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# taz.de -- Kriminologe über Sicherheit: "Der Wunsch nach Härte"
> Wie Angst produziert wird: Peter-Alexis Albrecht, Professor für
> Kriminologie und Autor von "Der Weg in die Sicherheitsgesellschaft", über
> die Fehler der Sicherheitspolitik.
Bild: Perfide Frage: Stellt man sich an den Check-In-Schalter mit denen durch i…
taz: Herr Albrecht, Roman Polanski lässt in seinem jüngsten Film einen
Sicherheitspolitiker gegen Menschenrechts-"Gutmenschen" wettern. Man solle
einmal am Flughafen zwei Check-in-Schalter einrichten: einen, an dem für
die Sicherheit des Flugzeuges vor Terroranschlägen keinerlei illegale
Überwachung oder durch Folter gewonnene Information verwendet wurde, und
einen normalen. Dann werde man schnell sehen, in welches Flugzeug die
Menschenrechtsfreunde ihre Kinder lieber schicken.
Peter-Alexis Albrecht: Da würde ich sagen: nicht mehr fliegen! Im Ernst:
Das Beispiel ist etwas perfide konstruiert, denn es verfolgt suggestiv die
Absicht, das rechtsstaatlich Undenkbare - die Folter - denkbar zu machen.
Man könnte sich aber auch fragen: Haben die Kritiker der Antiterrorgesetze
auf die real vorhandenen Ängste überhaupt eine Antwort?
Ja. Wir leben in einer hochbrisanten globalen Risikogesellschaft, immer am
Abgrund, und manche wähnen schon den freien Fall. Das Versprechen der
Regierenden von null Risiko ist zwar immer verlockend für viele, aber das
ist Bauernfängerei. Denn die unabwägbare Menschenwürde hat auch und gerade
in der Risikogesellschaft absoluten Vorrang.
Ihr Buch beginnt mit einer Beschreibung der 1970er Jahre, als der Gedanke
der Resozialisierung noch mehr im Vordergrund stand. Ist es schade darum?
Zur Hälfte! Das Ziel in den 1970er Jahren, Delinquenten möglichst zu
integrieren, war sehr ambivalent. Auf der einen Seite ist die Integration
ein Ideal, auf der anderen Seite ging damit aber auch eine neue Qualität
des Zwangs gegenüber Abweichlern einher: Die Strafe sollte nun auch ihre
Psyche formen. Das Strafsystem ist dann vor allem in den 1990er Jahren
rasend schnell verschärft und ausgebaut worden.
Was war der Auslöser?
Im Rahmen gesellschaftlicher Transformationsprozesse wurde "Prävention" zum
neuen Zauberwort. Anstatt nur auf Unrecht zu reagieren, sollte das
Strafrecht nun die vielen Gefahren des Lebens schon im Voraus bannen -
durch neue, schärfere und gleichzeitig diffusere Straftatbestände, aber
auch durch einen neuen, auf Geheimhaltung basierenden Überwachungsapparat.
Damit wurde das Aufgabenfeld für das Strafsystem endlos.
Hat sich auch das Sicherheitsbedürfnis der Menschen verändert?
Die ökonomischen Umwälzungen der letzten Jahre haben hier drastisch
eingeschlagen: Der Einzelne ist auf sich selbst zurückgeworfen, das soziale
Sicherheitsnetz löst sich auf, und all das produziert unkontrollierte Angst
und das permanente Gefühl von Unsicherheit. Diese Unsicherheit sucht sich
seither anderswo ein Ventil. Die entsolidarisierte Masse hat wenig Skrupel,
einzelne Abweichler mit neuer Härte zu behandeln. Der Zusammenhang zur
ökonomischen Unsicherheit ist unverkennbar.
Das heißt, die schärfer werdende Sicherheitspolitik entspricht einem Wunsch
der Masse?
Die Sicherheitspolitiker spielen ihrerseits auf dieser Klaviatur. Sie
erzeugen diesen Wunsch nach Härte mit, weil ihnen strukturelle Antworten
fehlen oder ihrer Wiederwahl im Wege stehen. Die Regierungen arbeiten sogar
daran, die prekäre soziale Lage der Menschen zu verschärfen. Und die
Kriminalitätsbekämpfung schenkt ihnen verrückterweise die Möglichkeit, sich
als kompromisslose Kämpfer für "Sicherheit" zu inszenieren. Dabei sind die
Kriminalitätszahlen ohnehin rückläufig.
Ketzerisch könnte man vermuten: Die Kriminalität geht gerade wegen dieser
neuen Härte der Politik zurück.
Nein, das ist der demografischen Entwicklung zu verdanken. Trotzdem: Die
Kriminalpolitik ist inzwischen das traurigste Kapitel der Politik. Hier
wird die Axt an die Wurzeln des Rechtsstaats gelegt. Die Fundamente der
verfassten Freiheit oder auch das Schuldprinzip als Begrenzung staatlicher
Strafmacht werden mit Füßen getreten. Beispielsweise die aktuelle Debatte
um die Sicherungsverwahrung: Da wird dem Bürger suggeriert, wenn man einige
wenige Straftäter ohne rechtlichen Grund - rückwirkend - für immer
einsperrt, erreicht man Sicherheit. Dass es allerdings gleichzeitig 60.000
Strafgefangene gibt, die in denselben Anstalten durch reine Verwahrung zum
Sicherheitsrisiko größter Art gemacht werden, wird verschwiegen.
Ihr Buch zeichnet die Verschärfung der Kriminalpolitik über die vergangenen
Jahrzehnte nach. Wagen Sie eine Prognose für das nächste Jahrzehnt?
Es sieht leider nicht danach aus, dass die soziale Verunsicherung der
Menschen, die sie derzeit für autoritäre Lösungen aufgeschlossen macht,
sich in absehbarer Zeit umkehren wird. Aber es ist wichtig zu sehen, dass
das Gegenmittel nicht erst erfunden werden muss. Die Menschenrechte bilden
absolute Grenzen für die Macht des Staates. Das Bundesverfassungsgericht
hat in den vergangenen Jahren einiges dafür getan, dass die Menschenrechte
auch effektiv gelten.
Wie viel kann das Bundesverfassungsgericht gegen eine politische
Grundströmung in der Legislative ausrichten?
Leider nicht viel. Damit die politische Stimmung sich wirklich dreht, kommt
es auf weit mehr an. Wenn die Menschen wieder mehr soziale Sicherheit
erfahren, könnte ihr Interesse an einer immer wilderen Sicherheitspolitik
womöglich nachlassen.
16 Aug 2010
## AUTOREN
Ronen Steinke
## TAGS
Schwerpunkt Überwachung
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