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# taz.de -- Argentinische Landwirtschaft: Das Gift in der Lunge
> Der Sojaanbau boomt im Direktsaatverfahren. Das nur mithilfe des
> Herbizids Glyphosat möglich ist. Ein Allesvernichter. Die
> Asthma-Erkrankungen häufen sich. Eine Geschichte aus San Jorge.
Bild: Viviana Peralta kämpft für ihre Tochter Ailén.
SAN JORGE taz | Wo der Asphalt auf den Straßen in Lehm übergeht, beginnt
das Barrio Urquiza. Die Häuser stehen vereinzelt, Wasche hängt auf den
Leinen, Pferde und Esel grasen. "Un barrio humilde", ein bescheidenes
Stadtviertel am Rand der Kleinstadt San Jorge in der argentinischen Provinz
Santa Fe. Ganz am Ende wohnen die Peraltas. Auf den Wasseranschluss warten
sie noch immer, der an die Kanalisation ist vorhanden.
Nesthäkchen Ailén feiert bald den dritten Geburtstag. Wenn der kleine
Blondschopf tief Luft holt, diese anhält und mit vollen Backen wieder
ausbläst, strahlt das Gesicht von Mutter Viviana Peralta. "Sie muss nur
noch einmal pro Tag inhalieren", sagt Viviana Peralta, "weil drüben nicht
mehr gesprüht wird."
"Drüben", das ist die andere Seite der Straße. Hier beginnen die Felder,
auf denen jahrelang Soja gepflanzt wurde. Zwei Erntezyklen im Jahr. Pro
Zyklus kamen die Sprühfahrzeuge mindestens dreimal. Nicht selten wurde aus
der Luft gesprüht. Einmal war Viviana Peralta auf das Feld gegenüber
gerannt, hatte Erdbrocken geworfen, das riesige Sprühfahrzeug aufzuhalten
versucht. Verzweiflung, Wut, Todesangst um ihre kleine Tochter.
In der Wohnküche ist ein Kommen und Gehen. Sechs Kinder hat die Familie
Peralta. Ailén ist die Jüngste. Als sie sechs Monate alt war, mussten die
Eltern mit ihr Hals über Kopf in die Provinzhauptstadt fahren. "Sie wäre
uns fast erstickt." Drei Tage hing Ailén im Kinderkrankenhaus an der
Sauerstoffflasche.
"Zum Glück mussten die Ärzte den Luftröhrenschnitt dann doch nicht machen."
Die Mutter betrachtet die Schere, legt sie beiseite. "Ailén hatte etwas,
wofür die Ärzte keinen Namen hatten." Immer wieder habe sie sich gefragt:
Was lässt sie nicht atmen? Was ist das? Und eines Tages machte es "klick":
"Die sprühen wieder. Das ist es."
"Der Arzt hat damals gesagt: ,Einigen Sie sich mit dem Grundbesitzer, der
soll Ihnen ein Haus im Zentrum kaufen.' " Jetzt klopft die Faust auf den
Tisch. "Das hier ist unser Haus. Wir sind die Eigentümer unserer Häuser,
unserer Gesundheit. Ich will nicht, dass der Grundbesitzer gegenüber vor
unserem Haus sprüht."
Sinkende Geburtenrate
San Jorge ist eine Kleinstadt in der Provinz Santa Fe. 25.000 Menschen
leben hier. Nach dem landestypischen Schachbrettmuster gebaut, streckt sich
die Stadt von der Plaza San Martín im Zentrum in alle vier
Himmelsrichtungen aus. Drum herum Sojafelder.
"Es ist offen", ruft Fabiana Goméz und sortiert weiter die neue Lieferung
Strampelanzüge. Ihren kleinen Laden "Fürs Baby, bis es laufen kann" hat sie
vor vier Jahren nach der Geburt ihres Sohnes eröffnet. Der Kleine ist
gesund und munter, aber mit einem Geschwisterchen will es nicht klappen.
"Als wir beim Arzt in Rosario waren, hat der meinen Mann zuerst gefragt, ob
er in der Landwirtschaft arbeitet." Die Wahrscheinlichkeit, dass sein
Sperma wegen der Agrochemikalien an Zeugungskraft verliere, sei gegeben.
Ihr Mann sei beileibe kein Einzelfall in der Region. Einschlägige
Untersuchungen gibt es keine, aber Erfahrungen sammelt der Arzt in Rosario
schon. Jetzt warten die Goméz auf das Resultat.
"Hier im Laden kommt man ja leicht ins Gespräch unter Frauen. Ich höre
immer häufiger, dass es mit dem Kinderkriegen nicht klappt." Zudem ist die
Zahl der Zwillingsgeburten gestiegen, was auf Nachhilfe schließen lässt.
Gomez hat von ihrem Hausarzt die Einnahme von Vitamin C empfohlen bekommen.
"Ich kann zwar die Ladentür offen lassen, so sicher ist San Jorge, aber die
Agrochemie findet man in der ganzen Stadt."
Zwei Straßen weiter hat Susana Manzano ihre Praxis. Die Biochemikerin führt
Blutuntersuchungen durch. "Statistisch gesehen sterben wir in San Jorge
alle an Atemstillstand. Aber die Ursachen dafür findet man nicht in der
Statistik", sagt sie. Obwohl die Krebserkrankungen zunehmen und immer mehr
junge Männer an Unfruchtbarkeit leiden. "Das sind alles Beobachtungen,
wissenschaftliche Beweise oder Untersuchungen gibt es keine." 2000 ist für
Manzana das entscheidende Jahr. Davor gab es wenig Soja und kaum Glyphosat.
Dann begann der Sojaboom. "Es muss einen Zusammenhang geben", schließt
Manzano.
Nachdem es bei ihr "klick" gemacht hatte, begann Viviana Peralta ihren
Kampf gegen die Agrochemikalien vor ihrer Haustür. "Mit meiner Nachbarin
bin ich von Haustür zu Haustür gegangen und habe Unterschriften gesammelt."
Sie bekamen nicht nur die Unterschriften von 23 Familien, sondern erfuhren
auch viel über die Leiden in der Nachbarschaft, von Hunden und Katzen,
denen das Fell ausgegangen war, von Hühnern und Enten, die über Nacht
einfach gestorben waren. "Es gab keine Familie, die nicht irgendwie
geschädigt war."
Auf dem Bürgermeisteramt von San Jorge fühlte sich niemand zuständig. Im
Gegenteil. Im November 2008 kündigte die Stadtverwaltung neue Sprüheinsätze
an - notfalls unter Polizeischutz. Die Peraltas erwirkten durch eine
einstweilige Verfügung ein vorläufiges Verbot.
Im März 2009 untersagte dann ein Gericht erstmals den Grundbesitzern, in
einem Radius von 800 Metern um das Barrio Urquiza Glyphosat und andere
Agrochemikalien einzusetzen. Für das Ausbringen per Flugzeug wurde ein
Radius von 1.500 Metern festgelegt. Der Widerspruch von Produzenten und
staatlichen Behörden erfolgte prompt, die betroffenen Bewohner hätten für
die behaupteten Gesundheitsschäden keinerlei wissenschaftlich fundierten
Beweise vorgelegt.
Ende 2009 wies das Berufungsgericht der Provinz Santa Fe den Widerspruch
nicht nur ab, sondern legte erstmals und eindeutig in der argentinischen
Rechtsprechung fest, wer die Beweislast trägt. Es sei gerade die - auch
wissenschaftliche - Unsicherheit über die Konsequenzen des
Herbizideinsatzes, die den Gebrauch in unmittelbarer Nähe von Bewohnern
nicht zulasse. Die staatlichen Behörden sollten innerhalb von sechs Monaten
die Unbedenklichkeit von Glyphosat und anderen Agrochemikalien nachweisen.
"Wir sind erst mal ganz still geblieben. Denn auch dagegen hätten sie noch
Widerspruch einlegen können", sagt Viviana Peralta. Ende März war die Frist
abgelaufen. Niemand hatte Berufung eingelegt. "Jetzt rührten wir die
Trommeln." Das Medienecho machte San Jorge und die Bewohner von Barrio
Urquiza über Nacht republikweit bekannt.
In der Straße Irigoyen steht ein roter Klinkerbau. Victor Trucco, einer der
Pioniere des Sojaanbaus in Argentinien, öffnet die Haustür. "Es ist noch
gar nicht lange her, da standen hier vorne die Eisenbügel, an denen die
Pferde festgebunden wurden." San Jorge war damals ein unbedeutendes Dorf.
"Heute haben wir hier die besten Sojafelder des Landes." 1.000 Hektar Land
hat Truco gepachtet.
Ein zehn Zentimeter dickes Buch liegt auf dem Wohnzimmertisch bereit. "Das
sind die ganzen Unterlagen, die die Herstellerfirmen der Regierung
vorgelegt haben", erklärt er. "Hier, Glyphosat, wofür man es verwenden darf
bis zu den Information über die toxische Wirkung."
1989 gründete Truco die Aapresid (Asociación Argentina de Productores en
Siembra Directa), deren Ehrenpräsident er heute ist. Sie ist eine der
wichtigsten Lobbyisten für die Direktaussaat von Transgensoja und den
Einsatz von Glyphosat. Mitglieder sind nicht nur Produzenten. Auf der
Internetseite sind als Firmenmitglieder alle zu finden, die im Bereich
Agrochemie Rang und Namen haben: Monsanto, BASF, Bayer, Compo, Syngenta.
Millionen Liter Pestizide
"Als wir in den 1980er Jahren mit der Direktaussaat von Soja anfingen,
benutzten wir zwei Liter Glyphosat pro Hektar. Damals war der Ertrag aber
auch nur die Hälfte von dem, was wir heute ernten." Heute wird mindestens
dreimal pro Wachstumszyklus Glyphosat auf die Felder ausgebracht. Pro
Hektar kommen mindestens 10 Liter zusammen. Mit 19 Millionen Hektar
kletterte die Anbaufläche im Jahr 2009 auf ein neues Rekordhoch. Zu den 190
Millionen Liter Glyphosat kommen noch Millionen Liter an Pestiziden und
Fungiziden.
Das gerichtlich angeordnete Sprühverbot nennt Victor Truco Unfug. "Ich bin
damit einverstanden, dass an einem Haus kein Sprühfahrzeug vorbeifahren
darf. Glyphosat ist kein Weihwasser, damit muss man vorsichtig und
ordnungsgemäß umgehen." Was im Barrio Urquiza passierte, sei ein Unfall
gewesen. Einen kausalen Zusammenhang von Glyphosateinsatz und dem Steigen
der Krebsrate sieht er nicht.
"Absurd ist das schon", sagt Viviana Peralta. "Jetzt haben wir in San Jorge
Bürger erster und zweiter Klasse." Die Schutzzone gilt nur für die 300
Bewohner im Barrio Urquiza. Im Viertel schwirren die Libellen durch die
Luft, die Grillen zirpen, die Frösche sind zurük. "Seit nicht mehr gesprüht
wird, ist das Leben zurückgekehrt", sagt Viviana Peralta. Töchterchen Ailén
zeigt dabei, wie tief Luftholen geht.
20 Jul 2010
## AUTOREN
Jürgen Vogt
## TAGS
Soja
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