# taz.de -- Künstler setzen auf Verzögerung: Tacheles bleibt ungeräumt | |
> Eine Räumung des Tacheles ist vorerst abgewendet. Was langfristig mit dem | |
> Kunsthaus passiert, bleibt unklar. Sicher ist: Das Grundstück wird den | |
> Besitzer wechseln. | |
Bild: Vorerst dürfen die Künstler weitermalen. | |
Eine Räumung des Kunsthauses Tacheles ist vorerst vom Tisch. Die für | |
nächste Woche angekündigte Räumung wird an den schwer durchschaubaren | |
Nutzungsverhältnissen des Kunsthauses scheitern. Denn die dort arbeitenden | |
Künstler sind längst nicht mehr im Tacheles-Verein organisiert, gegen den | |
der aktuelle Eigentümer den Räumungsbescheid erwirkt hatte. | |
Die Kunstruine in der Oranienburger Straße soll geräumt werden, weil nicht | |
nur der Tacheles-Verein, sondern auch dessen ehemaliger Vermieter, eine | |
Tochter der Fundus-Gruppe, insolvent ist. Deren Gläubiger, die HSH-Nordbank | |
strebt eine Zwangsversteigerung an. Der zehnjährige Mietvertrag zwischen | |
der Fundus-Tochter und dem Tacheles - die symbolische Monatsmiete betrug 50 | |
Cent - war Ende 2008 abgelaufen. Für die Zeit danach hat die HSH-Nordbank | |
eine Nutzungsentschädigung von 108.000 Euro eingefordert. Der | |
Tacheles-Verein musste daraufhin Insolvenz anmelden. Laut | |
Insolvenzverwalter Joachim Voigt-Salus wird das Verfahren nächste Woche | |
beginnen. Dann wird der Zwangsverwalter der Bank die Herausgabe des | |
Tacheles verlangen. | |
Doch Tacheles ist nicht gleich Tacheles: "Die Künstler betrifft die | |
Räumungsklage nicht, da sie längst keine Mitglieder des Vereins mehr sind", | |
sagt die Sprecherin des Kunsthauses Linda Cerna. Auch wenn die 30 Künstler | |
keine gültigen Mietverträge haben, können sie nicht einfach vor die Tür | |
gesetzt werden. "Der Eigentümer hat die Räumung nur gegen die | |
ursprünglichen Mieter erstritten, gegen jeden neuen Nutzer müssen sie neue | |
Räumungsprozesse durchführen", erklärt der Insolvenzverwalter. Die Künstler | |
sind nicht mehr im Verein organisiert und mit den Gastronomen im | |
Erdgeschoss liegt der Verein schon seit Jahren im Streit. Auf Grund dieser | |
komplexen Nutzungsverhältnisse sind in den vergangenen Wochen bereits zwei | |
angekündigte Räumungen gescheitert. | |
Damit schinden die Künstler Zeit und fordern, dass das Tacheles vom Rest | |
des 25.000 Quadratmeter großen Areals abgetrennt wird, das die HSH-Nordbank | |
versteigern will. Sie wollen, dass das Gebäude in eine öffentliche Stiftung | |
überführt wird. Das wäre ihrer Ansicht nach möglich, indem das | |
Tacheles-Grundstück aus dem Bebauungsplan für das gesamte Areal | |
herausgelöst wird. Aus dem Bezirksamt heißt es allerdings, dass eine | |
Änderung des Bebauungsplanes nichts an der Zukunft des Gebäudes ändern | |
würde. Mit dem Verkauf müsse der Plan, der aus dem Jahr 2003 stammt, | |
vermutlich sowieso noch einmal geändert werden. Und unter Denkmalschutz | |
stehe das Gebäude bereits jetzt. Außerdem ist eine Nutzung für "kulturelle | |
Zwecke" festgeschrieben. | |
"Wir gehen davon aus, dass es zu einer Zwangsversteigerung kommt und damit | |
auch zu einem Eigentümerwechsel", sagt Thorsten Wöhlert, Sprecher des | |
Kulturstaatssekretärs André Schmitz. Obwohl der Senat das Gelände nicht | |
kaufen werde, wolle man Kontakt zu einem zukünftigen Investor aufnehmen. | |
Vorstellbar sei beispielsweise, dass Ateliers in dem Gebäude im Rahmen des | |
Atelierprogramms gefördert werden und somit günstiger an Künstler vermietet | |
als bei einer direkten Anmietung bei dem neuen Eigentümer. In den | |
Startlöchen steht bereits Harm Müller-Spreer, Investor des umstrittenen | |
Spree-Dreiecks. Nach Angaben von Cerna habe er Interesse am Gesamtareal | |
geäußert. | |
Derweil gibt es aus Teilen der linken Szene Kritik an der derzeitigen | |
Nutzung des Tacheles. So seien bei der angekündigten Räumung des Café | |
Zapata am Mittwoch vor allem Angehörige der "Party-, Yuppie- und | |
Kunstszene" als Unterstützer vor Ort gewesen. In einer Erklärung der | |
"Bewegung Schwarzer Phönix" heißt es: "In den letzten fünfzehn Jahren war | |
das Tacheles ein Ort des Kommerz, des Konsums und der Selbstbezogenheit." | |
Die Räumung solle daher abgewehrt, die aktuellen Nutzer rausgeworfen und | |
das Tacheles wiederbesetzt werden. | |
23 Jul 2010 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
Kathleen Fietz | |
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