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# taz.de -- Unterwegs mit Julia Klöckner: Alles auf Provinz
> Die CDU an Rhein und Mosel braucht endlich wieder ein Erfolgserlebnis. Im
> Frühling ist Wahl, Julia Klöckner will Ministerpräsidentin werden. Ein
> Reisebericht.
Bild: Julia Klöckner in Bad Münster am Stein-Ebernburg beim Besuch des Steins…
Julia Klöckner sprüht vor Energie. Es ist neun Uhr morgens, gleich wird sie
per Bus einen Tag lang mit Journalisten durch Rheinland-Pfalz fahren. Ein
spät Gekommener hastet durch den Regen. Klöckner ruft freudig: "Keine
Angst, wir lassen niemanden zurück." Dann verteilt sie Äpfel und Kaffee und
fragt aufgeräumt: "Will schon jemand Alkohol?" Abends wird man das Weingut
ihrer Eltern in der Pfalz besuchen.
Julia Klöckner trägt eine anthrazitfarbene Hose und ein Jackett, beides
unauffällig elegant. Auffällig ist sie sowieso. Sie verfügt über ein
robustes Selbstbewusstsein, sie ist groß, blond, laut und schnell. Manchmal
auch zu schnell, wie 2004, als sie aus der Bundesversammlung vor der
offziellen Verkündung über den Nachrichtendienst Twitter verbreitete, dass
Horst Köhler zum Bundespräsidenten gewählt wurde.
Sie steht für eine vorsichtig modernisierte CDU. In ethischen Fragen ist
sie wertkonservativ, kulturell liberal. Sie hat Theologie und, in Mainz bei
Jürgen Falter, Politikwissenschaft studiert. Zur CDU kam sie spät, mit 25,
weil ihr, so die lakonische Begründung, das "christliche Menschenbild" und
"die Grillfeste der Jungen Union" zusagten. Ein Kohl-Poster hatte sie,
anders als Familienministerin Kristina Schröder, als Teenagerin nicht über
dem Bett hängen. Es gab kein Schlüsselerlebnis, das als Kitt für einen
Kampfverein taugt, auch keinen Karriereplan. Es hat sich mehr so ergeben.
Ihr Lebensgefährte hat früher mal als linksliberaler Journalist gearbeitet.
In der alten Kohl-CDU verliefen Karrieren üblicherweise anders.
Eigentlich ist Rheinland-Pfalz ein klassisches CDU-Land: ländlich und
konservativ. Die CDU gewinnt meistens bei Kommunal- und Bundestagswahlen.
Nur bei Landtagswahlen verliert sie seit 20 Jahren. Die Partei zwischen
Westerwald und Mosel zerstreitet sich mit Hingabe. Klöckner will das
ändern. "Wir haben 20 Jahre lang für Unterhaltung gesorgt, jetzt reicht's",
sagt sie. Beim Parteitag bekam sie 99,5 Prozent, Landeschef Christian
Baldauf hat zu ihren Gunsten verzichtet. Das ist ungewöhnlich für die CDU
hierzulande.
Klöckner ist jung, der SPD-Konkurrent Kurt Beck alt, sie ist unerfahren,
Beck regiert seit 16 Jahren. In anderem aber ähneln sich beide. Sie
polarisieren nicht, sie versöhnen statt zu spalten. An der Schulpolitik der
SPD lässt Klöckner natürlich kein gutes Haar und wettert gegen die
Abschaffung der Noten in der Grundschule. Aber die Zusammenlegung von
Haupt- und Realschule, die die SPD durchgesetzt hat, will sie nicht wieder
rückgängig machen. "Wir brauchen Ruhe an der Schulfront", sagt sie. Sie
klagt den dauernden Stundenausfall in den Schulen an, aber mehr Lehrer
verspricht sie nicht - Schuldenabbau soll in dem hochverschuldeten Land
vorgehen. Bildung scheint als Profilierungsfeld nur bedingt tauglich. Was
dann?
Vielleicht demografischer Wandel. Rheinland-Pfalz wird rapide älter, das
Land leerer, die Infrastruktur löchrig. Deshalb will sie ein Ministerium
zum Demografieministerium umbauen, die Reise soll dessen Notwendigkeit vor
Augen führen. Zuerst geht es zu einem Siemens-Turbinenwerk, wo allerlei zu
erfahren ist, aber wenig über akute demografiebedingte Probleme. Wenn
Mitarbeiter Pflegefälle in der Familie haben, "regeln wir das individuell",
versichert der Chef der Betriebs, der Betriebsrat nickt.
Fassbarer ist die demografische Verwerfung in einer Sozialstation in der
Pfalz. Es mangelt an Pflege-Nachwuchs, weil der Job schlecht bezahlt ist.
Es mangelt chronisch an Geld, weil die Krankenkassen zu wenig zahlen, die
Pleite droht, sagt der Leiter der Station. Und je älter die Gesellschaft
wird, desto dramatischer die Lage.
Der Minister, der die Sozialstation in Rockenberg 1973 installiert hat, ist
auch da: Heiner Geißler, damals Sozialminister in Mainz, heute 80 Jahr alt.
Klöckner ist stolz auf ihren Gast, der den heute ausgefransten Sozialflügel
der Union repräsentiert, das Ganze eine Art christdemokratisches
Familientreffen. Geißler sagt, das finanzielle Desaster der Sozialstationen
zeige, dass die Ära der sozialen Marktwirtschaft vorbei sei. Jetzt herrsche
"brutaler Kapitalismus". Menschen seien nur noch Kostenstellen,
Krankenhäuser gewinnorientierte Unternehmen. Das Einzige, was helfe, sei
die rigorose Besteuerung der internationalen Finanzmärkte, um Geld
abzuschöpfen, das man auf den Sozialstationen braucht. "Wir haben kein
Erkenntnis-, wir haben ein Umsetzungsproblem", sagt Geißler.
Es ist eine Philippika, eine Generalabrechnung, auch mit Schwarz-Gelb.
Julia Klöckner sagt: "Na, jetzt sind alle platt." Sie versichert, dass sie
"große Sympathien" für Geißlers Analyse hat, verweist auf die neue Position
der CDU und den hartnäckigen Widerstand aus der FDP und London gegen eine
Finanztransaktionsteuer. Es klingt etwas halbherzig. Schön, dass der
Großvater mal wieder da ist. Etwas schräg findet man ihn aber doch. Ein
merkwürdiges Familientreffen.
Wenn Klöckner am 27. März 2011 die Wahl verliert, will sie nach Mainz gehen
und Bundestagsmandat, Staatssekretärinnenjob und nationale Karriere erst
mal aufgeben. Sie sagt das, als wäre es selbstverständlich. Die Rückkehr in
die Provinz scheint für sie kein unmäßiges Opfer zu sein. Wenn die CDU in
Rheinland-Pfalz SPD-Mann Kurt Beck ernsthaft Konkurrenz machen will, fehlt
ihr auf jeden Fall noch ein einleuchtendes Thema. Eine passable Kandidatin
hat sie schon.
10 Sep 2010
## AUTOREN
Stefan Reinecke
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