# taz.de -- Parlamentswahl in Schweden: Die Sozis verlieren ihr Herzland | |
> Das linke Wahlbündnis hat verloren. Doch auch die Konservativen verfehlen | |
> die absolute Mehrheit. Um nicht mit Rassisten koalieren zu müssen, | |
> umwerben sie die Grünen. | |
Bild: Sieht immer noch aus wie Saltkrokan oder Bullerbü - aber die Wähler mac… | |
STOCKHOLM taz | "Es ist eine komplizierte Lage, die zu größerer | |
Instabilität führen kann." So kommentierte der konservative schwedische | |
Regierungschef Fredrik Reinfeldt das Ergebnis der Parlamentswahl, bei der | |
die WählerInnen seine konservativ-liberale Vierparteienkoalition (bestehend | |
aus Konservativen, Liberalen, Christdemokraten, Zentrumspartei) sogar | |
leicht gestärkt haben. Dennoch reichte es nicht mehr für eine Mehrheit im | |
Parlament. Die blockiert nämlich die Partei "Sverigedemokraterna", die | |
"Schwedendemokraten", die mit 5,7 Prozent und 20 Sitzen erstmals in den | |
Reichstag einziehen. | |
Jegliche Form der Zusammenarbeit mit dieser | |
rechtspopulistisch-rassistischen Partei hatten alle Parteien schon vor dem | |
Wahltag kategorisch abgelehnt. Von einer Minderheitsregierung, die sich | |
wechselnde Mehrheiten im Parlament sucht, bis hin zu Neuwahlen reichen | |
deshalb mögliche Optionen, diese parlamentarische Pattsituation zu | |
überwinden. Fredrik Reinfeldt betonte seine Absicht, trotz fehlender | |
Mehrheit mit seiner Regierung im Amt zu bleiben, sich aber keinesfalls von | |
den Stimmen der Rechtsaußenpartei abhängig zu machen. | |
Er kündigte deshalb noch in der Wahlnacht an, den Grünen ein | |
Gesprächsangebot für eine politische Zusammenarbeit zu unterbreiten, das | |
diese aber ablehnten. Sie würden sich nicht aus der rot-rot-grünen Allianz | |
herausbrechen lassen, betonten SprecherInnen der Partei, die politische | |
Zusammenarbeit gelte auch über den Wahltag hinaus. Am Montag signalisierten | |
sie zumindest Gesprächsbereitschaft. | |
Mit gerade einmal 43,7 Prozent kam die in Schweden erstmals angetretene | |
Wahlallianz aus Sozialdemokraten, Linken und Grünen auf ein enttäuschendes | |
Ergebnis. Was vor allem am Abschneiden der Sozialdemokraten lag. Vor den | |
Wahlen 2006 noch eine 40-Prozent-Partei, schrumpften diese nunmehr um | |
weitere 4,4 Prozent und kamen nur noch auf 30,9 Prozent. Damit behaupteten | |
sie zwar knapp den Status als größte schwedische Partei vor den | |
Konservativen, die auf 30 Prozent kamen. | |
Doch für die Sozis, die die schwedische Politik wie vergleichsweise wohl | |
keine andere Partei in einem europäischen Land über Jahrzehnte hinweg | |
geprägt haben, war es gleichzeitig das schlechteste Wahlergebnis seit 96 | |
Jahren. "Das ist der endgültige Abschied von einer politischen Bewegung, | |
die das Schweden des 20. Jahrhunderts dominiert hat", konstatiert der - | |
sozialdemokratische - Schriftsteller Göran Greider. | |
"Wir haben eine richtig schlechte Wahl hingelegt", gab die | |
sozialdemokratische Oppositionsführerin Mona Sahlin auch unumwunden zu: | |
"Wir haben es nicht geschafft, das verlorene Vertrauen zurückzugewinnen." | |
Laut Umfragen glaubte beispielsweise eine Mehrheit der MitgliederInnen der | |
schwedischen Gewerkschaften, der konservative Ministerpräsident Reinfeldt | |
werde ihre Interessen besser vertreten können als die Sozialdemokratin | |
Sahlin. | |
Die Krise der Sozialdemokraten beruhe auf gesellschaftlichen | |
Strukturveränderungen, auf welche die Partei bislang nicht angemessen | |
reagiert habe, meint der Politikwissenschaftler Ulf Bjereld: "Sie ist noch | |
geformt von der Industriegesellschaft und dem Gegensatz zwischen Kapital | |
und Arbeit, zwischen rechts und links." Analysen zeigen tatsächlich ein | |
entlang der Einkommensgrenzen gespaltenes Schweden: 85 Prozent derer, die | |
mehr als 50.000 Euro jährlich verdienen, stimmten für eine der | |
konservativ-liberalen Parteien, nur 11 Prozent für Rot-Rot-Grün. Bjereld: | |
"Mehr als anderswo wird in Schweden nach Klassenzugehörigkeit gewählt." | |
So verteidigten die Sozialdemokraten ihre ländlich und industriell | |
strukturierten Hochburgen in Nordschweden, verblieben aber in der von | |
Dienstleistungsjobs geprägten Hauptstadt Stockholm in der Opposition. So | |
gerade eben und mit Hilfe der Grünen konnten sie ihre Mehrheit in den | |
Großstädten Göteborg und Malmö retten. Die Grünen wiederum schnitten mit | |
über 13 Prozent in Stockholm fast doppelt so gut ab wie im gesamten Land. | |
Wo sie immerhin ebenfalls erstmals drittstärkste Partei wurden. | |
Und die Grünen dürften auch die einzige Partei sein, die das durch den | |
Einzug der "Schwedendemokraten" in den Reichstag entstandene Patt auflösen | |
könnte. In einer Situation, wo keine der beiden Blöcke eine | |
parlamentarische Mehrheit erringen konnte, müssten "alle Beteiligten | |
Verantwortung übernehmen", betonte Ministerpräsident Reinfeldt in Richtung | |
Grüne. | |
Doch weil diese mit einem Ausstieg aus dem rot-rot-grünen Wahlbündnis ihre | |
Glaubwürdigkeit riskieren, müsste den Grünen für einen solchen | |
Seitenwechsel vermutlich einiges geboten werden. Themen, die eine | |
Zusammenarbeit unmöglich erscheinen lassen, sprach die Grünen-Vorsitzende | |
Maria Wetterstrand bereits an: Abschaltung von AKWs statt Neubauten, die | |
grüne Forderung nach Erhöhung der Benzinsteuer, die Verkehrspolitik, bei | |
der die Grünen auf massive Neuinvestitionen in den Bahnverkehr setzen | |
wollen, und die Rücknahme von Ungerechtigkeiten in der Krankenversicherung, | |
die auf eine konservativ-liberale Reform zurückgehen. | |
Auch nur Teilzugeständnisse und eine Einbindung der Grünen dürften aber | |
ernsthaft wohl erst in Frage kommen, wenn der Versuch Reinfeldts mit einer | |
Minderheitsregierung scheitern sollte. | |
20 Sep 2010 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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