| # taz.de -- Interview mit Finanzsenator Nußbaum: "Ich bin nicht hier, um Ruhe … | |
| > Obwohl er selbst vermögend ist, plädiert Finanzsenator Ulrich Nußbaum | |
| > dafür, Reiche höher zu besteuern. Auch die eigenen Leute von Rot-Rot | |
| > provoziert der Parteilose gerne mit heiklen Themen. | |
| Bild: Einen bequemen Job will er nicht, und aufs Geld kommt es ihm auch nicht a… | |
| taz: Herr Nußbaum, vor kurzem haben Sie von Reichen mehr Gemeinsinn | |
| gefordert. Wo streuen Sie denn Ihr Geld als Ex-Fischhändler unters Volk? | |
| Ulrich Nußbaum: Woher wollen Sie denn wissen, dass ich vermögend bin? | |
| Das leite ich mal von der Größe Ihres Unternehmens ab. | |
| Alles Annahmen, über Geld redet man nicht. Aber gut, wo engagiere ich mich? | |
| Als Allererstes engagiere ich mich für Berlin mit dem Allerwertvollsten, | |
| was ich habe, nämlich meiner Zeit, indem ich hier als Finanzsenator | |
| arbeite. | |
| Gut, da machen Sie Ihren bezahlten Job so wie andere. | |
| Dass ich mich für Berlin engagiere, ist ein kostspieliges Projekt für mich. | |
| In der Zeit, in der ich hier bin, kann ich nicht mein privates Vermögen | |
| mehren wie vorher in meinem Unternehmen. | |
| Sie haben in der taz "Luxus" mal so definiert: Zeit haben und faulenzen. | |
| Diesen Luxus könnten Sie sich als Vermögender doch viel stärker erlauben. | |
| Das tue ich aber nicht, weil ich es mit dem alten Bibelspruch halte, dass | |
| man mit seinen Talenten wuchern soll, jetzt im positiven Sinne. Daraus | |
| leitet sich für mich die Verpflichtung ab, mich auch gesellschaftlich | |
| einzubringen. Das tue ich derzeit politisch und dazu gehört auch, dass ich | |
| jetzt mit Ihnen zu diesem Interview zusammensitze. Ich könnte Ihnen ein | |
| paar Orte nennen, an denen ich lieber sitzen könnte. | |
| Ich würde jetzt auch lieber die Tour-de-France-Bergetappe im Fernsehen | |
| gucken und bin trotzdem hier. | |
| So hat eben jeder sein Arbeitsethos. Sie schreiben ja auch aus einer | |
| bestimmten Überzeugung heraus für die taz, obwohl es da nicht so viel Geld | |
| gibt. | |
| Das scheint ja eine richtige Bewegung zu sein, dass Reiche von | |
| ihresgleichen Engagement fordern. Der Milliardär Nicolas Berggruen hat der | |
| taz jüngst gesagt, Reiche sollten mehr bezahlen, auch mehr Steuern. Sehen | |
| Sie das auch so? | |
| Das habe ich doch als einer der Ersten gefordert. Wenn man die Gemeinschaft | |
| zusammenhalten will, dann wird man als Wohlhabender auch in der deutschen | |
| Gesellschaft mehr abgeben müssen, ohne sich dabei komplett zu entkleiden. | |
| Wenn Sie die Reichen mehr in die Verantwortung nehmen wollen, hätten Sie | |
| doch niemals zustimmen dürfen, dass Rot-Rot die Kitas auch für Reiche | |
| gebührenfrei macht. Denen taten die paar hundert Euros nicht weh, Sie als | |
| Finanzsenator aber müssen nun anderswo nachsparen. | |
| Ich habe dazu eine klare persönliche Position: Ich brauche weder Kindergeld | |
| noch brauche ich Kita-Gebührenfreiheit. Ich könnte auch Studiengebühren | |
| zahlen. Trotzdem kann ich verstehen, dass eine Partei und gerade die SPD, | |
| die sehr stark für den freien Zugang zu Bildung gekämpft hat, aus | |
| grundsätzlichen Überlegungen heraus - man kann auch sagen: dogmatischen | |
| Überlegungen - sagt: Wir wollen Bildung unabhängig von Einkommen für | |
| jedermann zur Verfügung stellen. | |
| Aber kann man sich Dogmatik in Zeiten knapper Kassen erlauben? | |
| Ich finde, man kann es machen, muss sich aber dann das Geld, das man bei | |
| den Kitas nicht einnimmt, an einer anderen Stelle von finanzstärkeren | |
| Leuten zurückholen, indem man etwa die Steuern erhöht. | |
| Bloß blöd, dass Sie diese Steuern auf Landesebene nicht erhöhen können. | |
| Das hat ja nichts mit Landespolitik und nur mit Steuern zu tun. Es geht | |
| darum, in der Bundesrepublik insgesamt die Lasten gerecht zu verteilen. Die | |
| Frage ist immer: Gibt es eine gespürte Solidarität untereinander? Denn nur | |
| die lässt das Gemeinwesen ohne Gewalt oder Exzesse existieren und ohne | |
| Angst, allein abends auf der Straße unterwegs zu sein. | |
| Wie fühlen Sie sich denn als Freund edler Karossen in einer Stadt, in der | |
| nächtens vor allem solche Autos abgefackelt werden? | |
| Zu den Autos soll Ihnen der Innensenator eine Antwort geben. Ich nehme es | |
| so wahr, dass ich mich dort, wo ich wohne, selbst spät abends frei und mit | |
| null Angstgefühl bewegen kann. Solange das so ist, habe ich nicht den | |
| Eindruck, dass man sich hier jetzt gefährdet fühlen müsste. Ich bin in der | |
| Welt viel rumgekommen, ich kann Ihnen sagen: Es ist ein Privileg, so frei | |
| leben zu können. | |
| Sie wünschen sich generell, nicht nur bei den Reichen, mehr Menschen, die | |
| selbst etwas in die Hand nehmen und sich nicht nur gegen etwas engagieren. | |
| Die FDP würde Sie mit diesem Ruf nach mehr Eigeninitiative gern aufnehmen. | |
| Gucken Sie doch nicht immer durch so eine Parteischablone. | |
| Was heißt Schablone? Der Ruf nach Eigeninitiative ist in SPD nicht | |
| besonders laut. | |
| Das ist ja möglicherweise ein Fehler, das kann man ja ändern. Das soll auch | |
| gar nicht heißen, dass der Einzelne sich nur einbringen soll, damit der | |
| Staat dadurch Geld sparen kann. Meine These ist: Der Staat kann noch so | |
| viele Ressourcen zur Verfügung stellen - wenn die Menschen sich nicht | |
| engagieren, dann wird daraus nichts. | |
| Machen Sie das mal konkret. | |
| Wir können noch so viel Geld in Schulen stecken, in Lernmittel und Mensen | |
| und Lehrer: Wenn sich Eltern nicht auch ergänzend einbringen, dann kann der | |
| Staat das nicht auffangen. Es bedarf eines Wechselspiels, der Staat kann | |
| nicht persönliches Engagement ersetzen. | |
| Haben Sie in ihren inzwischen eineinviertel Jahren in Berlin das umsetzen | |
| können, was Sie sich vorgestellt hatten? | |
| Die Frage ist: Was verantworte ich? Doch vor allem den Haushalt und | |
| Beteiligungen, also die Unternehmen, die Berlin ganz oder teilweise | |
| gehören. Für den aktuellen Doppelhaushalt war, als ich kam, schon vieles | |
| festgezurrt, ohne dass das jetzt eine Entschuldigung sein soll. Aber das | |
| ist zumindest ein nahtloser Übergang gewesen, gerade mit Blick auf die | |
| Wirtschaftskrise - kein Ruhmesblatt, aber ordentliches Management. | |
| Und bei den Beteiligungen? | |
| Da ist auf meine Initiative Transparenz und Effizienz zum Thema geworden. | |
| Es war für viele schwierig, das anzunehmen. Das heißt, nicht immer mehr | |
| Mittel reinzustecken, sondern erst mal zu fragen: Bringt das was? Gerade in | |
| der Schulpolitik wird diese Frage jetzt stärker gestellt. | |
| Gerade da stemmen sich aber SPD-Bildungsleute gegen solche Überprüfungen. | |
| Die wollen allem erst mal Zeit geben, wollen abwarten - als ob sie Angst | |
| vor den Ergebnissen hätten. | |
| Genau. Das können die ja auch machen. Mein Job ist es aber, Fragen zu | |
| stellen. Die ganze Affäre um die Treberhilfe hat uns sehr geholfen, die | |
| Frage nach der Effizienz in Sozialträgerstrukturen zu thematisieren. | |
| Inzwischen redet davon jeder. Wobei es eine Illusion ist zu glauben, dass | |
| alle, die davon reden, es auch ernst meinen mit der Transparenz. Mein Punkt | |
| ist, das wir ohne Kontrolle Geld in das System pumpen, ob das nun der | |
| Maserati ist, ob das Kitas oder Schulen sind oder Hilfen zur Erziehung. Wir | |
| navigieren oft blind, und das kann nicht sein. | |
| Finden Sie in der Koalition bei SPD und Linkspartei gleichermaßen Gehör | |
| dafür? | |
| Das hat vielleicht weniger mit SPD und Linkspartei zu tun als damit, mit | |
| wem ich rede. Ich stelle schon fest, dass die Durchdringung der Strukturen | |
| mit den Trägern sehr ausgeprägt ist. | |
| Meinen Sie das, was andere Verfilzung nennen? | |
| Ich bin Hanseat und rede lieber von Durchdringung. In meinem Studium habe | |
| ich mich mal mit hochentwickelten Staaten befasst und der Frage, warum sie | |
| untergegangen sind: Das ist immer dann passiert, wenn sie reformunfähig | |
| waren und Interessenverbände den Staat lahmgelegt haben. Rom ist nicht an | |
| den Germanen untergegangen, sondern an der Unfähigkeit, sich zu | |
| reformieren. | |
| Das erinnert jetzt sehr an Westerwelles Vergleich mit spätrömischer | |
| Dekadenz. Aber was hat denn bislang nicht geklappt in Ihrer Amtszeit? Die | |
| FDP nennt Sie ja mantrahaft einen bloßen Ankündigungssenator. | |
| Weil ihr nichts anderes einfällt. Die verwechseln Ankündigen mit einem | |
| Politikstil, der zum Nachdenken anregt. Ich sehe meine Rolle als | |
| Parteiloser darin, Themen anzusprechen, auch wenn ich noch keine Mehrheiten | |
| dafür hinter mir habe. Der Parteipolitiker wagt sich erst aus der Deckung, | |
| wenn er weiß, dass er seine Sache durchkriegt. Ich brauche natürlich auch | |
| Mehrheiten, sonst hätte ich ja auch den Haushalt nicht durchbekommen. | |
| Nichtsdestotrotz erlaube ich mir, Sachen unabhängig anzusprechen. | |
| Es passt auch einigen in der SPD nicht, dass Sie das tun: Warum macht der | |
| noch ein Fass auf, sagen die. | |
| Ja, die haben vielleicht manchmal das Gefühl, ich mache in der Partei ein | |
| Fass auf. Ich aber will das gar nicht intern machen. Denn intern heißt | |
| doch: kungeln und machen und vorbesprechen, weil alles andere als | |
| Nestbeschmutzung gilt. Das kann doch so nicht sein. | |
| Sondern wie? | |
| Transparenz ist für mich, einen offenen Diskurs zu führen und den Leuten | |
| reinen Wein einzuschenken. Wenn ich immer nur in Mehrheiten denken würde, | |
| dann würde ich mir jetzt genau überlegen: Was sage ich der taz. Dann würden | |
| Sie stromlinienförmige Antworten kriegen, aber ich hätte keinen Spaß mehr | |
| an der Sache. | |
| Ich auch nicht. | |
| Wenn die in der politischen Schicht das so interpretieren, dann bin ich | |
| halt ein Ankündigungssenator, seis drum. Solange ich die Leute aufwühle, | |
| weiß ich, dass ich etwas verändern kann. Wenn mir einer sagt: "Muss das | |
| denn jetzt sein, wir wollen doch Ruhe haben vor dem Wahlkampf" - fordert | |
| mich das erst recht heraus. Denn ich bin nicht hier, um Ruhe zu haben. | |
| Wollen Sie eigentlich auch nach der Wahl noch Finanzsenator sein? | |
| Ja. | |
| Ist das an die SPD als großen Koalitionspartner gebunden und an Klaus | |
| Wowereit als Regierenden Bürgermeister? Oder geht das auch mit Grün-Rot und | |
| Renate Künast? | |
| Als Erstes bin ich davon überzeugt, dass Klaus Wowereit 2011 die Wahl | |
| gewinnen wird. Aber das Schöne ist ja, dass man als Parteiloser nicht | |
| zwangsläufig in so einer Parteiarithmetik denken muss. Für mich ist | |
| wichtig: Ist die Konstellation personell wie inhaltlich so, dass es Sinn | |
| macht, eine komplette Wahlperiode - ich gehöre nicht zur Köhler- oder | |
| Ole-von-Beust-Riege - weiterzumachen? Das sind immerhin fünf Jahre, die ich | |
| nicht an schönen anderen Orten sein kann. Ich muss schon überzeugt sein, | |
| dass ich mit denjenigen, die dann die Führung haben, die richtigen Dinge | |
| bewegen kann. Hier nur zu sein, um Senator zu sein, wäre mir zu wenig. | |
| 28 Jul 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Alberti | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Umweltsenatorin Lompscher (Linke): "Wir werden mehr als ein Windrad haben" | |
| Ein Jahr vor der Wahl in Berlin ist Umweltsenatorin Kartin Lompscher | |
| zufrieden: Das Klimaschutzgesetz soll noch 2010 ins Parlament, die | |
| Windenergie werde ausgebaut, der Nichtraucherschutz sei umfassend wie nie. | |
| Volker Ratzmann (Grüne) zur Wahl 2011: "Wir werden keine Revolution anzetteln" | |
| Ein Jahr vor den Wahlen sehen Umfragen die Partei weit vorn. Fraktionschef | |
| Volker Ratzmann könnte vom Amt des Regierenden träumen - wäre da nicht | |
| Renate Künast, die wohl Spitzenkandidatin wird. Wurmt ihn das? |