheiten nutzt. Jetzt kam Gysi mit der
Bundespräsidentenidee. "Wann passiert einem schon so was?", meint Sodann
heute.
Er guckte Gysi an und sagte: "Ja! Ich will!" Sie lachten. Sie tranken Bier.
Es war auch ein Spaß. Von Anfang an war klar, dass Sodann keine Chance
hatte.
Und es ist ja wirklich eine schizophrene Situation. Die Wahl des
Bundespräsidenten in Deutschland ist ein abgekartetes Spiel. Der Sieger
steht vorher fest. Die anderen Kandidaten laufen in diesem Spiel herum wie
freundliche Statisten. Die Parteien holen sie, damit sie jemanden zum
Vorzeigen haben. Damit es so aussieht, als wäre es eine echte Wahl mit
offenem Ausgang. Dann ist die Aufregung kurze Zeit groß, die Politiker, die
Zeitungen, das Fernsehen, das Radio, die Onlinemedien - alle machen mit.
Dieses Mal kann besonders schön Spannung erzeugt werden, weil der rot-grüne
Kandidat Joachim Gauck die Wahlleute der Konkurrenz angeblich so stark in
Versuchung führt. Auf die Linkspartei-Kandidatin Luc Jochimsen trifft das
weniger zu.
Es ist ungefähr so wie bei einem Schaukampf der World Wrestling Federation.
Vorher großes Täterätä, aber am Ende gewinnt stets der vorbestimmte
Kandidat. Und die anderen? Sie kehren zurück in die Nische, aus der man sie
gezerrt hat.
Dagmar Schipanski, aus Ilmenau in Thüringen, sagt, dass es ein ziemlicher
Stress war damals. 1999 haben die CDU und die CSU sie aufgestellt.
Schipanski war eine 56 Jahre alte Wissenschaftlerin, aus dem Osten,
parteilos. Sie war eine Überraschungskandidatin. Keiner hatte mit ihr
gerechnet. Auch sie selbst schien während ihres Wahlkampfs bisweilen
verblüfft, dass es so weit kommen konnte.
Aber Schipanski hat auf dem Gebiet der Festkörperelektronik promoviert. Sie
war Vorsitzende des Wissenschaftsrats. Sie kann zwei und zwei
zusammenzählen. Die Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung waren
klar. Schipanski rechnete sich aus, dass sie gegen den Kandidaten von
Rot-Grün Johannes Rau nur verlieren würde.
Warum hat sie trotzdem mitgemacht? "Ich wollte die Gelegenheit nutzen,
meine Themen voranzubringen", erklärt sie heute. "Ich wollte für Ausgleich
zwischen Ost und West sorgen. Ich wollte die Rolle der Frau stärken. Ich
wollte die Bedeutung der Wissenschaft für die Zukunft dieses Landes
herausstellen."
So hatte sie es sich vorgestellt. Aber dann jagte eine Pressekonferenz die
nächste. Schipanski hatte nicht genug anzuziehen für die vielen Termine.
Sie musste einkaufen gehen. Aber sie hatte keine Zeit. "Das war das
Hauptproblem. Ich habe ja nicht gerade die Idealfigur", sagt sie heute.
Plötzlich sollte sie durchs Land reisen, keiner hatte sie auf diesen Rummel
vorbereitet, keiner ließ ihr Zeit, einen Koffer mit entsprechenden Kleidern
zu packen. So kam es, dass Schipanski dreimal hintereinander im selben
grün-blauen Mantelkleid erschien. Natürlich haben sich die Journalisten da
das Maul zerrissen über die unbedarfte Frau aus dem Osten.
Ungefähr zu diesem Zeitpunkt klingelte bei Schipanski das Telefon. Sie
bekam einen Anruf von einer, die das alles schon hinter sich hatte. Von
Hildegard Hamm-Brücher.
Hamm-Brücher war 1994 die FDP-Kandidatin fürs Bundespräsidentenamt. Sie ist
Profi, sie ist seit 1948 in der Politik. Bei ihrer eigenen
Präsidentschaftskandidatur hat sie sich keine Sekunde lang Illusionen
gemacht. Sie wollte zeigen, dass auch eine Frau zur Verfügung steht. Als
langjährige Staatsministerin im Auswärtigen Amt war sie es gewohnt, zu
repräsentieren. Ihre Aufgeregtheit beschränkte sich demnach darauf, dass
sie ihren Mann manchmal scherzhaft fragte, wie er sich denn fühle als
Prinzgemahl. In der Rückschau bucht Hamm-Brücher ihre vergebliche
Kandidatur ab als "großes Erlebnis". Mehr nicht.
Aber jetzt sah Hamm-Brücher diese Frau aus dem Osten durch den eigenen
Wahlkampf stolpern. "Frau Schipanski tat mir so schrecklich leid", sagt
Hamm-Brücher heute. Sie hat sie eingeladen in ihre Münchner Wohnung. Sie
gab ihr ein paar Tipps.
Als am 23. Mai 1999 alles vorbei war, hat Dagmar Schipanski mit ihrer
Familie eine Flasche Sekt getrunken. Heute gibt sie zu: "Ich war erst mal
erleichtert, das Ganze unbeschadet überstanden zu haben". Sie klingt wie
jemand, der sich aufs Glatteis gewagt hat und jetzt froh ist, glimpflich
davongekommen zu sein.
Bei Peter Sodann war es anders.
Sodann hat sich vorgewagt. Als Präsidentschaftskandidat ging er zwar weiter
jeden Morgen mit seinem Dackel spazieren. Aber er verkündete auch, dass er,
wenn er nicht nur im "Tatort" Kommissar wäre, den Chef der Deutschen Bank
Josef Ackermann verhaften würde. Sodann wusste, dass solche Äußerungen ihn
die Fernsehkarriere kosten. Er machte trotzdem weiter.
Am Abend vor der Wahl im Mai 2009 mietete Sodann sich in Berlin in einem
Christlichen Hospiz ein. Am nächsten Morgen lief er zu Fuß zum Reichstag.
Als möglicher Präsident wollte er Bescheidenheit demonstrieren.
Nachdem das Ergebnis feststand, tröstete Sodann sich: "Die haben sowieso
alle einen an der Schüssel!" Er ging noch ein Bier trinken mit Gysi,
Lafontaine und ein paar anderen.
Es hatte mit einem Bier begonnen. Es hat auch mit einem Bier geendet.
26 Jun 2010
## AUTOREN
Kirsten Küppers
## TAGS
Bundespräsident
Hildegard Hamm-Brücher
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