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# taz.de -- Debatte Ruanda: Ein Land im Gleichschritt
> Alles dreht sich bei der bevorstehenden Präsidentenwahl um Amtsinhaber
> Kagame. Aber Ruandas Schicksal liegt nicht in seiner Hand allein.
Wer in Ruanda jetzt achtzehn ist und am kommenden Montag bei der
Präsidentschaftswahl zum ersten Mal mitstimmen kann, war zum Zeitpunkt des
Völkermordes ein Baby. 16 Jahre ist es her, dass Armee und Hutu-Milizen in
Ruanda über 800.000 Menschen abschlachteten, weil sie Tutsi waren. Jeder,
der in den Wirren von 1994 und danach groß wurde, hat bleibende
traumatische Erinnerungen daran. Menschen wurden vernichtet wie Ungeziefer;
das Töten gehörte zum Alltag wie die Feldarbeit. Später setzte sich das
halbe Land in Bewegung und war auf der Flucht oder auf der Suche nach einer
neuen Heimat. Jahrelang regierte das nackte Elend, bevor allmählich wieder
Normalität einkehrte.
Die Generation derer, die zum Zeitpunkt des Genozids Kleinkinder oder noch
gar nicht geboren waren, stellt heute die Mehrheit der 10 Millionen
Ruander. Die meisten von ihnen wollen mit dem damaligen Geschehen nichts zu
tun haben und sich auch nicht in die Täter-Opfer-Kategorien von Hutu und
Tutsi pressen lassen. Sie wollen ihr Leben und ihr Land nach eigenen
Vorstellungen gestalten.
Im Schatten des Verbrechens ist das sehr schwer. Weil die Bewältigung des
Massenmords bis in jede einzelne Familie hinunterreicht, ist das Private in
Ruanda immer politisch, und alle Politik berührt massiv die Privatsphäre.
Was auf höchster Ebene gedacht, gesagt und getan wird, spricht sofort das
Innerste an, auch wenn es rein technokratisch konzipiert ist. Es gibt keine
politikfreien Räume in Ruanda, nicht einmal in den Köpfen der Menschen.
Alte Wunden neu aufgerissen
Ruandas Regierung versucht, im Land ein neues Denken zu verankern. Alle
Maßnahmen werden mit den Herausforderungen der Zukunft begründet, ziehen
aber vor allem Lehren aus der Vergangenheit. Dieser Spagat verlangt der
Bevölkerung viel ab.
So standen in den letzten Jahren hunderttausende Völkermordverdächtige vor
Dorfgerichten. Das war nicht nur ein Mittel zur beschleunigten Leerung der
Gefängnisse. Es belastete auch jeden einzeln mit der Bürde der
Vergangenheitsbewältigung. Die Botschaft: Der Staat hat die Geschichte
überwunden; jetzt seid ihr dran.
Umstritten ist die Einführung kostenloser Schulbildung mit Englisch als
Unterrichtssprache. Die Maßnahme ist nicht nur eine entwicklungspolitische
Entscheidung in Richtung Globalisierung. Mithilfe der neuen Sprache und von
neuen Bildungsansätzen soll auch ein neuer Geist in die Köpfe der Schüler
einkehren.
Ruandas Bauern müssen nach zentralen Vorgaben die Subsistenzwirtschaft
aufgeben und stattdessen cash crops anbauen; dazu bekommt jeder Haushalt
eine Kuh. Dies dient nicht nur der Herausbildung einer kommerziellen
Landwirtschaft, es ist auch ein bewusster Akt der Aufweichung der alten
Identitäten von Tutsi als Viehhirten und Hutu als Subsistenzbauern, die
heute als wesentlicher Grund für den Genozid gelten.
Kritische Medien und Oppositionspolitiker werden dieses Jahr verstärkt
verfolgt. Dies dient nicht nur der Einhaltung der Parteiengesetze und dem
Kampf gegen "Divisionismus" - die Allzweckwaffe der Staatsmacht. Es soll
auch zeigen, dass Ruanda kein Land ist, in dem jeder tun und lassen kann,
was er will; denn viele Ruander wollen ihre Nachbarn lieber tot sehen als
lebendig, und ohne Disziplinierung könnte das Morden wieder losgehen.
Paul Kagames Politik ist doppelbödig. Sie blickt resolut in die Zukunft und
legitimiert sich zugleich unausgesprochen mit Verweis auf die
Vergangenheit. Kagame oder Völkermord, das ist im offiziellen Diskurs die
Alternative. Damit wird die Geschichte gleichzeitig begraben und
instrumentalisiert. Absoluter Gehorsam wird gefordert und auch erzwungen,
und zwar nicht nur von den Bürgern, sondern auch von den Politikern. Gerade
oben an der Spitze sollen strikte Disziplin und Unterordnung herrschen,
damit diese weiter unten in der Gesellschaft nicht infrage gestellt werden.
Deshalb richtet sich Kagames Wut in erster Linie nicht gegen die
ewiggestrigen Hutu-Extremisten, die seit 16 Jahren davon träumen, den
Völkermord an Ruandas Tutsi doch noch zu vollenden. Vielmehr richtet sie
sich gegen altgediente Tutsi-Mitstreiter, die - aus welchen Gründen auch
immer - den Gleichschritt nicht mehr mitmachen. Wie in einer Tragödie von
Shakespeare zerfleischen sich jene, die 1994 Ruanda gemeinsam befreiten,
jetzt in aller Öffentlichkeit. Das Volk kann nur ohnmächtig zuschauen.
Unvollendete Metamorphose
Diese Hahnenkämpfe zeigen auch, wie weit die Propaganda sowohl der
Regierung als auch der extremistischen Opposition von der Realität entfernt
ist. Wenn Ruandas Führungsschicht untereinander so ruppig umgeht wie zu
Zeiten des Buschkrieges, ist die Metamorphose des Landes in die Moderne
offensichtlich unvollendet - was allerdings auch heißen könnte, dass auch
das Denken, das zum Genozid geführt hat, noch existiert und es daher gute
Gründe für repressive Maßnahmen und ständige Wachsamkeit gibt. Wenn die
Regierung in Reaktion auf wiederholte Morde und Attentate auf prominente
Kritiker ständig betonen muss, sie sei nicht verantwortlich, hat sie ganz
offensichtlich nicht die hundertprozentige Kontrolle, die sie selbst
beansprucht und die Kritiker ihr gern unterstellen.
Kagames Autoritarismus ist Symptom der ruandischen Zustände, nicht deren
Urheber. Deswegen geht die anschwellende internationale Kritik daran am
Problem vorbei. Wer jetzt sagt, nach sechzehn Jahren sei eine politische
Öffnung überfällig, unterstellt einen Erfolg der ruandischen Modernisierung
und damit der Regierungspolitik. Wer sagt, Kagame führe das Land in eine
Sackgasse, in dem alte mörderische Mentalitäten in Wahrheit genauso tief
verankert sind wie früher und die Masse der Bevölkerung verarmt, muss dann
auch zugeben, dass es selbstmörderisch wäre, jetzt die Zügel zu lockern.
Die junge Generation wird ihr eigenes Land sowieso irgendwann selbst
aufbauen. Voraussichtlich bietet weder der Völkermord noch Kagames
Modernisierungsdiskurs den Rahmen, in dem sich dieses "neue Ruanda"
entfalten kann. Dann erst wäre eines der düstersten Kapitel der
afrikanischen Zeitgeschichte beendet.
6 Aug 2010
## AUTOREN
Dominic Johnson
## TAGS
Ruanda
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