Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Neue rechtsmedizinische Methode: Spargel, Fleisch und Leichen
> Rechtsmediziner können mit einer Isotopenanalyse die Herkunft unbekannter
> Toter ermitteln. Jetzt soll das Verfahren helfen, die Mutter eines
> getöteten Babys zu finden.
Bild: Fortschritt in der Forensik: Dank Isotopenanalyse können Täter leichter…
Das tote Baby lag am Rand eines Pfades in der Nähe von Zeitz - teilweise
bedeckt mit einer Plastiktüte. Über zwei Jahre ist es jetzt her, dass
Spaziergänger den schrecklichen Fund machten. Inzwischen steht fest, dass
der Junge nach seiner Geburt nur eine halbe Stunde gelebt hat und dann
erschlagen wurde. Seitdem fahndet die Polizei nach den Schuldigen.
Oberstaatsanwalt Uwe Damaschke von der Staatsanwaltschaft Naumburg in
Sachsen-Anhalt geht davon aus, dass der Fall gelöst ist, wenn die Mutter
gefunden worden ist. Denn sie ist die mutmaßliche Täterin. Mit Hilfe neuer
Methoden gelang es jetzt, den Kreis der infrage kommenden Frauen
einzugrenzen.
Eines der wichtigsten Verfahren hierbei war die Isotopenanalyse, die am
Institut für Rechtsmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) und an
der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie in München
durchgeführt wurde.
Isotope sind verschiedene Varianten eines chemischen Elements. Während die
chemischen Eigenschaften nahezu gleich sind, unterscheiden Isotope sich in
der Anzahl der Neutronen. Sie haben ein unterschiedliches Gewicht und
andere physikalische Eigenschaften. So gibt es beispielsweise verschiedene
Varianten von Wasserstoff und Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff oder
Schwefel, Strontium und Blei.
Die Isotope dieser Elemente gelangen über die Luft, das Wasser und den
Boden in den Nahrungskreislauf. Abhängig von ihrem Aufenthaltsort zeigen
Pflanzen und Lebewesen einen typischen geografischen "Fingerabdruck". In
ihren Geweben befinden sich die Isotope in den für ihren Lebensraum
typischen Verhältnissen. Die Isotopenverhältnisse von Wasserstoff und
Sauerstoff geben beispielsweise Aufschluss über die Herkunft des Wassers in
der Nahrung und in den Getränken.
Welche dieser Isotope am Ort vorherrschen, hängt vom Klima und von der
Entfernung zum Meer ab. An den Kohlenstoffisotopen lässt sich zum Beispiel
ablesen, wie jemand sich ernährte - ob er beispielsweise viel Obst und
Gemüse aß oder Mais bevorzugte. Schwefelisotope zeigen die Nähe zum Meer an
und können Hinweise auf lokale Schwefelquellen geben.
Das Blei im Körper eines Toten sagt aus, ob dieser in West- oder Osteuropa,
in Russland, Australien oder in den USA verweilte. Denn das Blei ist
vorwiegend zurückzuführen auf Industrieemissionen, Verkehr,
Müllverbrennungsanlagen und Heizungen und zeigt einen typischen regionalen
Fingerabdruck. Blei gelangt über die Nahrung und über die Haut in den
Körper oder kann eingeatmet werden. Im Blut bindet sich das Blei
größtenteils an die roten Blutkörperchen. Letztendlich baut der Körper das
Blei in Knochen und Zähne ein.
Aus Bleispuren im Körper der Babyleiche aus Zeitz erkannten die Münchner
Isotopenforscher, dass sich die Mutter in Rumänien oder einem angrenzenden
Land aufgehalten haben muss. Denn das, was die Mutter in ihren Körper
aufnahm, gab sie an ihr ungeborenes Kind weiter. Die Isotopenmuster von
Mutter und Kind sind daher identisch.
Mittlerweile gehen bei den Münchener Rechtsmedizinern Anfragen aus der
ganzen Welt ein. Man will Isotopengutachten, die die Herkunft und die
Aufenthaltsorte unbekannter Toter bestimmen. Kernstück für die Auswertung
und geografische Zuordnung der Isotopendaten ist eine eigene Datenbank. Sie
enthält unter anderem über 500 geografische "Fingerabdrücke" weltweit
gesammelter Haare. Mit statistischen Verfahren gelingt es damit schnell
herauszufinden, woher ein Haarbüschel unbekannter Herkunft stammt.
"Wir untersuchen aber nicht nur Haare, sondern auch Zähne, Knochen, und
Nägel", erklärt Christine Lehn vom Institut für Rechtsmedizin der LMU.
"Alle diese Gewebe haben sich zu verschiedenen Zeiten gebildet und werden
unterschiedlich schnell umgebaut." Ein Haar wächst etwa einen Zentimeter im
Monat, und so findet die Biologin etwa zwei Zentimeter von der Wurzel
entfernt Hinweise auf die Ernährung vor zwei Monaten.
Isotopengutachten dienen aber nicht nur dazu, die geographische Herkunft
unbekannter Toter zu bestimmen. Sie können auch die Herkunft von Dingen
bestimmen, die im Zusammenhang mit Kriminalfällen stehen. "Wir untersuchten
bereits Socken, Medikamente, Zigaretten, Pflanzenreste - und ein
Eichhörnchen", sagt Lehn.
Auch in der Lebensmittelüberwachung spielt die Isotopenanalyse eine
wichtige Rolle. Schließlich will der Käufer sicher sein, dass sein teuer
bezahlter Käse auch wirklich aus Frankreich stammt. "Man kann mit der
Methode unter anderem die Herkunft von Milchprodukten, Spargel und
Fruchtsäften überprüfen", erklärt Lehn.
Doch die zunehmende Globalisierung kann der Isotopenanalyse Probleme
bereiten. Schließlich kaufen viele Menschen importierte Lebensmittel ein,
Spargel aus Griechenland oder Fleisch aus Südamerika. Eine Isotopenanalyse
kann daher lediglich Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen liefern und
wird erst durchgeführt, wenn nach dem Auffinden der Leiche herkömmliche
Methoden wie DNA-Analyse, Zahnstatus oder Fingerabdruck erfolglos blieben.
Als Beweismittel vor Gericht ist die Isotopenanalyse bisher beim Menschen
nicht zugelassen.
Dennoch war die Isotopenanalyse im Zeitzer Mordfall erfolgreich. Durch sie
konnte der Personenkreis deutlich eingegrenzt werden, aus dem die Mutter
des Babys stammt, sodass die Oberstaatsanwaltschaft Naumburg einen
Gerichtsbeschluss für einen umfangreichen DNA-Test erwirken konnte. Denn
rechtlich ist es nicht zulässig, eine unbegrenzte Zahl von Personen an
DNA-Tests teilnehmen zu lassen; daher benötigt man Anhaltspunkte, um den
Kreis der Verdächtigten einzuschränken.
23 Sep 2010
## AUTOREN
Claudia Borchard-Tuch
## TAGS
Wissenschaft
DNA-Test
## ARTIKEL ZUM THEMA
Herkunftsbestimmung versklavter Menschen: Pflanzen bringen Aufschluss
Eine Studie zeigt, wie sich die Herkunft von Toten auf Sklavenfriedhöfen
bestimmen lässt. Mitgearbeitet hat die Botanikerin Thea Lautenschläger.
Ausweitung von DNA-Tests bei Straftaten: Der genetische Augenzeuge
Die DNA verrät, ob ein Täter blond ist oder weiße Haut hat. Dieses
Fahndungsinstrument ist in Deutschland noch tabu, doch das soll sich
ändern.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.