# taz.de -- Deutsch-türkische Fußball-Fans: Mit Allah für Deutschland | |
> Unser Autor begab sich auf die Autokorso-Strecke von Berlin-Neukölln nach | |
> Kreuzberg und fragte in der deutsch-türkischen Community: Wie haltet | |
> ihr‘s mit Almanya? | |
Bild: Der Fußball sorgt für vielfältige Loyalitäten. | |
BERLIN taz | Über die Straße tönen die schrillen Klänge der Zurna, der | |
türkischen Oboe, und das rhythmische Grollen der Davul, der orientalischen | |
Trommel. Doch in dem schmucklosen Bau wird keine Hochzeit gefeiert. Die | |
Musik AG des Herrmann-Hesse-Gymnasiums hält die letzte Probe vor der | |
Abiturfeier, die abends stattfinden wird. | |
Es ist früher Nachmittag, auf der Straße plauschen einige | |
Neuntklässlerinnen, bevor sie sich gleich auf den Heimweg machen. Ob sie | |
sich für die WM interessieren? "Na klar", "türlich", kreischt ein | |
vielstimmiger Mädchenchor. Und wer ist für Deutschland? Drei der acht | |
melden sich, als wüssten sie die Antwort auf eine Matheaufgabe. | |
"Wir leben hier, das ist auch unser Land", sagt Hivim. Sie ist eine von | |
dreien, die ein Kopftuch trägt, und die Einzige der ansonsten | |
deutsch-türkischen Gruppe, die aus einer arabischen Familie stammt. "Die | |
sind auch nicht für uns, wenn die Türkei spielt", antwortet Rabia, deren | |
dunkles Kopftuch bestens mit ihrem Lidschatten abgestimmt ist. | |
"Aber in dieser Mannschaft spielen auch Özil und Khedira, das sind doch | |
welche von uns", entgegnet schüchtern Gizem. "Die Deutschen finden das aber | |
nur so lange gut, wenn die gut spielen", antwortet Nuray, die vorlauteste | |
der Gruppe. "Ich bin für Ghana", sagt sie die Faust ballend. | |
Über die Fußballbegeisterung der Mädchen rümpfen die drei Jungs aus der | |
Jahrgangsstufe darüber, die ein paar Meter weiter auf dem Schulhof stehen, | |
die Nase. Denn sie interessierten sich nicht nur während der WM für | |
Fußball. "Aber jetzt, wo Hertha abgestiegen ist, interessiert mich die | |
Bundesliga nicht mehr so, nur noch die türkische Liga", sagt Fatih, Fan von | |
Hertha BSC Berlin, aber vor allem von Besiktas Istanbul. "Ach was, die | |
Bundesliga hat ein viel höheres Niveau", findet Mustafa. | |
Alle drei sympathisieren mit dem deutschen Team, aber nicht alle gönnen ihm | |
den Titel: "Natürlich wünsche ich mir, dass die weit kommen. Aber | |
Weltmeister soll Argentinien oder Ghana werden", sagt Mehmet. Fatih | |
widerspricht. "Die deutsche Mannschaft kenne ich am besten." Beim | |
Ghana-Spiel war er auf der Fanmeile, wo er es aber "zu nationalistisch" | |
fand. | |
Bei Mesut Özils Tor zum 1:0 habe er das Wort "Pass-Deutscher" gehört, das | |
hat ihn aufgeregt: "Wir leben in der dritten Generation hier und werden | |
trotzdem als Ausländer behandelt". Darin sind sich alle einig. Genauso wie | |
darin: Sie wollen von Serdar Tasci, dem zweiten Fußballer im DFB-Kader mit | |
türkischen Wurzeln, den Satz gehört haben, er sei kein Türke. "Man darf | |
seine Wurzeln nicht verleugnen", meint Mustafa. Beides - das Bestehen | |
darauf, keine Fremden zu sein, und der Verweis auf das, was sie "Wurzeln" | |
nennen - ist für sie kein Widerspruch: "Wir sind halt Deutschtürken", | |
erläutert Fatih. | |
"Bei der letzten EM waren wir immer auf dem Kudamm, egal ob für Deutschland | |
oder für die Türkei, wir haben sogar gefeiert, als Deutschland die Türkei | |
besiegt hat. Da gab es viele Türken mit Türkei-Trikot und | |
Deutschland-Fahne. Aber ich habe keinen Deutschen mit einem kleinen | |
türkischen Halbmond gesehen." Das habe ihn enttäuscht. | |
Mit ähnlichen Argumenten wiederholt sich die Diskussion andernorts auf der | |
Strecke von der Neuköllner Sonnenallee über den Hermannplatz zum Kottbusser | |
Tor. Bei Baris Volkan etwa, der aus dem altbackenen Frisörladen seines | |
Vaters einen "Styling-Salon" für Männer und Frauen gemacht hat. Oder im | |
Café Diyar am Kottbusser Tor, das deutsche Kamerateams so gern aufsuchen, | |
wenn sie Bilder türkischer Fans brauchen und stets Bilder türkischer Männer | |
liefern. Oder in einem der vielen Wettbüros, auch wenn hier letztlich | |
egoistische Interessen als Identitätsfragen überwiegen. | |
Selbst die Muradiye-Moschee macht da keine Ausnahme. Sie liegt in einem | |
dritten Hinterhof am Kottbusser Damm und ist offizielle Niederlassung der | |
umstrittenen Organisation Milli Görüs. Es ist außerhalb der Gebetszeit, in | |
der Teestube verfolgen vier Männer am Flachbildfernseher das vorletzte | |
Achtelfinale. "Diesen jungen Leuten mit den deutsche Fahnen und Trikots | |
geht es doch nur um die Show", keift der Frisör, der im Gemeinderaum einen | |
kleinen Laden hat. | |
"Mit dem Herzen" sei keiner für Deutschland, wie auch die Özils nur aus | |
Karrieregründen für Deutschland spielten. "Das sieht man schon bei den | |
Hymnen", meint er. Einer der Gäste, der 41-jährige Bauarbeiter Hüseyin | |
Vahim, widerspricht: "Meine Töchter identifizieren sich auch mit | |
Deutschland, sogar ich tue das, obwohl ich ein Importbräutigam bin", fügt | |
er, das letzte Wort ironisierend, hinzu. Er sei ja auch zugleich für | |
Fenerbahce Istanbul und dem Club seiner Heimatstadt Denizli. | |
Uneingeschränkte DFB-Fans scheinen unter den Deutscharabern viel | |
verbreiteter zu sein. Einer von ihnen hat es ungewollt zu bundesweiter | |
Bekanntheit gebracht: Ibrahim Bassal, ein Deutscher mit libanesischen | |
Wurzeln. Zusammen mit seinem Cousin, dem Tempelhofer CDU-Politiker Badr | |
Mohammed, hatte er die wohl größte Fahne der Stadt - 20 Meter lang, 5 Meter | |
breit - an dem Gebäude seines Handy- und Elektroladens in der Sonnenallee | |
gehisst. Warum? "Um zu zeigen: Das ist unser Land und unser Viertel, und | |
hier leben nicht nur Verbrecher." | |
Mit der Fahne zog er sich den Unmut von Teilen der Berliner Autonomen zu, | |
die zum "Fahnenklau" aufrufen. Einmal beschädigte ein Mann die Fahne, dann | |
tauchte eine Gruppe Vermummter auf, kurz darauf war die Fahne verschwunden. | |
"Das ist jetzt die dritte", sagt Bassal, jede habe 500 Euro gekostet. "Das | |
steht dir wirklich gut", ruft in diesem Moment ein bosnischer Nachbar | |
hinein, auf Bassals Fan-Outfit anspielend. "Ich tus für Neukölln, Habibi, | |
mein Freund", ruft Bassal. Er hat Spaß daran, selbst wenn er inzwischen im | |
Laden schläft und mit Verwandten Nachtwachen hält. | |
Auch wenige Meter weiter, wo die die Großfamilie Omeirat eine Metzgerei und | |
ein Café betreiben, haben wohl die Autonomen die Fahne geklaut. Aber die | |
Brüder Omeirat regen sich nicht weiter auf: "Hauptsache ist: Wenn | |
Deutschland spielt, ist das Café voll und die Stimmung Bombe", sagt der | |
27-jährige Khalid. Der drei Jahre jüngere Omar ergänzt: "Wir sind | |
Palästinenser aus dem Libanon, das ist auch meine Heimat, selbst wenn ich | |
noch nie da war und wahrscheinlich gar nicht dort leben könnte." Seine | |
gesamte Familie sei für Deutschland, aber niemand so begeistert wie seine | |
Tante Bahriya. | |
Die steht in ihrem großen Laden ein paar Meter die Sonnenallee runter: | |
bestickte Polstermöbel, Plastikblumen in allen Farben, Uhren in allen | |
Größen - es blitzt und leuchtet derart grell, dass das Wort Kitsch noch | |
untertrieben ist. Die 46-Jährige trägt Kopftuch, steht rauchend am Tresen | |
und hat einen herzlichen Charme, dem man sich nicht entziehen kann. | |
"Fußball ist mir egal, aber ich liebe Deutschland und ich bete ,Allah, | |
hilf, dass Deutschland gewinnt'", erzählt sie. Nach jedem Sieg fahre sie | |
Autokorso, sogar ein schwarz-rot-goldenes Kopftuch hat sie sich dafür | |
genäht. Tatsächlich ist auf dem nahe gelegenen Wochenmarkt am Maybachufer | |
nur die türkische, aber nicht die deutsche Fahne als Kopftuch erhältlich. | |
"Aber das wird sich bald ändern", versichert der Händler. "Ich wurde schon | |
ein paarmal danach gefragt." | |
Der Buchhändler Levent Bayram hat keine Fahne angebracht: "Das ist nicht | |
meine Art, und eine Fahne macht mich nicht zum besseren Bürger", sagt der | |
35-jährige studierte Germanist, der stolz darauf ist, dass sein Sortiment | |
nicht ausschließlich seine politischen Ansichten repräsentiere. | |
Andererseits: "Ich war schon immer für Deutschland, selbst als alle meine | |
türkischen Mitschüler dagegen waren. Im Gegensatz zu den meisten aus meiner | |
Generation ist mein Fußballidol nicht Maradona, sondern Matthäus. | |
Seinetwegen bin ich Bayern-Fan." | |
Dass umgekehrt das Vorhandensein einer Fahne kein Bekenntnis sein muss, | |
beweist die 54-jährige Zühre. Sie hat in einer Nebenstraße von | |
Nord-Neukölln einen Kiosk. "2006 war ich für Deutschland, damals waren wir | |
Türken die Ersten, die die Fahnen aufgehängt haben." Jetzt aber will sie | |
nicht mehr mitfeiern. Allein wie die EU die Türkei behandle, zeige, was die | |
Deutschen von den Türken hielten. Außerdem: "Die Deutschen können sich nur | |
eine Stunde lang freuen. Nur ihre Arroganz reicht lange." Warum sie | |
trotzdem die Fahne gehisst hat? "Hier verdiene ich mein Brot", sagt sie. | |
"Und wenn mein Liebling Maradona die fertigmacht, werde ich ,schade' sagen. | |
Und mich freuen, ganz still." | |
30 Jun 2010 | |
## AUTOREN | |
Deniz Yücel | |
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Deniz Yücel | |
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