Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debatte Kuba-Solidarität: Fidel Castros wahre Worte
> Der kubanische Staat ist pleite, das politische System marode. Doch
> manche Linke reden sich die Misere auf der Insel noch immer schön.
Bild: Kubas Bevölkerung hat lange genug in die saure Guayave beißen müssen.
Wie auch immer Fidel Castro jüngst seine Aussage gemeint hat, das
kubanische Modell "funktioniert nicht einmal mehr für uns": Tatsache ist,
dass sie stimmt. Der kubanische Staat ist pleite, das politische System
marode. Gerade erst hat die Regierung die Massenentlassung von 500.000
Staatsbediensteten beschlossen, die sich künftig in der Privatwirtschaft
umsehen sollen: ein Novum in einem Land, das bisher offiziell keine
Arbeitslosigkeit kannte.
Zugleich fordern Menschenrechtler wie die grüne EU-Abgeordnete Barbara
Lohbichler, Ex-Generalsekretärin von amnesty international, Europa solle
mehr Druck auf Kuba ausüben. Die Freilassung von 32 kubanischen
Dissidenten, die seit Juli nach Madrid ausgeflogen wurden, sei noch nicht
genug.
Wer aber dazu die Stellungnahmen deutscher Kuba-Solidaritätsgruppen liest,
der reibt sich die Augen: Jeder Versuch, die Tür zu einer offenen Debatte
über die Zukunft des Inselstaats aufzustoßen, ist für sie bereits
feindliches Agententum. Kubas Kurs sollte den Menschen auf Kuba überlassen
werden, schreibt etwa Edgar Göll). Recht hat er! Aber in Wirklichkeit meint
er mit Kuba nicht dessen Bürger: Er meint die Regierung.
Die Meinungsfreiheit, die man im kapitalistischen Westen ganz
selbstverständlich - und völlig zu Recht! - für sich in Anspruch nimmt,
soll dem Gros der KubanerInnen offenbar verwehrt bleiben: Die Leichtigkeit,
mit der Göll Menschenrechte zu "westdeutschen Schulbuchweisheiten" und
Angehörige politischer Gefangener zu "Bräuten von Gesetzesbrechern"
erklärt, lässt jedenfalls schwindeln. Die eklatante Mangelwirtschaft - die
schlechteste Zuckerrohr- und Kaffeeernte seit 100 Jahren und eine
Staatswirtschaft, die am Boden liegt - feiert er dagegen gar als "Freiheit
vom Hyperkonsum". Das würde zur Realsatire taugen, wenn es nicht so traurig
wäre.
Grauenhaftes Menschenbild
Womit hat es die kubanische Bevölkerung verdient, so verhöhnt zu werden?
Warum muss sie als Geisel eines längst gescheiterten Gesellschaftsmodells
herhalten? Und warum schaffen es manche Linke nicht, gedanklich zwischen
dem Wohl des kubanischen Volks und dem seiner sozialistischen
Einparteienregierung zu trennen? Letztere ist für Göll fortschrittlich,
während die Menschen dumm und manipulierbar sind. Dahinter steckt ein
grauenhaftes Menschenbild.
Zur Erinnerung: Jede Gesellschaft der Welt setzt sich aus Individuen
zusammen, die eigene Gedanken und eine Vielfalt von Ansichten haben - kluge
und dumme, rechte und linke, religiöse und antireligiöse. Sie alle müssen
sich ausdrücken und mitwirken können. Das sind Grundrechte, die - richtig!
- auch in kapitalistischen Gesellschaften stets neu erkämpft und gesichert
werden müssen. Sie stehen selbstverständlich auch den Menschen auf Kuba zu.
System der Entmündigung
Stattdessen aber herrscht dort ein System der Entmündigung. Die staatlichen
Medien sind eine Zumutung - vom Fernsehen mit Randy Alonso, dem
unerträglichen Mikrofonständer des Regimes und seiner Sendung "Mesa
Redonda", bis hin zur Parteizeitung Granma, die auch 2010 noch mit
Schlagzeilen wie "Raúl empfängt Namibias Botschafterin" aufwartet.
Eine freie Debatte über die Zukunft ihres Landes ist auf Kuba selbst nicht
möglich. Und wer, wie die Bloggerin Yoani Sánchez, deshalb ins Internet
ausweicht, bekommt von deutschen Salonlinken und der kubanischen Stasi
nachgerufen, sie sei "vom systemfeindlichen Westen unterstützt".
Das kubanische Regime hat Angst vor dem Zusammenbruch: Zu Recht. Manche
hofften unter Raúl Castro auf einen Wandel. Doch aus diversen Treffen mit
Parteioberen, bei denen etwa StudentInnen ihrem Unmut Luft machten, folgte:
nichts. Eigentlich sollten beim Parteitag im vergangenen November handfeste
Reformen beschlossen werden. Der Parteitag fand aber gar nicht erst statt:
Die Angst des Regimes war zu groß. Das Land erstarrt derweil in Lähmung.
Richtig ist: In Kuba wird man nicht (mehr) umgebracht, wenn man die
"falsche" politische Haltung vertritt. Gewerkschafter müssen, anders als in
Kolumbien, nicht um ihr Leben fürchten - es gibt aber auch keine freien
Gewerkschaften. Journalisten werden nicht, wie in Guatemala und Mexiko, mit
dem Tod bedroht - es gibt aber auch keine unabhängigen Journalisten, die
legal arbeiten können. Und oppositionelle Demonstrationen werden nicht
brutal zusammengeprügelt - es sei denn, es finden mal welche statt.
Dann kommt eine stets bestens organisierte, "spontan empörte" Bevölkerung
zusammen, die die Demonstrierenden beschimpft und nicht selten auch
angreift. Und falls das nicht ausreicht, um Kritiker einzuschüchtern, gibt
es ja noch jene Paragrafen des Strafgesetzbuchs, die als "Feindpropaganda"
alles unter Strafe stellen, was der Regierung nicht gefällt. So wird eine
offene Debatte erstickt.
Auf die USA zeigen
Mag sein, dass es in vielen Teilen der Welt um die Menschenrechte viel
schlimmer bestellt ist, und dass Kuba beim Entwicklungsindex der UN zuletzt
auf einem achtbaren Platz 51 landete. Darf man deshalb aber keine Kritik
üben? Doch wann immer es um die Missstände auf Kuba geht, zeigen
regierungssolidarische Linke mit dem Finger reflexhaft auf die USA. Sicher,
in einem Punkt haben sie recht: das US-Wirtschaftsembargo muss weg. Allein
schon, weil es kontraproduktiv ist. Denn nichts würde die Regierung in
Havanna mehr ins Wanken bringen, als wenn sie ihre Lieblingsausflucht für
die - zu großen Teilen selbst verschuldete - wirtschaftliche Misere auf der
Insel verlieren würde.
In Kuba regiert ein überaltertes Regime in verkrusteten Strukturen, das
nicht mehr weiter weiß. Wirklich tragisch ist, dass der Zeitpunkt für
notwendige Reformen längst verpasst wurde. Womöglich ist es deshalb schon
zu spät, von den unbestreitbaren Errungenschaften der Revolution - etwa im
Bildungs- oder Gesundheitsbereich - noch etwas zu retten. Ganze
Generationen junger, gut ausgebildeter KubanerInnen verlassen das Land,
weil sie für sich keine Chancen mehr sehen. Kuba braucht den Wandel.
Wirkliche Freundschaft zu Kuba hieße, die KubanerInnen dazu zu ermutigen.
15 Sep 2010
## AUTOREN
Bernd Pickert
## ARTIKEL ZUM THEMA
Interview mit kubanischem Dissidenten: "Es ist eine revolutionäre Situation"
Regierungskritische Oppositionelle in Kuba werden aufgefordert,
auszureisen. Der bekannte kubanische Dissident Guillermo Fariñas wünscht
sich dazu eine deutliche Kritik aus Europa.
Dissidenten in Kuba: Regime für Abschied ohne Wiederkehr
Die Freilassung von Häftlingen in Kuba geht weiter. Diese Woche sollen drei
weitere nach Spanien ausreisen. Doch längst nicht alle wollen ihrem Land
den Rücken kehren.
Krisenbewältigung im Tropensozialismus: Kuba entlässt 500.000 Staatsdiener
"Zu aufgebläht" seien die Staatsbetriebe, erklärt der kubanische
Gewerkschaftsbund und kündigt eine massive Entlassungswelle an. Die
freigesetzten Arbeitskräfte sollen in die Privatwirtschaft gehen.
Debatte US-Blockade gegen Kuba: Wo der Kalte Krieg fortlebt
Kuba hat zwar viele Probleme, aber es achtet die Menschenrechte. Westliche
Gegner des sozialistischen Inselstaats machen es sich mit ihrer Kritik
deshalb oft viel zu einfach.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.