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# taz.de -- Streit um Renteneintrittsalter: Die letzte Retro-Debatte
> Am Sonntag entscheidet die SPD-Parteispitze über die Rente mit 67. Dabei
> hat sich die Debatte längst verselbständigt. Eine mögliche Verschiebung
> der Reform ist umstritten.
Bild: Im offenen Schlagabtausch über die Rente: Ex-Parteichef Franz Münteferi…
BERLIN taz | Aufs Dach gestiegen seien ihnen die Gewerkschaften, erinnern
sich die SPDler heute noch. Selbst Hartz IV habe nicht für solchen Aufruhr
gesorgt wie die Entscheidung zur Rente mit 67. Getragen von der großen
Koalition, präsentiert vom damaligen Parteichef Franz Müntefering.
So prägend die Zeit vor vier Jahren für die Partei war, so emotional führt
die SPD auch heute noch ihre Diskussion um die Rente. Viele sehen das
verlängerte Renteneintrittsalter, welches zwischen 2012 und 2029 in kleinen
Schritten umgesetzt werden soll, als Hauptgrund für die krachende
Niederlage bei der vergangenen Bundestagswahl. "Eine verkappte
Rentenkürzung" sei die Reform, solange der Arbeitsmarkt keine Perspektiven
für Beschäftigte biete, sagte der saarländische SPD-Vorsitzende Heiko Maas
der taz.
Am Sonntag nun soll das Thema möglichst im Konsens abgehakt werden. Dann
will sich die engere Parteiführung endgültig auf ein Konzept verständigen,
an den folgenden Montagen befinden Präsidium und Parteivorstand darüber.
Ob dann wieder Frieden einkehrt, ist ungewiss. Per Post tauschten am
Donnerstag Ex-Parteichef Müntefering und sein Nachfolger Sigmar Gabriel
öffentlichkeitswirksam Für und Wider der aktuellen Debatte aus. Müntefering
warnte vor dem "defensiven Signal" einer Korrektur der Rente. Gabriel
konterte, Müntefering habe die Überprüfungsklausel nicht ernst genommen,
mit der die Arbeitsmarktsituation Älterer zur endgültigen Entscheidung
herangezogen werden solle.
Viele in der SPD haben in den letzten Wochen versucht, an einer Lösung zu
arbeiten, um "die letzte Retro-Debatte", wie es in der Partei heißt,
endlich zu beenden. Mehrere Arbeitsgruppen tagten, teilweise wussten sie
nicht mal voneinander. Dem ehemaligen Arbeitsminister Olaf Scholz kam
schließlich die Aufgabe zu, ein Kompromisspapier zu erstellen.
Dies sieht vor, das Datum für den Beginn der Reform zu verschieben. Dabei
will sich die Partei an der Beschäftigungsquote der ArbeitnehmerInnen
zwischen 60 und 64 Jahren orientieren. 2015 soll sie überprüft werden. 21,5
Prozent beträgt sie aktuell für sozialversicherungspflichtige
Arbeitsplätze, vor zehn Jahren war es die Hälfte. Doch erst wenn 50 Prozent
erreicht sind, soll die Rente mit 67 beginnen. "Das wird 2015 kaum der Fall
sein", heißt es aus der Parteilinken.
Eine Maßnahme, welche die Reform "um Jahre" verschieben würde, wie auch der
Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Klaus
Zimmermann, sagt. "Wir arbeiten weniger, die Lebenszeit verlängert sich und
alle bekommen mehr - das kann nicht funktionieren", sagte er der taz.
Seiner Meinung nach wird die Debatte unehrlich geführt: "Wenn die SPD die
Schwelle für die Erhöhung des Renteneintrittsalters so hoch legen will,
muss sie auch sagen, dass dafür Abgaben erhöht werden müssen." Auch ein
falsches Signal an Arbeitgeber sieht der Wirtschaftsexperte: "Wenn die
Politik die Augen zumacht, denken auch die Unternehmen weniger über eine
Lösung der Beschäftigungsfrage nach."
Selbst in der SPD, wo die Mehrheit erleichtert über den sich abzeichnenden
Kompromiss ist, gibt es nicht nur Freude: "Die Kritik Franz Münteferings
ist berechtigt", sagte der Rentenexperte Anton Schaaf der taz, "wir müssen
aufpassen, in der Debatte nicht unsere Glaubwürdigkeit zu verlieren." Zwar
sei es richtig, über das Einstiegsjahr in die Rente mit 67 und die
notwendigen Beschäftigungsquoten zu diskutieren. Trotzdem ist laut Schaaf
"die Debatte um die Folgen des demografischen Wandels zu sehr in den
Hintergrund gerückt". Die Frage sei, "wie erhalten wir die
Leistungsfähigkeit der Gesellschaft, um uns überhaupt Freiräume für
sozialen Ausgleich zu schaffen. Da fehlt uns der Ansatz in der aktuellen
Diskussion um die Rente mit 67."
Am Sonntag nun muss die Parteiführung bei dem Thema die Gemüter in der
Partei kühlen. Denn der nächste Streit ist schon in Sicht. Soll der
Parteitag wirklich endgültig entscheiden, oder will man das letzte Votum
noch mal vertagen?
Auf den einfachsten Kompromiss, witzelt man in der Partei, sei man gar
nicht gekommen.
Auf die Rente mit 66.
20 Aug 2010
## AUTOREN
Gordon Repinski
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