# taz.de -- Volker Ratzmann (Grüne) zur Wahl 2011: "Wir werden keine Revolutio… | |
> Ein Jahr vor den Wahlen sehen Umfragen die Partei weit vorn. | |
> Fraktionschef Volker Ratzmann könnte vom Amt des Regierenden träumen - | |
> wäre da nicht Renate Künast, die wohl Spitzenkandidatin wird. Wurmt ihn | |
> das? | |
Bild: Der Fraktionschef der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Volker Ratzma… | |
taz: Herr Ratzmann, wenn der Umfrage-Boom anhält, landen die Grünen bei der | |
Wahl 2011 bei 50 Prozent. Welche drei Dinge würde Sie als Erstes ändern? | |
Volker Ratzmann: Erstens: den Schulen und Kitas ermöglichen, ein gutes | |
Bildungsangebot zu machen. Zweitens: ein wirkungsvolles Klimaschutzgesetz, | |
damit in den Mietshäusern mehr Energie gespart werden kann. Drittens: Wir | |
würden sehr schnell den Politikstil des Senats ändern, hin zu mehr | |
Partizipation und Dialog auch jenseits von Wahlen und Volksbegehren. | |
Und was ist mit klassisch grünen Träumen: Tempo 30 stadtweit? Radspuren | |
überall? | |
Klar sind das Themen, die wir anpacken würden, aber nicht kleinteilig, | |
sondern als Teil eines neuen Mobilitätskonzepts für Berlin. Gerade hier | |
können wir diese Vision entwickeln, hier hat doch noch nicht mal jeder | |
Dritte ein Auto. | |
Wer müsste denn Angst haben vor einem grünen Senat? | |
Keiner. Warum sollte jemand Angst haben? | |
Weil ihm die neue Regierung Pfründen nimmt, Dinge verändert, Engagement | |
verlangt? | |
Dann müssen nur die Angst haben, die einfach nur dasitzen, das Alte | |
erhalten wollen und sich keinen Millimeter bewegen. Wir wollen natürlich | |
Veränderung. Das wird sich für ganz, ganz viele positiv auswirken. | |
Was heißt das konkret? | |
Wir wollen mit einem Green New Deal die Wirtschaftskraft der Stadt stärken. | |
Das heißt, dass diejenigen, die sich trauen, selbst unternehmerisch tätig | |
zu werden, eine Chance bekommen auch Sinnvolles zu produzieren. Die ganze | |
Welt redet darüber, dass wir riesige Investionen für Klimaschutz und | |
erneuerbare Energien tätigen müssten. Da geht es weltweit um mehrere | |
Billionen Dollar. Und wir haben die Chance, uns einen Teil davon zu holen | |
und damit auch neue Arbeitsplätze zu schaffen. | |
Viele Berliner sehen Veränderung eher als Bedrohung, schon weil die Mieten | |
steigen. | |
Dass wir den Prozess der Veränderung steuern müssen, sodass niemand auf der | |
Strecke bleibt, ist klar - gerade bei einem brutalen Verdrängungswettbewerb | |
wie jetzt im Graefekiez in Kreuzberg. Aber dass sich etwas verändert, | |
werden auch wir nicht stoppen können. Das kann auch nicht das Ziel von | |
Politik sein. Wo aber Hauseigentümer mit unfairen Mittel für kurzfristige | |
Renditen kämpfen, da muss man eingreifen. | |
Wie denn? | |
Indem wir Mietwucher schneller unterbinden können. Wir wollen zudem die | |
Möglichkeit eindämmen, die Modernisierungskosten auf die Mieten | |
aufzuschlagen. Und wir brauchen einen Bestand an öffentlichen Wohnungen | |
nicht nur in den Outskirts, den Vororten. | |
Berlin lebt von einer agilen und kreativen Szene, die die Freiräume nutzt, | |
auch für die vielen Clubs. Wie kann grüne Politik dafür sorgen, dass die | |
nicht verdrängt wird? | |
Die Instrumente sind eher planerisch. Es kommt darauf an, in | |
Genehmigungsverfahren früh Areale für die Clubszene zu sichern. Da müssen | |
sich Verwaltung und Politikstil dringend ändern. Und die unterschiedlichen | |
Interessen müssen frühzeitig und vorausschauend beteiligt werden. | |
Die Clubszene wurde, ohne dass Stadtplaner aktiv wurden, zum anerkannten | |
Wirtschaftsfaktor für die Tourismusstadt. Bräuchte Berlin so etwas wie | |
einen Senator für Freiraumpflege? | |
Nein! Das ist originäres Geschäft von jemandem, der sich auf die Fahne | |
schreibt, Stadtentwicklung zu betreiben. Auch ein Wirtschaftssenator müsste | |
gucken: Was habe ich da für ein Potenzial? Will ich das? Und wenn ich das | |
will, muss ich auch in Kauf nehmen, dass anderes da nicht mehr geht. | |
Unterschiedliche Interessen gibt es auch bei der A 100. Die SPD ist wieder | |
für die Verlängerung, die CDU sowieso. Ist die Autobahn die erste Kröte, | |
die die Grünen in den Koalitionsverhandlungen 2011 schlucken? | |
Die Gefahr liegt doch mehr darin, dass Klaus Wowereit mit dem Beschluss für | |
die A 100 ein rot-schwarzes Bündnis vorbereitet hat. Warum sonst wirft sich | |
der Mann mit seinem ganzen politischen Gewicht in die Bresche? | |
Die Frage war: Ist das grüne Nein zur A 100 verhandelbar? | |
Nein, sicher nicht, aber das entscheidet die Partei. Ich sage nur, wir | |
werden alles tun, den Weiterbau zu verhindern. | |
Das haben Ihre Parteikollegen in Hamburg auch gesagt, als es um das | |
Kohlekraftwerk Moorburg ging. Dann kam die schwarz-grüne Koalition und | |
alles anders. | |
Deshalb passen wir jetzt auf, dass der Senat den Bau juristisch nicht so | |
festzurrt, dass wir ihn gar nicht mehr stoppen können. Nach unserem | |
Kenntnisstand ist die A 100 noch nicht in so einem Stadium, anders als | |
damals Moorburg. Aber wir werden keine Revolution anzetteln können, falls | |
es Rot-Rot gelingt, vor der Wahl Pflöcke einzuschlagen, die wir juristisch | |
nicht mehr rausziehen können. | |
Apropos Revolution: Stellen wir uns doch mal einen grünen Innensenator vor | |
- nennen wir ihn Volker Ratzmann -, der am 1. Mai die Polizei führt und | |
dann kommt es zu heftigen Krawallen mit der linken Szene. | |
Wir halten das Konzept, das die Polizei seit 2002 fährt, für richtig: | |
Deeskalation und möglichst weite Freiräume für politische Artikulation. | |
Aber wo es zu Gewalttätigkeiten kommt, muss die Polizei mit | |
rechtsstaatlichen Mitteln dagegenhalten. | |
Rot-Rot hat sich vor fünf Jahren auf die individuelle Kennzeichnung der | |
Polizisten geeinigt. Bis heute gibt es sie aber nicht. Wie lange bräuchte | |
ein grüner Innensenator dafür? | |
Nicht lange. Denn wir würden das über eine gesetzliche Regelung machen, | |
nicht über eine Dienstvereinbarung. Vor allem wollen wir keine | |
Kennzeichnung mit Namen, sondern mit Nummern. | |
Glauben Sie eigentlich an die hohen Umfragewerte für Ihre Partei? Die FDP, | |
die vergangenes Jahr nach oben schoss, ist inzwischen abgestürzt. | |
Wir sind jetzt seit einem Jahr fast konstant über 20 Prozent, zuletzt sogar | |
bei 25 - das ist kein kurzfristiges Phänomen mehr. Für uns bedeutet das, | |
größere Verantwortung zu übernehmen und ein breiteres Politikspektrum | |
abzudecken. Die Kunst wird darin liegen, grüne Radikalität und Vision zu | |
behalten und trotzdem Umsetzungsschritte zu entwickeln, die keinem Angst | |
einjagen. Wir sind kein Bürgerschreck mehr. | |
Machen Sie sich Sorgen um die FDP? Wenn die aus dem Parlament fliegt, | |
könnte es noch mal für Rot-Rot reichen. Kommt sie rein, wären die Grünen | |
mit Jamaika auf der sicheren Seite. | |
Ach, ich weiß nicht, ob eine Jamaika-Koalition wirklich so attraktiv ist. | |
So wie die FDP sich derzeit verhält und aufstellt, ist sie kein Partner für | |
uns. Ich würde aber gern für den Rest der Legislaturperiode wieder zu einem | |
normalen Umgang kommen. | |
Und die CDU? Glauben Sie, dass die noch einen attraktiven Spitzenkandidaten | |
herbeizaubert? | |
Nein. | |
Umso besser für Sie. Nach den jüngsten Umfragen könnten die Grünen | |
Juniorpartner der SPD werden - oder Chef einer Koalition mit der CDU. Wofür | |
würden Sie sich entscheiden? | |
Das ist schwierig, weil es davon abhängt: Was macht der Partner mit? Ich | |
würde das stark an inhaltlichen Fragen festmachen, beispielsweise an einem | |
visionären Verkehrskonzept, der Stärkung der Green Economy, einer neuen | |
Struktur für Charité und Vivantes. | |
Ist es die historische Möglichkeit, erstmals als Grüne ein Bundesland zu | |
führen, nicht wert, Abstriche zu machen? Das muss doch eine Rolle spielen. | |
Das spielt natürlich eine Rolle. Aber ich habe doch nichts gewonnen, wenn | |
ich mit einer Partei regiere, die mir so viel abringt, dass ich kaum ein | |
wichtiges Projekt umsetzen kann. | |
Die halbe Stadt wartet, dass Renate Künast grüne Spitzenkandidatin wird. | |
Keiner ruft nach Volker Ratzmann, der seit Jahren als Fraktionschef ackert. | |
Kratzt das an Ihrem Ego? | |
Bei dem Sprung, den wir gerade machen, ist keine Platz für persönliche | |
Eitelkeiten … | |
… aber es gibt sie, oder? | |
Klar. Aber man muss das doch mal nüchtern betrachten. Ich bin seit 2001 im | |
Parlament, seit 2003 Fraktionsvorsitzender, habe viel gelernt in dieser | |
Zeit und war erfolgreich. Ich habe auch keine Angst vor Herausforderungen - | |
sich auf dem Niveau von Klaus Wowereit zu bewegen, ist für die grüne | |
Fraktion keine große Schwierigkeit. | |
Das spricht doch alles für den Spitzenkandidaten Ratzmann. | |
Aber wenn ich die Möglichkeit habe, die bundesweit beliebteste Grüne zu | |
gewinnen, die zehn Jahre mehr Erfahrung auf allen politischen Ebenen hat, | |
dann greife ich doch zu. Als ich mein erstes Jura-Examen gemacht habe, war | |
Renate Künast längst Abgeordnete. Sie hat die rot-grüne Regierung 1989/90 | |
in Berlin begleitet, sie war Fraktionschefin im Abgeordnetenhaus, | |
Bundesvorsitzende und Bundesministerin. Das sind Erfahrungen, die kann ich | |
nicht in die Waagschale werfen - und auch kein kein Wowereit. | |
Das war jetzt eine Hymne auf Renate Künast. Was machen Sie eigentlich, wenn | |
sie nicht als Spitzenkandidatin zur Verfügung steht? Was ist der Plan B? | |
Dafür müsste ja erst mal der Plan A feststehen. | |
Die Grünen irren doch wohl nicht planlos herum? | |
Nein, aber auch nicht mit einem sozialistischen Einheitsplan. Wir werden | |
zum Jahresende hin die Weichen stellen. Drängen lassen wir uns nicht. | |
15 Jul 2010 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
Gereon Asmuth | |
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