# taz.de -- Der Gottesstaat Utah: Unter den Mormonen | |
> Die Berichte und Legenden der Mormonen gehören zur Geschichte Utahs dazu. | |
> Aushängeschild der Sekte ist der heilige Bezirk in Salt Lake City. | |
Bild: Der Mormonen-Tempel in Salt Lake City. | |
Es summt auf dem Temple Square von Salt Lake City. 21.000 Mormonen haben | |
sich zu ihrer 179. Generalkonferenz in der Hauptstadt Utahs eingefunden. | |
Gut angezogen, frisch und adrett schwärmen sie in den Konferenzpausen | |
zwischen den verschiedenen und sauber glänzenden Gebäuden hin und her: Da | |
ist der große Tempel, da ist das Tabernakel mit seinem „Tabernakel Chor“, | |
da ist das Visitor Center mit der monumentalen Jesusstatue unter | |
nachtblauem Himmelszelt und seinen vielen Ausstellungen. | |
Fast die gesamte Nordseite des heiligen Bezirks in Salt Lake City aber | |
nimmt das riesenhafte Conference Center ein, das auf seinem 1,5 Hektar | |
großen Dach mit Bäumen und Blumen bepflanzt ist. | |
Um dorthin zu gelangen müssen die Teilnehmer aus aller Welt die North | |
Temple Street überqueren. Und da treffen sie auf eine kleine, aber | |
lautstarke Opposition: „Shame on you!“, ruft ein dicker, keineswegs | |
adretter Protestierer. „Fragt mich, warum ihr die Hölle verdient habt!“ | |
steht auf seinem T-Shirt. | |
Weitaus putziger wirken die Damen neben dem Schreihals. Sie alle sind im | |
Stil des frühen 19. Jahrhunderts gekleidet und tragen ein Schild um den | |
Bauch, auf dem ihr Name steht, ihr Alter (14 bis 58) und die wievielte | |
Ehefrau des Mormonengründers Joseph Smith sie waren - 34 sollen es gewesen | |
sein. | |
Auch ein paar Ehemänner sind dabei. Windsor Lyon etwa, der „polyandrous | |
husband of Sylvia Sessions Lyon“, der 8. Gattin von Smith. „Ask my story?�… | |
bittet der falsche Windsor, und wir erfahren, dass er im richtigen Leben | |
„born-again Christian“ ist und die lange Anreise aus Dakota nicht gescheut | |
hat, um hier seinen Unmut über die Mormonen kundzutun. | |
Die ihrerseits gehen friedlich an den Demonstranten vorbei ins Center, um | |
dort den Reden ihrer Präsidenten zu lauschen. Einer in der Führungstroika | |
ist übrigens seit 2008 Dieter F. Uchtdorf, ein ehemaliger Chefpilot der | |
Lufthansa. Uchtdorf hält eine Rede über die „Liebe Gottes“, die nicht viel | |
anders als das klingt, was von jeder christlichen Kanzel erschallen könnte. | |
Familie, Liebe zum Nächsten und zu Gott: nichts, wogegen ein braver Christ | |
etwas haben könnte. | |
Und doch - die Church of Christ of Latter Day Saints(LDS) ist etwas sehr | |
Spezielles, und Utah, ihre Heimstatt und ihr Heimatstaat, ist ohne sie | |
nicht zu verstehen. | |
Eine Reise durch den Staat zwischen Salzsee, Rocky Mountains und dem | |
Colorado Plateau ist deshalb auch immer eine Reise durch Mormonenland. Da | |
trifft es sich, dass uns Neil Wilkinson den Temple Square zeigt. | |
Der stämmige Mann ist im Hauptberuf Koch, aber er ist auch Mormone - in der | |
vierten Generation. Derzeit organisiert er die vielfältigen | |
Verpflegungsangebote im Temple-Areal. | |
Ein Heiratsmarkt | |
Im obersten Stockwerk des Joseph Smith Memorial Building - mit erhabener | |
Aussicht auf den Tempel - bekommen wir anständige Salate, gutes Fleisch, | |
aber - „sorry“ - keinen Kaffee. | |
Den lehnen die Mormonen ab wie Zigaretten und Alkohol. Wer mit Neil redet, | |
bemerkt schnell, dass man mit den Mormonen auch als „gentile“ (was hier | |
„Nichtmormone“ bedeutet) sehr gut zurechtkommen kann. | |
Er missioniert nicht, er ist freundlich, lebenslustig und tolerant. Man | |
kann mit ihm über alles plaudern, selbst über Adam und Eva, an die er, da | |
gibt es kein Wanken, eins zu eins glaubt. | |
Doch Neil agitiert nicht, er ist sanft und zart wie das Steak, dass er hier | |
servieren lässt. Der Temple Square ist für ihn einfach das gut geführte | |
Aushängeschild seiner Kirche und eine Touristenattraktion. Wobei von den | |
Ausstellungen über das Genealogie-Archiv bis zu den Konzerten und | |
Filmvorführungen alles gratis ist. | |
Und jeder Besucher bekommt zwei junge weibliche „missionaries“ als | |
Begleiter, die alles erklären, auch sie ohne Missionsbemühungen. Für die | |
Erkenntnis der Wahrheit ist laut Buch Mormon der Heilige Geist zuständig. | |
Neil schenkt uns ein Buch Mormon und er macht uns mit „Sister Günther“ aus | |
Augsburg und ihrer Kollegin aus Mexiko bekannt. Beide leisten hier ihren | |
freiwilligen Missionarsdienst ab. Dass die Konferenz ein guter Heiratsmarkt | |
ist, will Sister Günther nicht verleugnen. | |
Wo sonst hat man so viele Brüder und Schwestern im Geiste beisammen? Auch | |
Neils Frau ist übrigens Mormonin, und wir werden noch viele solcher Paare | |
finden - wobei es vor allem die Frauen sind, die die mormonische | |
Familientradition und die Werte der Kirche pflegen und kontrollieren. | |
Das erzählt auch Jim Fauver, der 49-jährige Manager der Castle Valley | |
Ranch, die 300 Kilometer südlich von Salt Lake City liegt. Das von ihm | |
selbst gebaute dreistöckige Hauptgebäude im Blockhausstil steht neben zwei | |
liebevoll hergerichteten Pionierhäusern in einer wilden und einsamen Gegend | |
des Colorado Plateaus, nahe des langsam vor sich schlafenden | |
Bergarbeiterstädtchens Emery. Jim ist Manager der Ranch. | |
Das umfasst auch die Organisation des Viehbetriebs - immerhin 8.000 Kühe, | |
die er mit seinen Cowboys hüten und zweimal im Jahr beim „cattle drive“ auf | |
die Berge und dann wieder hinunter in die wüstenartige Ebene treiben muss. | |
Besitzer der Ranch ist der 83-jährige Glendon Johnson, erfolgreicher | |
Präsident verschiedener Versicherungsgesellschaften, aber auch geborener | |
Cowboy und Mormone - wie Jim, mit dem wir am ersten Abend auf der Ranch die | |
riesigen Cowboy-Steaks essen. | |
Bei gutem Rotwein - er trinkt Diet Coke - erzählt er, wie er nach einem | |
bewegten Leben als Architekt, Steuereintreiber, Computerfachmann und | |
Barmann von seiner mormonischen Ehefrau wieder zu einem fleißigen, braven | |
Familienvater umgeschult wurde. | |
Ergebnis ist die schöne Ranch, auf der alles reibungslos klappt und neben | |
der Jim sogar einen großen Teich angelegt hat. „Wenn man nicht raucht, | |
nicht trinkt und auch sonst maßvoll ist, was soll man denn sonst machen als | |
arbeiten?“, erläutert er die mormonische Lebenseinstellung und grinst. | |
Den Kühen, den 80 Pferden, die alle hier gezüchtet wurden, und nicht | |
zuletzt den Gästen kommt das gottgefällige Leben jedenfalls zugute. | |
Als wir am nächsten Tag mit Jesse Allred, dem 39-jährigen Cowboy und | |
Pferdeflüsterer einen Tagesritt durch die aufregende, immer wieder von | |
Canyons durchzogene Landschaft machen, lernen wir die liberale | |
Westernversion der Kirche Jesu Christi kennen: den „Jack Mormon“. | |
„Nur auf Befehl Gottes“ | |
Jesse kaut Tabak, trinkt Bier, spricht gelegentlich „dirty language“ und | |
hat immerhin zehn Jahre als „bull rider“ sein Geld auf Rodeos verdient. Er | |
ist nicht ganz so fromm wie seine „Brüder“, dafür hat er viele schöne | |
Pferde großgezogen und so trainiert, dass selbst ein Greenhorn wie der | |
Reporter sein Pferd „Rockstar“ locker zum „spinning“ bringen kann, einer | |
verwegen aussehenden Pirouette. | |
Jesse zeigt uns die uralten indianischen Zeichnungen am Rochester Panel und | |
die hohen, steilen Klippen mit dem fantastischen Blick hinunter auf das | |
weite Land. Am Ende des Tages dürfen wir sogar ein bisschen Kühe treiben. | |
Auch nach 500 Western ist es ein merkwürdiges Gefühl, plötzlich selbst | |
einer Herde von 40 glotzenden Rindviechern gegenüberzustehen. Doch | |
„Rockstar“ weiß was zu tun ist und wie man die Kühe zum Laufen bringt. | |
Als wir mit Jim beim Abendessen die Eigenheiten des mormonischen Weltbildes | |
besprechen, kommt die selbstbewusste Köchin Bonnie aus der Küche, um | |
mitzudiskutieren. Sie hat gehört, dass wir nach den vielen Frauen des | |
Religionsgründers Smith gefragt haben. | |
Bonnie erklärt uns, dass Prophet Smith diese Ehen „nur auf Befehl Gottes | |
und mit größten Bedenken“ eingegangen sei. Jim ergänzt, dass es dabei auch | |
um den Schutz der alleinstehenden Frauen und Mütter gegangen sei. | |
Niemand würde die beiden des Polygamismus verdächtigen, wir bemerken aber, | |
welche Probleme die braven Mormonen mit ihrer Tradition und ihrer | |
Außenwirkung haben. | |
Dass es in den oberen Gremien der LDS nur (alte) Männer gibt, stört Bonnie | |
nicht. Für sie sind die Mormoninnen das Rückgrat der Kirche: „Die Männer | |
sind besser fürs Repräsentieren und die Organisation, wir Frauen kümmern | |
uns um die wichtigen Dinge wie Familie, Erziehung und so weiter.“ | |
Mormonen haben dieses Land erobert, aufgebaut und sie prägen es bis heute. | |
Von den breiten und verschlafenen Straßen Salt Lake Citys bis hin zu den | |
Ranches und Attraktionen wie etwa dem Zion National Park. | |
Einer seiner Gipfel heißt Mount Moroni. Vom Engel Moroni erhielt Joseph | |
Smith 1827 die Goldenen Platten mit dem Originaltext des Buches Mormon, das | |
er - mit zwei „Sehersteinen“ - ins Englische übersetzte. | |
Man mag das alles glauben oder nicht, die alten Berichte, Legenden und | |
Dogmen gehören zur Geschichte Utahs wie die der Ancestral Pueblos, der Ute, | |
der Paiute und der Navajos. Auch die haben Utah geprägt und auch über sie | |
kann man hier (inzwischen) viel erfahren. Aber das ist eine andere | |
Geschichte. | |
9 Sep 2010 | |
## AUTOREN | |
Thomas Pampuch | |
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