# taz.de -- Die türkischstämmige Autorin Tizia Koese über Rassismus: "Ich bi… | |
> Tizia Koese ist in Anatolien geboren und in Hamburg aufgewachsen. Sie hat | |
> ihren türkischen Rufnamen abgelegt, an den Rassismus der Deutschen hat | |
> sie sich nicht gewöhnt. Jetzt hat sie einen Roman über eine | |
> Selbstmord-Attentäterin geschrieben. | |
Bild: "Ich bin kein besserer Mensch, weil ich besser integrierter bin": Tizia K… | |
taz: Frau Koese, haben Sie einen deutschen oder einen türkischen Nachnamen? | |
Tizia Koese: Mein Familienname hieß eigentlich Köseoglu. Weil das hier | |
niemand richtig aussprechen kann, haben ihn die Hamburger Behörden mit | |
Zustimmung meines Vaters zu "Koese" verkürzt. Ich finde das nicht schlimm, | |
im Gegenteil: Ich sehe nicht besonders türkisch aus und wenn ich als Frau | |
Koese irgendwo hinkomme, werde ich für eine Deutsche gehalten. | |
Warum ist Ihnen das lieber? | |
Weil ich dann ungeschminkt die Meinungen über Migranten zu hören bekomme. | |
Wenn es schon Rassismus gibt, dann will ich darüber Bescheid wissen. | |
Ist das auch der Grund, warum Sie Ihren Rufnamen von Nilgün in Tizia | |
geändert haben? | |
Nein. Ich hatte es nur satt, auf dem Wohnungsmarkt benachteiligt zu sein | |
und ich wollte den Türken-Klischees entfliehen, die auf mich herabregneten, | |
sobald ich meinen Namen nannte. Ich habe es in Hamburg oft genug erlebt, | |
dass mich Vermieter ausdrücklich wegen meines Namens abgelehnt haben. Es | |
ist hart, wenn man als Person keine Chance hat, weil man auf seine Herkunft | |
reduziert wird. | |
Sie beschreiben in Ihrem Buch "Granatapfelsplitter" den Weg einer | |
Selbstmord-Attentäterin. Sie ist anatolischer Herkunft, wächst in Hamburg | |
auf und genießt dort alle westlichen Freiheiten - bevor sie sich in | |
Afghanistan im Umgang mit Sprengstoff ausbilden lässt. Ist das nicht ein | |
etwas überkonstruierter Plot? | |
Natürlich ist das zugespitzt. Aber sehr viele Migranten sind einfach sehr | |
frustriert darüber, wie wenig sie anerkannt werden. Die allermeisten nehmen | |
natürlich keine Bombe in die Hand, sondern packen ihre Koffer. | |
Wie viele tun das? | |
35 bis 40 Prozent der deutschtürkischen Akademiker und Studenten wollen | |
Deutschland verlassen, so haben es zumindest die Sozialwissenschaftler des | |
Futureorg-Instituts 2009 in einer Studie ermittelt. 41 Prozent gaben an, | |
sich nicht mit Deutschland identifizieren zu können. Dabei spielen auch die | |
ungleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt eine Rolle: Der OECD zu Folge waren | |
2007 dreimal so viele Akademiker mit Migrationshintergrund arbeitslos wie | |
deutschstämmige Akademiker. Aus meiner subjektiven Perspektive kann ich den | |
Braindrain bestätigen: Sehr viele meiner Bekannten denken an eine | |
Auswanderung in die Türkei. | |
Warum reist Ihre Protagonistin stattdessen nach Afghanistan? | |
Im Extremfall kann Ausgrenzung solche Folgen haben. Ein Roman ist fiktiv: | |
Ich habe darin eine radikal christliche Position, die mit der Hölle droht, | |
einer radikal islamistischen Perspektive entgegengestellt, die mit dem | |
Paradiesversprechen winkt, weil ich die Absurdität beider Haltungen | |
herauskristallisieren wollte. Ich selbst bin absolute Pazifistin. Aber ich | |
kann theoretisch nachvollziehen, dass aus einem Ohnmachtsgefühl heraus | |
Gewaltphantasien entstehen. Das ist ja gerade das Paradoxe an der aktuellen | |
Debatte: Gerade die gut integrierten Migranten fühlen sich durch sie | |
ausgegrenzt. Sie haben keine Lust mehr auf Deutschland. Selbst eine | |
Intellektuelle wie Hilal Sezgin sagt, dass Debatten à la Sarrazin sie | |
"muslimifiziert" hätten. Als Reaktion auf das Sarrazin-Buch schreibt sie: | |
"Deutschland schafft mich ab." | |
Sie haben vorhin gesagt, Sie wollten als Einzelperson und nicht als | |
"Türkin" wahrgenommen werden, zum Beispiel auf dem Wohnungsmarkt. Warum | |
reagieren Sie jetzt "als Türkin"? | |
Ich kann nicht einfach nur für mich sagen: Ich werde anerkannt, und damit | |
hat sichs. Ich bin kein besserer Mensch, weil ich besser integriert bin. | |
Meine Landsleute, von denen sich viele nicht gut wehren können, haben es | |
nicht verdient, dass sie jetzt so behandelt werden! Wenn man sehr viele | |
bildungsferne Leute als dringend benötigte Hilfsarbeiter zur Einwanderung | |
auffordert, dann ist das Problem doch eigentlich absehbar. Schließlich sind | |
es gerade diese Jobs, die irgendwann wegrationalisiert wurden. Man muss | |
sich doch fragen: Wie sind die Perspektiven dieser Leute? | |
Wie viel trägt die türkische Community selbst zum Außen-vor-Bleiben bei? | |
Einiges, das will ich nicht beschönigen. Andererseits ist es auch normal, | |
dass man "in der Fremde" zusammen hält. Das tun die Deutschen, die sich in | |
Alanya ein schönes Leben machen, genauso. Die setzen alles dran, um in | |
einer muslimischen Stadt ihr Schweinefleisch zu bekommen... | |
... und Mallorca ist unser 17. Bundesland, deutschsprachige Presse | |
inklusive. Aber daraus entsteht kein Gewaltproblem. | |
Das stimmt. Natürlich muss man den türkischen Vätern und Brüdern klar | |
machen, dass sie ihren Töchtern oder Schwestern nichts antun und keine | |
rigiden Vorschriften machen dürfen. | |
In ländlichen Gebieten Deutschlands war es bis vor 30 Jahren verbreitet, | |
ein Kopftuch zu tragen. Bei Zwangsheiraten und "Ehrenmorden" ist es etwas | |
länger her, aber die waren bis weit in 19. Jahrhundert hier leider | |
ebenfalls üblich. | |
Hier und heute wird ein großer Unterschied gemacht, ob Gewalt von deutschen | |
Jugendlichen ausgeht oder von türkischen. Der kriminelle Türke soll "raus", | |
auch wenn er einen deutschen Pass hat und damit Deutscher ist. | |
Hat die Sarrazin-Debatte das Klima verschlimmert? | |
Eindeutig. Plötzlich bin ich in der Rolle, mich rechtfertigen zu müssen. | |
Ich war gerade auf der Party einer guten Bekannten, einer Tänzerin, da war | |
es auch so: Wenn ich anfange, Benachteiligung oder Ausgrenzung zu | |
kritisieren, wird mir Undankbarkeit vorgeworfen. Selbst von meinen | |
deutschen Freunden - aufgeschlossenen, kreativen Leuten. | |
Ihre Familie ist 1972 vom anatolischen Akçadag nach Hamburg gezogen. | |
Erinnern Sie sich an Ihre ersten Eindrücke? | |
Oh ja: Alles fühlte sich kalt an. Ich fror und verstand die Sprache genauso | |
wenig wie die Lebensmittel. Wie man zum Beispiel dieses fade Zeug trinken | |
kann, das sie Mineralwasser nennen - bei uns war alles Kohlensäurehaltige | |
gezuckert. In der Schule habe ich selbstverständlich mein Pausenbrot herum | |
gehen lassen. Allerdings kam nichts zurück - was ich furchtbar unhöflich | |
fand. Heute bin ich genauso egoistisch. Es ist fürchterlich, wenn man | |
nichts kapiert, ich habe dann ununterbrochen Deutsch geübt. Wir wurden | |
belohnt, wenn wir mit neuen Vokabeln nach Hause kamen. Dafür ist mein | |
Türkisch mittlerweile erbärmlich. | |
Was war positiv? | |
Was ich mich erst zum Heulen gebracht hat, liebe ich jetzt: die Sprache. | |
Thomas Mann, Nietzsche, Heidegger, Enzensberger. Und natürlich genieße ich | |
es, mich als Frau frei verhalten zu können. Allerdings habe ich es immer | |
wieder erlebt, und das kenne ich auch von meinen Schwestern und | |
Freundinnen, dass mich die Eltern meiner deutschstämmigen Freunde ablehnen. | |
Gab es von Ihrem Vater zusätzlichen Stress? | |
So ist es. Er hat beide Seiten: Theoretisch ist mein Vater für | |
Gleichberechtigung, aber praktisch hat er damit Schwierigkeiten - und eine | |
Großfamilie, vor der er mein Verhalten rechtfertigen muss. Wir kämpfen uns | |
da durch. Aber wo bleibt eigentlich die Anerkennung? Wir können uns | |
integrieren wie wir wollen - angefeindet werden wir trotzdem. Dabei bin ich | |
nicht nur integriert, ich bin sogar assimiliert. | |
Ihre Familie ist möglicherweise kurdischer Herkunft. Entsteht dadurch ein | |
doppeltes Außenseitertum, sowohl in der Türkei als auch in Deutschland? | |
Meine Eltern weigern sich standhaft, mir zu verraten, ob ich Kurdin oder | |
Türkin bin, weil sie diese ethnische Unterscheidung ablehnen. Das | |
Verhältnis zwischen Türken und Kurden ist mindestens so explosiv wie die | |
aktuelle Integrationsdebatte in Deutschland. | |
Die taz druckte kürzlich eine Karikatur über türkische Jugendliche im | |
Freibad. Jemand fragt: "Warum sind die heute so ruhig?" Und der Bademeister | |
antwortet: "Ich hab 1.000 Liter Baldrian ins Badewasser geschüttet." Ist | |
das rassistisch? | |
Aus türkischer Sicht müsste ich sagen: ja. Aber als Frau gefällt mir die | |
Karikatur. Denn die türkischen Jungs und Männer dürfen sich wirklich | |
wahnsinnig viel erlauben und aggressiv sein. Allerdings hat man hier auch | |
zu viel Angst vor ihnen. Als Mann ist es vielleicht schwieriger, aber ich | |
kann alle deutschen Mädels nur ermutigen, ihnen Paroli zu bieten - das | |
kapieren die dann schon. Ich selber lasse mir von türkischen Männern nichts | |
gefallen, gar nichts. | |
Sie leben jetzt in der Nähe des Starnberger Sees. Fühlen Sie sich in Bayern | |
noch unintegrierter als in Hamburg? | |
Ja. Die Leute, die mich ja meist für eine deutsche Journalistin halten, | |
jammern mir ständig die Ohren voll, wie schlimm die Ausländer sind - aber | |
das ist gut so. Ich will ja wissen, wer mich nicht mag und wer mich | |
raushaben will. Deswegen gefällt mir übrigens die Fremdenfeindlichkeit in | |
der Schweiz viel besser als die in Deutschland: Da schwingt nichts Dubioses | |
mit, die Schweizer sagen einfach ehrlich, dass sie vor Minaretten Angst | |
haben - da sind sie ganz unkompliziert und nicht so komisch verdruckst. | |
Falls ich auswandere, wäre die Schweiz ein Ziel. | |
12 Sep 2010 | |
## AUTOREN | |
Henning Bleyl | |
Henning Bleyl | |
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Kurdistan | |
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