# taz.de -- Katastrophe auf der Loveparade: Der Tunnelblick der Verantwortlichen | |
> Sie wollten feiern - dann kam es zur Massenpanik auf der Loveparade. | |
> Schon im Vorfeld gab es Warnungen: Der alte Güterbahnhof in Duisburg sei | |
> ungeeignet. | |
Bild: Der Tunnelzugang zum Gelände der Loveparade. | |
Es ist ein Dokument der Hilflosigkeit und der Jämmerlichkeit. Im Duisburger | |
Rathaus treten am Sonntagmittag die Verantwortlichen von Stadt und Polizei | |
gemeinsam mit dem Veranstalter der Loveparade vor die Presse. Eine Stunde | |
lang ergehen sie sich in Ausflüchten und Ausreden. Niemand will die | |
Verantwortung für das Fiasko übernehmen, niemand schuld sein. Eine | |
Erklärung, wie es dazu kommen konnte, dass am Tag zuvor 19 Menschen bei dem | |
Techno-Spektakel ihr Leben verloren und mehr als 340 verletzt wurden, | |
können oder wollen sie nicht liefern. "Die gesamte Angelegenheit wird | |
Gegenstand eines Untersuchungsverfahrens sein", sagt Krisenstabsleiter | |
Wolfgang Rabe, der Leiter des Dezernats für Sicherheit und Recht der Stadt | |
Duisburg. Die Stimmung im Saal wird immer gereizter. "Es sind Menschen | |
gestorben und Sie eiern hier herum", empört sich ein Journalist. | |
Es war Samstag kurz nach 17 Uhr, als die Katastrophe an dem Tunnelzugang | |
zum Partygelände auf dem Alten Güterbahnhof in Duisburg ihren Anfang nahm. | |
Die zahlreichen Berichte, was sich am Samstag gegen 17 Uhr vor, hinter und | |
in dem rund 120 Meter langen und 16 Meter breiten Unterführungstunnel hin | |
zu dem Partygelände auf dem Alten Güterbahnhof in Duisburg zugetragen hat, | |
sind schockierend. Die Raver hätten Atemnot bekommen. Sie seien gestoßen | |
und geschubst wurden. Einige kollabierten. Es habe Todespanik geherrscht. | |
"Überall lagen Menschen auf dem Boden herum", schildert ein Augenzeuge. | |
Teilweise seien fünf bis sechs Personen übereinander geschoben worden. Um | |
dem fürchterlichen Gedränge vor dem einzigen Eingang zu dem Festivalareal | |
zu entkommen, kletterten nach ersten Erkenntnissen Teilnehmer an dem völlig | |
überfüllten Tunnel auf eine abgesperrte Nottreppe an der Tunnelaußenseite - | |
und stürzten aus mehreren Metern Höhe in den Tod. Am Sonntag Nachmittag | |
waren 18 der 19 Todesopfter identifiziert. Unter den Todesopfern befinden | |
sich auch vier Menschen aus den Niederlanden, Australien, Italien und | |
China. | |
Den Veranstaltern, aber auch der Duisburger Stadtverwaltung und der Polizei | |
hätte klar sein müssen, wie schnell die Party-Location zur Todesfalle | |
werden konnte: Der seit Jahren stillgelegte und abgeräumte Duisburger | |
Güterbahnhof liegt eingezwängt zwischen der Bahnstrecke zwischen | |
Duisburg-Düsseldorf und der Autobahn 59. Nur ein einziger, rund 120 Meter | |
langer und knapp 20 Meter breiter Tunnel unter den Gleisen sollte | |
gleichzeitig als Ein- und Ausgang dienen. Außerdem war das gesamte Gelände | |
eingezäunt - um die Raver davor zu schützen, auf die "in Tieflage" durch | |
Duisburg laufende Autobahn zu stürzen, wie der stellvertretende | |
Polizeipräsident Detlef von Schmeling sagte. | |
Einmal auf dem Gelände, waren die Menschen zwischen Schienen und Autobahn | |
gefangen. Dabei scheint das Areal von Beginn an viel zu klein für die | |
Hunderttausende gewesen zu sein, die am Samstag zu dem Mega-Event drängten. | |
Krisenstabsleiter Wolfgang Rabe spricht von "250.000 bis 350.000 Menschen", | |
die der Platz habe fassen können. Den Veranstaltern hätte also bereits im | |
Vorfeld klar sein können, dass sie auf eine Katastrophe zusteuern - | |
schließlich geben sie die Besucherzahlen der Love Parade in Essen 2007 mit | |
1,2 Millionen an. 2008 in Dortmund sollen es sogar 1,6 Millionen gewesen | |
sein. | |
Detlef von Schmeling vom Polizeipräsidium Duisburg versucht deshalb, die | |
Zahl der anreisenden Techno-Fans kleinzureden: Von mehr als einer Millionen | |
Besucher wisse er "nur aus der Presse". Die Bahn habe nach ihm vorliegenden | |
"belastbaren Zahlen" lediglich 105.000 Menschen nach Duisburg | |
transportiert. Ob die Polizei erst vor oder nach der tödlichen Enge im | |
Tunnel einen zweiten Zugang öffnete? Schmeling kann es nicht sagen. | |
Stattdessen ergeht sich Duisburgs zweithöchster Polizist in Floskeln: "Ich | |
kann nicht belegen, dass die Polizei den Zugang gesperrt hat", erklärt er. | |
Auch von einer Massenpanik will er nichts wissen. Das sei "ein wertender | |
Ausdruck über den Umfang des Geschehens", sagt Schmeling. | |
Für den Veranstalter sitzt Rainer Schaller auf dem Podium. "Eine | |
schreckliche Tragödie hat sich gestern ereignet", liest der Inhaber und | |
Geschäftsführer der Berliner Lopavent GmbH vom Blatt ab. "Die Loveparade | |
war immer eine friedliche Veranstaltung und fröhliche Party, die von den | |
gestrigen tragischen Unglücksfällen für immer überschattet sein wird", sagt | |
der 41-jähige Unternehmer, der mit seiner Billigfitnesskette McFit auch der | |
Hauptsponsor ist. "Dies bedeutet auch das Aus der Loveparade." | |
Eine Entscheidung, die Matthias Roeingh alias Dr. Motte, der Initiator der | |
Loveparade, ausdrücklich begrüßt. Der 50 Jahre alte DJ hatte die | |
"Liebesparade" 1989 in Berlin gegründet, sich jedoch 2006 von dem aus | |
seiner Sicht zu einer "Dauerwerbesendung" verkommenen Spektakel | |
zurückgezogen. Er fordert Konsequenzen für die Organisatoren, denen er | |
"totale Selbstüberschätzung" vorwirft. "Das ist das Wenigste, dass die | |
Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden und Buße tun." | |
Die Katastrophe kam nicht aus heiterem Himmel. Im Social Web sagten einige | |
Kommentatoren das Unglück sogar voraus. "Also in meinen Augen is das ne | |
Falle, das kann doch nie und nimmer gut gehen", warnte beispielsweise User | |
"klotsche" eindringlich vor dem Tunnel. "Ich seh schon Tote, wenn nach der | |
Abschlusskundgebung alle auf einmal über diese mickrige Straße das Gelände | |
verlassen wollen." | |
Laut der Deutschen Polizeigewerkschaft hatten auch die mit der Planung | |
beauftragten Sicherheitskräfte von Polizei und Feuerwehr schon im Vorfeld | |
deutliche Vorbehalte an dem Sicherheitskonzept geäußert. "Bereits vor einem | |
Jahr gab es Stimmen dahingehend, dass der Veranstaltungsort eigentlich | |
ungeeignet sei", heißt es in einer Erklärung des Verbandes. Der Plan von | |
Experten, zur Verhinderung Nadelöhrsituation die Teilnehmer "großflächiger" | |
anreisen zu lassen, hätte einen weitaus größeren Personaleinsatz erfordert | |
- und soll deshalb von der Stadtverwaltung schließlich verworfen worden | |
sein. | |
In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, ein User mit dem Namen | |
"klotsche" habe auf Twitter vor der Katastrophe gewarnt. Tatsächlich | |
veröffentlichte er die Warnung als Kommentar zu einem Artikel auf | |
derwesten.de. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen. | |
25 Jul 2010 | |
## AUTOREN | |
P. Beucker | |
A. Wyputta | |
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