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# taz.de -- IT-Experte Schneier über Wikileaks: "Obama enttäuscht mich"
> Obamas Sicherheitspolitik sei schlimmer als die von Bush, meint
> US-Sicherheitsexperte Bruce Schneier – und äußert sich zum
> Afghanistan-Coup von Wikileaks und einer mysteriösen Datei.
Bild: Bruce Schneier, US-Sicherheitsexperte: "Das Nadel-im-Heuhaufen-Problem wi…
Herr Schneier, waren Sie überrascht darüber, wie umfangreich die
Afghanistan-Kriegstagebücher waren, die Wikileaks kürzlich ins Netz
stellte?
Bruce Schneier: Es gibt 1,5 Millionen US-Militärangehörige und rund eine
halbe Million zivile Vertragsarbeiter. Wenn jeder von denen nur eine Datei
pro Tag anlegt, sind 77.000 Files in einer Stunde produziert. Und es sollte
bedacht werden, dass Dateien gerne im Bündel gespeichert werden. Ich könnte
auch 77.000 einzelne Files auf meinem PC haben. Jeder einigermaßen große
Unternehmensserver trägt eine Million Dateien oder mehr. In Wahrheit sind
77.000 Dateien nicht viel. Die eigentliche Überraschung ist doch, dass
solche Leaks nicht dauernd vorkommen.
Ist die IT-Sicherheit beim US-Militär etwa gefährdet?
Es hat weniger damit zu tun, wie gut die Sicherheitsvorkehrungen sind.
Wichtig sind diejenigen, die dort arbeiten. Das US-Militär besteht nun mal
aus Menschen. Diese Menschen sind dazu autorisiert, auf geheime Daten
zuzugreifen - so erledigen sie ihren Job. Wenn also einer von ihnen
Informationen aus der Organisation herausschleusen und veröffentlichen
will, lässt sich das fast nicht stoppen.
Trotzdem ist der Datenschatz, den Wikileaks veröffentlicht hat, sehr groß.
Die Schwierigkeit ist wohl, die wirklich wertvollen Daten im
Informationshaufen zu finden.
Das ist in der Tat ein Problem, das stetig schwieriger wird - und es kommt
nicht einmal so sehr auf die Art der Daten an. Der Trick dabei ist, viel zu
automatisieren. Es gibt einfach nicht genügend Zeit und Geld dafür, das
jemand sich hinsetzt und manuell tausende Seiten liest, um die wirklich
interessanten Informationen zu filtern.
Es wird aber viel auf diesem Gebiet geforscht. Einige Systeme funktionieren
schon ziemlich gut in speziellen Bereichen. Für das Lesen von allgemeinen
Datensätzen gibt es noch keine wirklich erfolgreichen Ergebnisse. Das wird
sich ändern. Doch das Nadel-im-Heuhaufen-Problem wird uns erhalten bleiben.
Auch weil wir immer mehr Daten bekommen.
Der US-Militäranalyst Bradley Manning, dem die US-Regierung vorwirft,
geheime Daten und womöglich auch die Kriegstagebücher veröffentlicht zu
haben, wurde von einem anderen [1][ehemaligen Hacker verraten]. Was halten
Sie davon. Gibt es nicht so etwas wie eine Hacker-Ehre?
Je mehr ich über diese Geschichte lese, desto mehr frage ich mich, was da
wirklich passiert ist. Wir wissen wirklich nur sehr wenig über die
Gespräche oder Emailwechsel zwischen Manning und Adrian Lamo, dem Ex-Hacker
und heutigen Journalisten - und wiederum dessen Gespräche mit Chet Uber,
der ihn dann an die US-Regierung gemeldet haben soll. Wir wissen auch
nicht, was zwischen Uber, Lamo und den Beamten passierte. Viel von dem, was
wir glauben zu wissen, wird vermutlich falsch sein. Ich selbst will mich
deshalb mit einem ethischen Urteil auf Basis der wenigen Informationen
zurückhalten.
Glauben Sie, dass die US-Regierung nun versuchen wird, Wikileaks-Mitglieder
verstärkt zu beschatten? Der Wikileaks-Sprecher Jacob Appelbaum wurde
beispielsweise bei der Einreise in die USA vergangene Woche [2][drei
Stunden lang verhört].
Das kann ich nicht sagen. Es könnte ein politische Aktion sein unter dem
Motto: Wir verbreiten Angst, um von den Inhalten der Kriegstagebücher und
ihrer weiteren Veröffentlichung abzulenken.
Barack Obama hat auch deshalb die Wahl gewonnen, weil er versprach, mehr
Informationen zu veröffentlichen und weniger Geheimnisse um
Sicherheitsmaßnahmen oder Überwachungen zu machen als sein Vorgänger. Sind
Sie enttäuscht darüber, was da jetzt passiert?
Ich bin sehr enttäuscht. Obama macht einfach mit den gleichen
Regierungsprogrammen weiter und erweitert sogar einige - und zwar mit den
gleichen Vollmachten des Präsidenten, gegen die er in den Wahlkampf zog.
Ist Obama schlimmer als Bush oder genauso schlimm?
Ich bin von Obama enttäuschter, weil ich besseres von ihm erwartet habe -
und das geht vielen Amerikanern so. Sobald etwas sowohl von einem
Republikaner als auch von einem Demokraten im Weißen Haus getan wird, wird
es institutionalisiert - und lässt sich später um so schwerer wieder
aufheben.
Vor wenigen Tagen tauchte eine mysteriöse Datei auf Wikileaks auf, die den
Titel "insurance.aes256" trägt - eine verschlüsselte "Lebensversicherung".
Niemand scheint zu wissen, was sich darin befindet, selbst der deutsche
Wikileaks-Sprecher sagt, er könne es nicht sagen. Können Sie es?
Da kann auch ich nur spekulieren. Es könnten weitere oder noch belastendere
Dokumente sein. Es könnte aber auch gar nichts sein. Ohne den zugehörigen
Schlüssel weiß das nur die Person, die die Datei erstellt hat.
Könnte es nicht auch eine "Versicherung" von Julian Assange sein, mit der
er sich und seine Helfer vor einer Verhaftung schützen will?
Das scheint die Idee dabei zu sein - es ist eine Art zu sagen, "wenn uns
etwas passiert, werden wir das Passwort für diese Datei veröffentlichen".
Das ist allerdings nur eine glaubwürdige Drohung, wenn die US-Regierung den
Inhalt dieser Datei kennt. Wer weiß, vielleicht hat Wikileaks der Regierung
ja eine entschlüsselte Kopie geschickt.
4 Aug 2010
## LINKS
[1] /1/netz/netzpolitik/artikel/1/wikileaks-informant-verhaftet/
[2] /1/netz/netzpolitik/artikel/1/wikileaks-publiziert-lebensversicherung/
## AUTOREN
Ben Schwan
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