# taz.de -- SPD über Vertriebenen-Vorsitzende: "Eine Giftmischerin" | |
> Opposition und Zentralrat der Juden kritisieren Erika Steinbach scharf. | |
> CDUler Bosbach verteidigt ihre Äußerungen – doch die historischen Fakten | |
> sind eindeutig. | |
Bild: "Ich kann es auch leider nicht ändern, dass Polen bereits im März 1939 … | |
BERLIN taz | Es war nur ein kurzer Satz Erika Steinbachs, der Vorsitzenden | |
des Bundes der Vertriebenen (BdV). Er wurde in der Fraktionsklausur der CDU | |
geäußert und lautete: "Ich kann es auch leider nicht ändern, dass Polen | |
bereits im März 1939 mobil gemacht hat." Jetzt sprechen viele Anzeichen | |
dafür, dass mit diesem Satz die bundespolitische Karriere Steinbachs | |
beendet ist. | |
Selbst unter CDU-Politikern wurde Steinbachs Äußerung kritisiert, sodass | |
die BdV-Vorsitzende erklärte, sie fühle sich allein gelassen und werde | |
nicht mehr für den CDU-Vorstand kandidieren. Der Innenexperte der CDU, | |
Wolfgang Bosbach, behauptete gestern zwar, Steinbach habe die deutsche | |
Schuld am Überfall auf Polen "nie relativieren wollen". Dann aber wies er | |
darauf hin, ein Satz könne ihre "Lebensleistung" nicht tilgen. | |
Am Freitag wurde dann die CDU von der Opposition aufgefordert, Erika | |
Steinbach als Vertreterin der Fraktion aus dem Menschrechtsausschuss | |
zurückzuziehen. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Thomas | |
Oppermann, nannte Steinbach "eine Giftmischerin für die deutsch-polnische | |
Aussöhnung". Volker Beck, der Geschäftsführer der Grünen, erklärte, man | |
könne mit revanchistischen Positionen keine wirksame Menschenrechtspolitik | |
machen. Der Zentralrat der Juden erwartete von der CDU weitere Schritte | |
gegen sie. Angesichts der fast durchgehenden Verurteilung Steinbachs warnte | |
der sudetendeutsche Vertriebenenpolitiker und CSU-Europa-Abgeordnete Bernd | |
Posselt davor, die BdV-Vorsitzende zu marginalisieren. Dies könne die | |
Gründung einer Protestpartei rechts von der CDU befördern. | |
Inhaltlich hat sich der Historiker Heinrich-August Winkler gestern mit | |
Steinbachs Position auseinandergesetzt. Winkler legte dar, dass Polen 1939 | |
das einzig Richtige tat, als es sich den Forderungen Hitlers nicht beugte | |
und seine Streitkräfte 1939 mobilisierte. Hätte Polen damals nachgegeben, | |
so wäre es zu einem Satellitenstaat des Dritten Reiches herabgesunken und | |
hätte das Schicksal der Slowakei geteilt. | |
Zur Erklärung sei noch hinzugefügt: Seit Ende 1938 hatte Nazideutschland | |
die polnische Regierung mit drei Forderungen konfrontiert. Danzig sollte | |
ans Reich angeschlossen werden, durch den polnischen "Korridor" sollte eine | |
exterritoriale Autobahn und Zugverbindung führen und Polen sollte | |
schließlich zum Beitritt des faschistischen Anti-Komintern-Pakts | |
"eingeladen" werden. Als Polen diese Forderungen ablehnte, gingen die Nazis | |
auf vollen Konfrontationskurs. | |
Die polnische Teilmobilisierung vom März 1939, auf die Steinbach sich | |
bezog, erfolgte nach der deutschen Besetzung der "Rest-Tschechei", einem | |
klaren Bruch des Münchner Abkommens und der erzwungenen Abtretung des | |
litauischen Memellandes an Deutschland, also nach vorangegangenen deutschen | |
Aggressionen. | |
Die Beziehungen zwischen Nazideutschland und dem autoritären Regime in | |
Polen waren von 1933 bis 38 ausgezeichnet gewesen, bis dahin, dass Polen | |
sich an der Aufteilung der Tschechoslowakei 1938 beteiligte. Dies änderte | |
allerdings nichts an der polnischen Weigerung, ein Bündnis mit dem "Reich" | |
einzugehen. Als Ende 1938 die Konfrontation mit Deutschland einsetzte, | |
hatte die herrschende Offiziersclique ein völlig falsches Bild von den | |
militärischen Kräfteverhältnissen und glaubte im Kriegsfall sogar an einen | |
schnellen polnischen Sieg. Hieraus aber eine aggressive Kriegspolitik | |
Polens gegenüber Nazideutschland ableiten zu wollen entbehrt jeder | |
historischen Grundlage. | |
11 Sep 2010 | |
## AUTOREN | |
Christian Semler | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Buch zu Nachkriegsvertreibungen: Die Front weicht auf | |
Ray M. Douglas präsentiert eine Studie über die Vertreibung von Deutschen | |
nach 1945. „Ordnungsgemäße Überführung“ ist nicht in allem gelungen. | |
Eklat um Vertriebenen-Präsidentin: Der Fall Erika Steinbach | |
Erika Steinbach wird für die Union zur Belastung. Kanzlerin Merkel | |
entschuldigte sich bei Polens Premier Tusk. Die Grünen wollen Steinbachs | |
Stiftung auf Eis legen. | |
Erika Steinbachs Doppelspiel: Unverhohlene Drohung an Merkel | |
Erika Steinbach teilt aus: Die Chefin des Vertriebenenbundes holzt gegen | |
"linke Schickeria" und droht mit einer Partei rechts der Union. Ihr | |
zentrales Ziel will sie aber nicht riskieren. | |
Steinbachs Rückzug aus CDU-Führung: "Ich stehe immer mehr allein" | |
Nach ihren auch in der CDU umstrittenen Äußerungen zur deutschen | |
Kriegsschuld hat Erika Steinbach angekündigt, sich aus der CDU-Führung | |
zurückzuziehen – nicht ohne Warnung an die Partei. | |
Interview zu Polens Haltung zum BdV: "Bund der Vertriebenen ist lächerlich" | |
Die Angst vor dem BdV ist in Polen verschwunden, sagt der | |
Deutschland-Experte Bartosz Wielinski. Denn man weiß, wie gering sein | |
Einfluss heute ist. | |
60 Jahre Charta der Vertriebenen: Verhöhnung statt Versöhnung?! | |
Neuer Ärger um die Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung". | |
Grünen-Chefin Claudia Roth wirft Stiftungs-Vertretern Nähe zu | |
Rechtsextremismus vor. Ein Gastbeitrag |