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# taz.de -- Obszöne Berichterstattung: Das muss kacheln, Mann!
> Im Fall des Moderators Jörg Kachelmann berichteten Medien über Details
> aus seinem Sexualleben. Paparazzi fotografierten ihn auf dem
> Gefängnishof. Das ist obszön.
Bild: Unwetter über Kachelmann (fotografiert im Jahr 2007).
Einer der wenigen moralischen Grundsätze, auf die sich eine säkulare
Mediengesellschaft im 21. Jahrhundert einigen kann, besagt offenbar: Das
Wetter lassen wir uns nur von jemandem vorhersagen, der ein geordnetes
Privatleben hat.
Ja, ja, ja. Das Thema, um das es geht, ist zu ernst für Scherze. Oder
jedenfalls für öffentliche Scherze. An Biertischen wird seit Monaten
gewitzelt. Das übrigens ist nicht neu im Zusammenhang mit dem Thema Gewalt
gegen Frauen. Aber ist das eigentlich das Thema?
Das wissen wir noch nicht. Ob Jörg Kachelmann in der Nacht zum 9. Februar
dieses Jahres eine Frau vergewaltigt hat, können mit Bestimmtheit derzeit
nur er selbst und die Frau sagen. Alle anderen, die sich dazu äußern, sind
auf die vorläufigen Ergebnisse von prozessrelevanten Untersuchungen
angewiesen, die bislang bekannt geworden sind. Oder sie begnügen sich der
Einfachheit halber mit dem eigenen Bauchgefühl.
Nach wie vor offen ist auch, ob der Fernsehmoderator schuldig gesprochen
wird. Eine Entlassung aus der Untersuchungshaft ist nicht dasselbe wie ein
Freispruch. Die entscheidenden Fragen sind also nicht beantwortet. Mit
einer Ausnahme: Alle, die sich in den letzten Monaten zu Wort gemeldet
haben, stimmen darin überein, dass die bisherige Laufbahn des 52-jährigen
Meteorologen zu Ende ist. Und zwar unabhängig vom Ausgang des
Strafverfahrens.
Wahrscheinlich stimmt das. Dem ehemaligen Moderator Andreas Türck hat 2005
sein Freispruch in einem Vergewaltigungsprozess nichts genützt - er ist weg
vom Schirm. Die Zeit schrieb seinerzeit: "Andreas Türck hat von jetzt an
ein düsteres Kapitel in seiner öffentlichen Biografie." Das "düstere
Kapitel": Türck hatte mit einer Frau, die er gerade erst kennen gelernt
hatte, Oralsex.
Es gibt Hinweise, denen zufolge Jörg Kachelmann regelmäßig und dauerhaft
Frauen betrogen hat. Weitere Hinweise deuten darauf hin, dass er
Sexualpraktiken schätzt, die der Mehrheit der Bevölkerung nicht gefallen.
Was genau geht uns das alles an? Nichts.
Sollte Kachelmann eine Frau vergewaltigt haben, dann muss er bestraft
werden. Falls sich das nicht nachweisen lässt, dann darf sein Sexualleben
uns nicht interessieren.
So weit die Theorie. Die Praxis sieht natürlich anders aus. Je
erfolgreicher jemand ist, desto toller ist Klatsch. Jörg Kachelmann war in
Deutschland der Erste, der den Wetterbericht zu einer Show gemacht hat.
Also unterliegt er dem öffentlichen Urteil.
Wahrscheinlich ist das unvermeidlich. Was hingegen nicht unvermeidlich ist:
dass immer häufiger Informationen, die viel mit Persönlichkeitsrechten und
dem Schutz der Menschenwürde zu tun haben, von Behörden "durchgestochen"
werden.
Die Darmstädter Staatsanwaltschaft plaudert über angebliche Details des
Sexuallebens einer HIV-infizierten Sängerin. Gerichtsvollzieher - Beamte
mithin - lassen sich von Kamerateams zu Schuldnern begleiten, von denen
nicht anzunehmen ist, dass sie zwischen einem Hoheitsakt und den
begrenzbaren Rechten des Privatfernsehens zu unterscheiden vermögen. Das
ist obszön.
Jörg Kachelmann ist von Paparazzi beim Hofgang fotografiert worden. Auch
das ist obszön. Und noch obszöner ist es, dass die Geldstrafen für eine
derartige Verletzung der Persönlichkeit, wenn sie denn verhängt werden, aus
der Portokasse von Fernsehsendern bezahlt werden können.
All das dient nicht der Pressefreiheit - es schadet ihr. Weil sich
vorhersehen lässt, dass überfällige Verbote, wenn sie denn endlich
ausgesprochen werden, übers Ziel hinausschießen werden. Wie es anders geht,
zeigt Duisburg. Da taucht ein Bürgermeister ab. Aber dort geht es ja auch
tatsächlich um öffentliche Verantwortung. Nicht um Sexualpraktiken.
29 Jul 2010
## AUTOREN
Bettina Gaus
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