Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Katastrophen bei Musikfestivals: Erst Roskilde, nun die Loveparade
> Beim Roskilde-Rockfestival starben im Jahr 2000 neun Menschen. Die
> Autorin war damals dort. Sie ist schockiert, dass daraus nichts gelernt
> wurde.
Bild: Am Tag danach: Polizei vor der Roskilde-Bühne, vor der im Jahr 2000 mehr…
Dass es bereits den zweiten Tag regnete, die großen Plätze vor den
Zeltbühnen also nicht nur durch stetiges Bier- und Uringetröpfel matschig
geworden waren, tat damals nichts zur Sache: Als im Jahr 2000 beim Konzert
von Pearl Jam auf dem Roskilde-Rockfestival neun Menschen von der Masse
totgedrückt wurden, hatte die renommierte Veranstaltung bereits seit dem
Jahr 1971 Erfahrung mit besoffenen Wikinger- und anderen Horden hinter
sich.
Der Boden direkt vor der Bühne war verstärkt worden, um die Rutschgefahr zu
bannen, und die Wavebreaker, 1,50 Meter hohe Metallbögen, verteilt auf den
Tribünen, die bei Bedarf den Druck der Publikumsmenge vermindern sollen,
hatten immer funktioniert. Die Veranstalter wiesen die Mutmaßungen, die
Opfer seien gegen diese Bögen gequetscht worden, stets nachdrücklich
zurück.
Ich war an jenem Freitag gegen 23 Uhr, als Eddie Vedder seine Lightversion
des Grunge von der ehemaligen Rolling-Stones-Bühne hinunternölte, auf dem
Weg zu The The im kleineren gelben Zelt - ich hatte keine Lust auf
gemeinsames "Im still alive"-Grölen, auf das bierselige Kollektiverlebnis,
das bei den Abendkonzerten der Abschluss eines stetig die Promille
erhöhenden Tages gewesen wäre. Um zum Gig zu kommen, musste ich aber über
die "Orange Scene", den großen Platz vor dem "Orange Tent". Und ich weiß
genau, dass mir auffiel, wie schwer es an diesem Abend war, sich seinen Weg
durch die dicht gedrängten ZuschauerInnen zu bahnen: Die BesucherInnen,
viele von ihnen hünenhafte Dänen, Schweden, Norweger - Roskilde wird wegen
seiner Lage vor allem von den skandinavischen Rockfans besucht - standen da
wie Ölgötzen, wie mächtige Galionsfiguren in Regencapes, und wichen kein
bisschen zurück, wenn man sich vorsichtig an ihnen vorbeidrängeln wollte.
Das Phänomen ist typisch für Massenveranstaltungen: Manche Menschen, nach
meiner Erfahrung meistens Männer, gehen nicht zur Seite, beugen nicht mal
den Oberkörper oder winkeln die Ellenbogen an, wenn man vorbeimöchte,
sondern bleiben stocksteif stehen und lassen einen aufprallen. An diesem
Abend passierte mir das so häufig wie noch nie, meine Freunde, die die
gleichen Erfahrungen gemacht hatten, und ich zogen später irritiert über
die stoischen Wikinger her, die das Blut aus den Schädeln ihrer Feinde und
eben auch gern zu viel Met trinken und dann anscheinend auf Rücksichtnahme
pfeifen. Mir fiel außerdem irgendwann auf, dass Pearl Jam zu früh aufgehört
hatte. Warum, erfuhr ich erst, als die Nachricht von der Katastrophe im
Pressezelt angekommen war.
Wieso die neun Menschen gestorben sind, wurde danach damit begründet, dass
einige Zuschauer gestolpert und die Umstehenden einfach über sie
rübergetrampelt seien. Wie eine Welle, die über ein kleines Boot schwappt.
Alkohol hatte also, wenn überhaupt, nur eine indirekte Rolle gespielt - was
soll ein Konzertveranstalter, der selbstverständlich von einer Bierfirma
gesponsert wird, auch anderes sagen? Und tatsächlich nachweisen kann man
den Zusammenhang zwischen bollerigem Verhalten und Alkoholgenuss nicht.
Dass bei den Loveparades, an denen, im Gegensatz zu den 100.000
Roskilde-BesucherInnen, in den letzten Jahren stetig über eine Millionen
Menschen teilnahmen, früher die Drogen eher weicher waren und mit der
Verballermannisierung der ehemaligen Technoparade der Vollsufflevel
gestiegen ist, müsste aber jedem klar sein.
Einer der Duisburg-DJs erzählte in der SZ von der erschreckend aggressiven
Stimmung, von Ravern, die ihm die Autoscheiben einschlagen wollten. Dass
auch Raver sich wie Rocker benehmen können und dass Menschen aggressiv
werden, wenn sie nur genug einfahren, ist seit Ewigkeiten bekannt. Damit
muss man rechnen. Dass die Duisburger Veranstalter und die Stadt die in
langen Jahren gesammelten, schmerzhaften Erfahrungen nicht angemessen
umsetzte, die Planung vollkommen danebenging und man anscheinend einfach
ignorierte, wie viele Fans bei diesem Event feiern wollten, ist - neben den
Toten - die zweite Katastrophe.
27 Jul 2010
## AUTOREN
Jenni Zylka
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Tragödie von Duisburg: Augenzeuge Internet
Knapp 7.000 Treffer liefert das Videoportal YouTube zur Loveparade in
Duisburg. Diese Privataufnahmen dürften nun von Interesse für die
ermittelnde Staatsanwaltschaft sein.
Nach Loveparade-Unglück: Gegenseitige Vorwürfe
Angeblich soll die Party-Genehmigung der Bauaufsicht erst am Sonntag der
Polizei vorgelegen haben. Der Veranstalter und die Polizei kritisieren sich
gegenseitig.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.