# taz.de -- Sicherheitsexperte über Twitter-Wurm: "Die meisten Nutzer klicken … | |
> Der jüngste Twitter-Wurm ist nur ein Beispiel für sich ständig | |
> beschleunigende Netzangriffe. IT-Sicherheitsexperte Georg Wicherski | |
> erklärt die Hintergründe des Angriffs. | |
Bild: Mal Wodka, mal Web: Biz Stone. | |
taz.de: Herr Wicherski, hat es Sie als Sicherheitsexperte überrascht, wie | |
schnell die Twitter-Lücke am Dienstag ausgenutzt wurde? | |
Georg Wicherski: Nein, erste Demonstrationen der Lücke wurden bereits am | |
frühen Mittag deutscher Zeit auf Twitter von IT-Security-affinen Benutzern | |
gepostet, so dass die Informationen über die Lücke Hunderten Nutzern zur | |
Verfügung standen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis jemand diesen Code | |
so umbaut, dass er nicht nur eine harmlose Dialogbox anzeigt sondern sich | |
selber verbreitet. Dementsprechend sind dann auch direkt mehrere, | |
verschiedene Varianten des Wurms aufgetaucht. Die Lücke selber war | |
anscheinend übrigens seit mindestens dem 23. August bekannt, der Patch | |
schien jedoch noch nicht eingespielt worden zu sein. | |
taz.de: Wie haben Sie selbst das Problem erlebt? In Ihrem Blog gab es ja | |
eine Art [1][Live-Berichterstattung]. | |
Wicherski: Jemand, dem ich followe (also dessen Twitter-Updates auf meiner | |
Twitter-Seite erscheinen), hat eine Demonstration dieser Lücke | |
veröffentlicht. Als ich ohne alles direkt zu lesen meine Maus über die | |
Seite bewegte, öffnete sich plötzlich eine Dialog-Box mit sensitiven | |
Browser-Inhalten, unter anderem meinem Login. Dies ist ein typisches | |
Verhalten für Demonstrationen von XSS-Schwachstellen, mein erster Gedanke | |
war also: "Oh Mist, jetzt hat mich jemand dran!" Eine schnelle Analyse der | |
Demonstration ergab jedoch, dass wirklich nur dieser Dialog aufpoppen | |
sollte, sozusagen als Warnung: "Du bist verwundbar." Im folgenden habe ich | |
die Schwachstelle dann detaillierter analysiert und festgestellt, dass sie | |
sich fuer einen Wurm ausnutzen lässt - was dann später auch eingetreten | |
ist. | |
taz.de: Twitter ist ja ein sehr schnelles Medium, "böse" Links verbreiten | |
sich in Minuten. Ist deshalb in Zukunft mit weiteren (und schlimmeren) | |
Attacken dieser Art zu rechnen? | |
Wicherski: In diesem konkreten Fall wurde eine Schwachstelle in Twitter | |
selbst ausgenutzt, die dann geschlossen wurde. Solche Lücken lassen sich | |
durch Code-Audits [eine intensive und teilweise automatisierte Analyse von | |
Software, Anm. d. Red.] identifizieren und präventiv schließen. Es ist | |
davon auszugehen, dass Twitter seine Sicherheits-Checks in Zukunft | |
verstärkt. Wird dennoch einmal eine solche Lücke durch Externe gefunden, | |
kann das ganze natürlich rasend schnell gehen, wie man am Dienstag gesehen | |
hat. Von ersten Demonstrationen über den Wurm bis zum Stopfen der Lücke | |
sind nur anderthalb Stunden vergangen. | |
taz.de: Können Sie für einen Laien verständlich erklären, was XSS-Angriffe | |
sind? | |
Wicherski: Alle modernen Browser sprechen heutzutage JavaScript, das ist | |
vor allem nützlich für dynamische Inhalte wie auf Twitter oder Facebook. | |
Der JavaScript-Code wird dabei in die Webseite selbst, mit speziellen | |
sogenannten "Tags" umschlossen, eingefügt. Viele Seiten heutzutage erlauben | |
es jedoch auch dem Nutzer, selbst erstellte Inhalte wie Texte oder eben | |
kurze Tweets in eine Web-Seite für andere einzubetten. Aus der Sicht des | |
Browser befinden sich diese Inhalte auf der selben Ebene wie der | |
JavaScript-Code der Seite. Daher ist es Aufgabe der Seite, vor dem | |
Veröffentlichen der Inhalte diese den Code markierenden Tags | |
herauszufiltern, damit andere Benutzer keinen Code in die Seite des | |
Betrachters einschleusen können. Geschieht dies nicht oder nur mangelhaft, | |
kann beispielsweise wie am Dienstag Code eingeschleust werden, der sich | |
selber dupliziert und im Namen des Betrachters auf die Seiten anderer | |
Nutzer kommt. Der Wurm von Dienstag hat lediglich eine Kopie von sich | |
selbst als neuen Tweet unter dem Account des Betrachters veröffentlicht - | |
mehr nicht. | |
taz.de: Kann man sich als Nutzer vor XSS-Angriffen schützen? Was halten Sie | |
vom Abdrehen von JavaScript, eventuell durch [2][Zusatzprogramme] wie | |
[3]["NoScript"], die es für den Browser Firefox gibt? | |
Wicherski: Grundsätzlich ist man auf die Seitenbetreiber angewiesen, die | |
Inhalte anderer Nutzer entsprechend filtern müssen. Das Deaktivieren von | |
JavaScript, beispielsweise durch Zusatzprogramme wie "NoScript", schafft | |
hier Abhilfe. Der eingeschleuste Code wird dann nicht mehr ausgeführt. | |
taz.de: Twitter selbst setzt bei seinem Relaunch ja verstärkt auf die | |
Skriptsprache - und modernde Web 2.0-Angebote kommen schlicht nicht mehr | |
ohne sie aus. | |
Wicherski: Ja, viele Web-Seiten funktionieren heutzutage ohne JavaScript | |
nur noch eingeschränkt und daher muss eine Ausnahme in NoScript gestattet | |
werden. Ist diese Seite verwundbar, so wird der Nutzer gezwungen, sich | |
selber verwundbar zu machen. Hier muss jeder für sich selbst abwägen, | |
welche Services er wirklich nutzen will. Es bleibt zu hoffen, dass | |
Betreiber, die zwingend auf Technologien wie JavaScript setzen, auch | |
dementsprechende Sicherheitsvorkehrungen treffen. | |
taz.de: Wird man XSS-Probleme jemals stoppen können? | |
Wicherski: Auf absehbare Zeit werden in Web-Seiten enthaltener Code und | |
eventuell eingefügte nutzergenerierte Inhalte technisch auf der selben | |
Ebene bleiben. Es liegt daher an den Entwicklern der Web-Seiten, | |
entsprechendes Filtern vorzunehmen. Bei großen Angeboten wie Facebook oder | |
Twitter besteht ausreichend Bewusstsein für Sicherheit, um solche Probleme | |
präventiv anzugehen. Entwickler kleinerer Seiten haben dieses Bewusstsein | |
leider nicht immer - und wie man am Dienstag gesehen hat, kann es ja selbst | |
bei den Großen schief gehen. Zusätzlicher Schutz wie NoScript und ein | |
aktuelles Anti-Viren-Programm, das eventuell durch den JavaScript-Code | |
nachgeladene Datenschädlinge blockieren kann, sind daher für jeden zwingend | |
zu empfehlen. | |
taz.de: Was kann Twitter noch tun? | |
Wicherski: Kürzlich habe ich noch einen Tweet von Twitter selbst gelesen, | |
in dem zu lesen war, dass man zusätzliche Entwickler für | |
sicherheitsrelevante Aufgaben sucht. Es scheint also das Problembewusstsein | |
vorhanden zu sein. In diesem Fall war die Lücke schon öffentlich bekannt | |
und hätte schon früher geschlossen werden können. | |
taz.de: Liegt es nicht auch an den Nutzern selbst? Bei Twitter neigt man ja | |
stark dazu, [4][abgekürzte Links] anzuklicken, von denen man nie weiß, wo | |
sie eigentlich hinführen. | |
Wicherski: Das ist richtig, die meisten Nutzer sind sich der | |
Sicherheitsrisiken des Netzes nicht bewusst und klicken arglos alles an, | |
was ihnen unterkommt. Die Prioritäten liegen bei den meisten Benutzern | |
nicht beim Thema Sicherheit. Der Zusammenhang zwischen besuchten | |
Webinhalten und dem Diebstahl privater Daten, etwa | |
Online-Banking-Informationen, stellt sich für viele nicht dar. Dieses | |
Bewusstsein muss erst geschaffen werden. | |
22 Sep 2010 | |
## LINKS | |
[1] http://www.securelist.com/en/blog/2297/Live_Twitter_XSS | |
[2] /1/netz/netzkultur/artikel/1/fuer-komfort-und-privatsphaere/ | |
[3] http://noscript.net/ | |
[4] /1/netz/artikel/1/twitter-will-nutzer-besser-schuetzen/ | |
## AUTOREN | |
Ben Schwan | |
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