# taz.de -- Schwarz-Grün und "Stuttgart 21": "Wir wollen regieren" | |
> Tübingens Bürgermeister Palmer (Grüne) gibt Schwarz-Grün in | |
> Baden-Württemberg eine Chance - falls die CDU "Stuttgart 21" und den | |
> verlängerten Atomausstieg aufgibt. | |
Bild: "Erhebliche finanzielle Risiken": Handout der Bahn mit Computerbild von "… | |
taz: Herr Palmer, Sie und die Grünen wollen das umstrittene Bahnprojekt | |
Stuttgart 21 noch stoppen. Wie soll das gehen? | |
Boris Palmer: Bei Stuttgart 21 gibt es immer noch erhebliche finanzielle | |
Risiken. Wenn die bis zum Beginn der Tunnelarbeiten weiter vertuscht | |
werden, können wir nichts machen. Falls man die Karten auf den Tisch legt | |
und endlich von 10 bis 11 Milliarden Euro Gesamtkosten spricht, würde jeder | |
sehen, dass es das Geld nicht wert ist. | |
Und wenn das nicht geschieht? | |
Dann droht uns eine schwere Spaltung und Konfrontation in Stuttgart. Die | |
Befürworter sind formal im Recht und haben die Parlamentsbeschlüsse auf | |
ihrer Seite, die Gegner die Mehrheit der Bevölkerung. Da muss man ins | |
Gespräch kommen. Inhaltlich wäre das möglich. Ich setze auf eine | |
Friedenskonferenz mit einem erfahrenen Schlichter. | |
Die Landesregierung sagt doch ganz klar: Über Alternativen zu Stuttgart 21 | |
wird nicht geredet. | |
Eine solche Abrissbirnenpolitik ist falsch, wenn sich 20.000 Menschen zum | |
Schutz des Bahnhofs friedlich in der Innenstadt versammeln. Da sollte man | |
als Politiker nicht alles als unabänderlich verkünden. Wir haben in letzter | |
Zeit viel Propaganda gehört und wenig Fakten. Vieles ist nicht bekannt | |
gewesen, als die Parlamente abgestimmt haben. | |
Welche Propaganda? | |
Dazu gehört das lächerliche Argument, Stuttgart werde vom internationalen | |
Schienenverkehr abgekoppelt, wenn wir den Bahnhof nicht vergraben. Dazu | |
gehört, dass die Renovierung des alten Bahnhofs genauso teuer sei, wie 30 | |
Kilometer Tunnel mitten in einer Stadt zu bauen. Oder dass der neue Bahnhof | |
leistungsfähig sei und der alte nicht. Es verhält sich genau umgekehrt, man | |
kann es mit Gutachten belegen, die in den Ministerien unter Verschluss | |
gehalten wurden. | |
Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus fordert auch mindestens | |
15 Jahre Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke. Macht er Schwarz-Grün so | |
unmöglich? | |
Er macht sich selbst unmöglich. Was Mappus damit erreichen will, ist mir | |
schleierhaft. Atomkraft ist hoch gefährlich, in der Bevölkerung extrem | |
unpopulär und blockiert den Einstieg in die erneuerbaren Energien. Auch in | |
der CDU gibt es viele, die erkannt haben, dass Atomkraft keine | |
Zukunftsoption ist. | |
Müsste Mappus für eine schwarz-grüne Koalition nach der Landtagswahl 2011 | |
weg? | |
Eine Koalition mit Mappus wäre mit den Inhalten, die er momentan | |
propagiert, ganz sicher nicht möglich. Wir wollen aber keine generelle | |
Ausschließeritis betreiben, sondern regieren. | |
Ihnen zuliebe wird er nicht zum Atomkraftgegner mutieren und Stuttgart 21 | |
abblasen. | |
Er hat sich im Tonfall und im Habitus bereits verändert, früher war er | |
wesentlich härter in den Attacken. Die Frage ist, ob er bis zur Wahl Kreide | |
gefressen hat oder wirklich anders ist. Inhaltlich ist für uns unabdingbar, | |
dass der Atomausstieg bleibt und wir bei den erneuerbaren Energien in die | |
Offensive gehen. An Stuttgart 21 unverändert festzuhalten wäre für uns ein | |
Knackpunkt, der den Einstieg in die Landesregierung verhindert. | |
Und wenn Atomausstieg und Stuttgart 21 nach der Wahl schon durch sind, dann | |
regieren die Grünen komfortabel mit Mappus? | |
Das wäre nicht komfortabel, sondern höchst schmerzhaft, so wichtige | |
Entscheidungen zu verlieren. Wenn es doch so sein sollte, müssten wir nach | |
vorn schauen. Dann stellt sich vermutlich die Frage, was mit Mappus möglich | |
ist. Das hoch ungerechte und selektive Schulsystem des Landes können wir | |
nicht akzeptieren. Vielleicht gibt es aber auch Grün-Rot, die Umfragen sind | |
da nicht weit auseinander. | |
Vielleicht noch die FDP oder die Linkspartei mit ins Boot holen? | |
Für eine neue Wirtschaft braucht man auch die Unterstützung der Wirtschaft. | |
Die gibt es mit der CDU wesentlich leichter als mit der SPD, selbst wenn | |
die Politik dahinter inhaltlich die gleiche ist. Aber natürlich bringt | |
diese Unterstützung nichts, wenn die CDU keinen ökologischen Umbau will. | |
Dann wäre Schwarz-Grün sinnlos. | |
20 Aug 2010 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arzt | |
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