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# taz.de -- Verteidiger Kubicki über den Fall Kachelmann: Wie man die Medien b…
> Im Fall Kachelmann gibt es Exklusivinformationen gegen wohlwollende
> Berichterstattung, sagt der Strafverteidiger Kubicki. Er kennt das Spiel
> aus eigener Erfahrung.
Bild: Entlassung nach 130 Tagen U-Haft: Wetter-Unternehmer Kachelmann am vergan…
taz: Herr Kubicki, der Prozess gegen den Moderator Jörg Kachelmann hat noch
nicht begonnen. Doch längst tobt ein Schauverfahren in den Medien. Alle
Beteiligten äußern sich: die Staatsanwaltschaft, Kachelmann selbst, sein
Verteidiger und der Anwalt des mutmaßlichen Vergewaltigungsopfers. Als
Anwalt kennen Sie dieses Spiel bestens. Auch Sie haben die Medien benutzt,
um Mandanten zu verteidigen.
Wolfgang Kubicki: Ich habe die Medien nicht benutzt – sondern genutzt.
Wo ist da der Unterschied?
Die Medien bieten diese Zusammenarbeit freiwillig an. Bei wichtigen
Verfahren erhalte ich auch solche Anrufe: "Herr Kubicki, diese Geschichte
machen Sie doch mit uns?!" Das ist dann ein Geschäft auf Gegenseitigkeit.
Die Medien erhalten Informationen und dafür berichten sie freundlich über
den eigenen Mandanten. Ich bin 35 Jahre im Beruf, aber in den letzten zehn
Jahren hat die Rolle der Medien bei Strafprozessen stark zugenommen.
Oft wird behauptet, dies sei eine "Amerikanisierung" deutscher
Strafverfahren.
Ich weiß nicht, ob das eine Amerikanisierung ist. Ich habe eher den
Eindruck, dass sich der Wettbewerb zwischen den Medien verschärft hat. Alle
kämpfen um exklusive Informationen und dafür wird dann im Gegenzug
wohlwollende Berichterstattung geboten. Daraus hat sich ein ganz neues
Geschäftsmodell entwickelt.
Tatsächlich fällt auf, dass "Spiegel" und "Zeit" sich eher auf die Seite
von Kachelmann geschlagen haben, während "Focus" und "Bunte" eher auf der
Seite des mutmaßlichen Opfers stehen.
Wichtig ist für jeden Anwalt, dass die Medien seriös sind, mit denen er
sich einlässt.
Deswegen muss "Bild" jetzt die Exklusivinformationen aus dem "Focus"
zitieren?
Wahrscheinlich.
Wann gehen Sie als Verteidiger auf Angebote der Medien ein?
Wenn es meinem Mandanten nutzt. Er muss ja zustimmen, dass ich
Informationen weiterreiche, und mich von meiner Verschwiegenheitspflicht
als Anwalt befreien. Allerdings sind solche Medienprozesse absolute
Ausnahmen. In 99 Prozent aller Strafverfahren meiden die Verteidiger die
Öffentlichkeit, weil die Mandanten nicht wollen, dass ihr Verfahren bekannt
wird.
War es dann von Kachelmanns Verteidiger richtig, so offensiv die Medien zu
bedienen?
Für das Gerichtsverfahren ist es nicht glücklich, dass wesentliche Aussagen
schon vorher öffentlich ausgetauscht werden. Indem eine Art medialer
Volksgerichtshof entsteht, wird die Unbefangenheit der Richter beeinflusst.
Hätte Kachelmanns Verteidiger also schweigen sollen?
Nein. Es war unvermeidlich, dass der Fall in die Medien gerät, denn es geht
um einen Promi sowie um Sex and Crime. Und wenn sie erst einmal öffentlich
hingerichtet werden, müssen Zeugen und Angeklagte ihre Interessen wahren,
indem sie strategische Medienarbeit betreiben.
Aber hätte man den ganzen Medienrummel nicht vermeiden können? Die
Staatsanwaltschaft Mannheim wurde kritisiert, dass sie öffentlich
mitgeteilt hat, dass sie ein Verfahren gegen einen "Journalisten und
Moderator" eröffnet hätte.
Die Staatsanwaltschaft hatte keine Wahl. Nach den Landespressegesetzen ist
sie verpflichtet, die Medien über bedeutende Verfahren zu unterrichten.
Inzwischen ist eine Schlacht der Gutachten ausgebrochen. Staatsanwaltschaft
und Verteidigung haben jeweils eigene Expertisen anfertigen lassen. Ist das
sinnvoll?
Als Verteidiger von Kachelmann hätte ich auch eigene Gutachten angefordert.
Das ist die einzige Möglichkeit, wenn die Staatsanwaltschaft mit den
Verteidigern nicht abspricht, welche Gutachter herangezogen werden.
Im Normalfall arbeiten also Staatsanwaltschaft und Verteidigung zusammen?
In aller Regel sind solche Absprachen vernünftig, gerade bei
Sexualdelikten, damit der Prozess nicht durch immer weitere Gutachten in
die Länge gezogen wird.
Und warum kam es diesmal nicht zu solchen Absprachen?
Möglicherweise, weil Jörg Kachelmanns Verteidigung schon sehr früh von
einem "Justizskandal" gesprochen hat.
War es von Kachelmanns Verteidigung ein Fehler, die Staatsanwaltschaft so
früh und so massiv anzugehen?
Nein. Ich hätte genauso reagiert im Interesse meines Mandanten. In der
veröffentlichten Meinung wurde Kachelmann sehr früh zum Täter gestempelt.
Und die Details müssen von der Staatsanwaltschaft gekommen sein - oder von
den Anwälten des mutmaßlichen Opfers.
Warum soll nicht auch die Verteidigung Informationen gestreut haben?
Zu einem so frühen Zeitpunkt hatte die Verteidigung noch gar keine
umfassende Akteneinsicht. Vor allem aber wird sie nicht zulasten des
eigenen Mandanten arbeiten.
Inzwischen arbeitet aber nicht nur Kachelmanns Anwalt mit den Medien - auch
Kachelmann selbst gab Interviews, kaum dass er aus der Untersuchungshaft
entlassen war. Halten Sie das für klug?
Jörg Kachelmann hat 130 Tage eingesessen, und ich kann menschlich
verstehen, dass er sein öffentliches Bild zurechtrücken und sich als
unschuldig präsentieren will. Aber aus der Sicht eines Verteidigers ist das
äußerst gefährlich. Denn jede Interviewäußerung von Herrn Kachelmann kann
im Verfahren gegen ihn verwendet werden. Da muss er vor Gericht nur in ein
oder zwei Sätzen etwas Abweichendes sagen – und schon unterminiert das
seine Glaubwürdigkeit.
So wirkt es eigenartig, dass Kachelmann behauptet, seine Zelle sei so
schmutzig gewesen, wie man sie sich für Regimegegner in Nordkorea ausmale.
Das wurde von der Justizvollzugsanstalt prompt dementiert.
Da Kachelmann die JVA Mannheim sonst gelobt hat, passt das tatsächlich
nicht ins Bild, und lässt ihn wie jemand erscheinen, der auch mal
übertreibt, wenn es zur Story passt. Für einen Angeklagten ist es immer
besser, sich in den Medien zurückzuhalten.
Das Tagebuch des mutmaßlichen Opfers wurde wiederum im "Focus" abgedruckt.
Hilft das der Anklage?
Auch das war kontraproduktiv. Denn jetzt kann sich Kachelmanns Verteidiger
noch besser auf die Gerichtsverhandlung vorbereiten. Er wird dieses
Tagebuch sezieren, indem jede Aussage der Zeugin überprüft wird, ob sie
sich dort wiederfindet nach dem Motto: "Warum haben Sie dieses wichtige
Detail denn nicht in Ihr Tagebuch geschrieben? Das war doch ein bleibender
Eindruck! Warum führen Sie denn ein Tagebuch, wenn das Intimste nicht
drinsteht!!!?" Am Ende könnte die Zeugin ganz wirr im Kopf sein.
Diese Strategie hätte die Verteidigung doch immer angewandt - egal ob das
Tagebuch vorab veröffentlicht wurde oder nicht.
Der wesentliche Unterschied ist aber, dass sich die Schöffen jetzt vorab
ein Bild machen. Eigentlich erhalten Schöffen ganz bewusst keine
Akteneinsicht, sondern sollen nur auf der Basis der Gerichtsverhandlung
urteilen. Aber jetzt kann die Verteidigung hoffen, dass sich ein
öffentlicher Mainstream zu ihren Gunsten bildet, der dann auch die Schöffen
und das Gericht insgesamt beeinflusst.
4 Aug 2010
## AUTOREN
Ulrike Herrmann
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