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# taz.de -- Interview mit kubanischem Dissidenten: "Es ist eine revolutionäre …
> Regierungskritische Oppositionelle in Kuba werden aufgefordert,
> auszureisen. Der bekannte kubanische Dissident Guillermo Fariñas wünscht
> sich dazu eine deutliche Kritik aus Europa.
Bild: Guillermo Fariñas, während der Regeneration nach seinem Hungerstreik im…
taz: Herr Fariñas, die Appelle von Jerzy Buzek, dem Präsidenten des
Europäischen Parlaments, haben nichts bewirkt. Sie werden nicht zugegen
sein, wenn Ihnen der Sacharow-Preis für geistige Freiheit verliehen wird.
Haben Sie das so erwartet?
Guillermo Fariñas: Ich wäre sehr gern nach Straßburg gereist. Aber viel
Hoffnung hatte ich nicht. Und vorige Woche wurde mir endgültig klar, dass
ich die Papiere nicht bekommen würde. Ich habe zwar einen Pass, aber um zu
reisen, benötige ich eine Ausreiseerlaubnis. Die habe ich nicht erhalten.
Warum nicht?
Ich denke, weil die Regierung den direkten Austausch der pazifistischen
Opposition auf Kuba, zu der ich gehöre, und den Abgeordneten des
EU-Parlaments und den Unterstützern in Europa fürchtet. Es gibt einen
Unterschied zwischen dem direkten Dialog und den überwachten
Telefongesprächen.
Wird es eine Videobotschaft für das EU-Parlament oder etwas Ähnliches von
Ihnen geben?
Bisher ist so etwas nicht geplant.
International sind Sie vor allem durch Ihre mehr als zwanzig Hungerstreiks
bekannt geworden. Warum haben Sie derart oft zu diesem Mittel gegriffen?
Der Hungerstreik ist ein extremes Mittel, damit die Regierung uns und
unsere Position überhaupt wahr- und ernst nimmt. Aber es ist nur das letzte
Mittel, denn ich bin auch als unabhängiger Journalist tätig. Ich schreibe,
informiere in einem Blog und in einer unabhängigen Presseagentur, die Foro
Cubanácan Press heißt. Da wird über die Realitäten und Meinungen berichtet,
die in den Medien des staatlichen Sozialismus keine Berücksichtigung
finden. Zudem arbeiten wir im Rahmen des Netzwerkes der unabhängigen
Bibliotheken und sorgen dafür, dass die Bevölkerung etwas anderes lesen
kann als die durch die Zensur gebilligten Publikationen.
Für die Regierung sind Sie ein gewöhnlicher Krimineller.
Oh, das ist ein interessantes Thema. Am 8. März dieses Jahres erschien ein
Artikel von Alberto Nuñez Betancourt, einem der Vizedirektoren der
Parteizeitung Granma, in dem ich verschiedener krimineller Delikte
beschuldigt wurde. Von meinem Einsatz im Krieg in Angola, von meiner
Ausbildung in Russland, von der revolutionären Vergangenheit meiner Familie
- von alledem war keine Rede. Einige Wochen später, ich war dem Tode nahe,
erschien in derselben Zeitung ein Interview mit meinem Arzt, und ich wurde
da als gewöhnlicher Bürger in durchaus respektvoller Weise dargestellt.
Hier in Santa Clara weiß jeder, der mich kennt, dass ich ein Pazifist bin
und niemanden schlagen würde, wie es mir in der Granma zur Last gelegt
wurde.
Welche Bedeutung hat der EU-Menschenrechtspreis für Sie und für Kuba?
Dieser Preis ist keine Auszeichnung für Guillermo Fariñas, sondern für den
Widerstand des kubanischen Volkes. Er ist zugleich eine Verpflichtung, bis
wir es endlich geschafft haben, den eigentlichen Preis zu erringen: die
totale Demokratisierung Kubas.
Was wünschen Sie von Europa?
Ich wünsche mir eine klare Haltung zu mehr Demokratie in Kuba. Ich wünsche,
dass die Abgeordneten des Europäischen Parlaments kritisieren, dass es
nicht ausreicht, politische Gefangene freizulassen, ohne die Gesetze zu
verändern, die deren Verurteilung erst ermöglicht haben.
Es ist immerhin das dritte Mal, dass ein Kubaner diesen Preis erhält.
Wenn ein Kubaner diesen Preis erhält, dann ist das auch eine Kritik an den
Zuständen auf der Insel. Ich denke, dass die Regierung sehr wohl versucht,
auf diplomatischen Wegen eine derartige Preisverleihung zu verhindern.
Noch immer sitzen elf Leute aus der Gruppe der 75 in Haft. Warum hält die
Regierung nicht die Zusage ein, die sie der Kirche, der spanischen
Regierung und Ihnen gemacht hat?
Ich denke, weil die Häftlinge sich weigern, in die Verbannung zu gehen,
weil sie in Kuba leben wollen, weil sie widerstehen und nicht akzeptieren,
dass die Regierung ihnen vorschreibt, wo und wie sie zu leben haben. Denn
ein Ziel der Regierung ist es, das politische, soziale und ökonomische
Leben zu kontrollieren.
Aber angesichts der fehlenden ökonomischen Perspektiven ist die
Auswanderung doch Alltag auf Kuba.
Ja, und jedes Mal, wenn die Unzufriedenheit zu groß wird, lässt man über
die Ausreise etwas Dampf aus dem Kessel. Das war 1965 so, als in Absprache
mit den USA eine Luftbrücke eingerichtet wurde; das war 1980 so, als die
Ausreise über den Hafen von Mariel gestattet wurde, und das war 1994 so,
als etliche tausend Kubaner auf allem, was schwimmen konnte, die Insel
verließen.
Aber die Aufforderung an Oppositionelle, das Land zu verlassen, ist doch
neu, oder?
Ja, mir hat man das auch ans Herz gelegt. Aber diese elf Häftlinge stellen
etwas dar, was der Regierung ganz und gar nicht gefällt: Sie wollen in
ihrer Heimat bleiben und hier für ein anderes Kuba kämpfen. Ihr Verbleiben
in Haft ist die Quittung der Regierung für diese Haltung.
Wie ist die derzeitige Situation auf der Insel?
Wir befinden uns in einer revolutionären Situation, denn die Regierten sind
mit den Lebensbedingungen nicht zufrieden, die ihnen die Regierenden
bieten, und es gibt spontane Proteste. So haben zum Beispiel die Kutscher
in Bayamo kürzlich gegen die hohen Steuern protestiert, und hier in Santa
Clara hat es während des Kinofestivals Proteste von Jugendlichen gegen die
Informationspolitik der Regierung gegeben. Sie wollten unbedingt ein
Fußballspiel der spanischen Liga sehen.
Und wie reagiert die Regierung auf diese Dinge?
Ich denke, dass sie noch nicht realisiert hat, dass es kaum mehr möglich
ist, die Informationen zu steuern. Die Leute wissen immer öfter, was in und
außerhalb Kubas passiert. Die Informationen durchlaufen nicht mehr wie
früher den offiziellen Filter, und es häufen sich die Proteste, die man
nach wie vor zu ersticken versucht.
Hat dieser Wandel auch etwas mit den jüngsten ökonomischen Reformen zu tun,
die den Abbau von sozialen Sicherheitssystemen zur Folge haben?
Ja, auf jeden Fall, denn die Entlassung von Staatsbediensteten, die
angestrebte Aufkündigung sozialer Sicherheitssysteme hat dazu beigetragen,
dass Unzufriedenheit und Proteste zunehmen.
Sie haben Anfang Dezember gemeinsam mit den Dissidenten René Gómez Manzano
und Félix Antonio Bonne Carcassé, die dem konservativen Lager zugerechnet
werden, Stellung zur Wirtschaftspolitik der Regierung bezogen. Worum geht
es Ihnen dabei?
Wir kritisieren, dass die Regierung seit über 50 Jahre eine Regierung der
falschen Versprechen ist. Aus materieller Perspektive hat sie nie erfüllt,
was sie versprochen hat. Wir appellieren, einen Schlussstrich zu ziehen und
die Verantwortung anderen zu überlassen, die eher dazu in der Lage sind,
die Bevölkerung aus der Armut zu führen, in der wir uns befinden. Das ist
in wenigen Worten der Kern des Dokuments, das wir Anfang Dezember
vorgestellt haben. Es ist eine Reaktion auf das Dokument, das die
Kommunistische Partei vor einigen Wochen präsentiert hat, um die Diskussion
auf dem Parteikongress im April vorzubereiten.
Es ein knappes halbes Jahr her, das Sie Ihren mehr als hundert Tage
währenden Hungerstreik beendet haben, an dessen Ende die Regierung
zusicherte, die letzten 52 Häftlinge aus der Gruppe der 75 freizulassen.
Wie geht es Ihnen jetzt?
Mit geht es recht gut, aber ich habe noch mit zwei Blutgerinnseln zu
kämpfen, ein Thrombus im linken Arm und einem am Hals, die medikamentös
behandelt werden. Das sind die beiden Dinge, die Sorgen machen.
15 Dec 2010
## AUTOREN
Karl Kaufmann
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