# taz.de -- Portrait der Ex-RAF-Terroristin Becker: Die Überzeugungstäterin | |
> Sie ging mit 19 in den Untergrund, war militante Feministin, plante | |
> Attentate und kooperierte mit dem Geheimdienst. Donnerstag beginnt der | |
> Prozess gegen Verena Becker. | |
Bild: Am Tag ihrer Urteilsverkündung: Verena Becker 1977. | |
Als die Richter des Stuttgarter Oberlandesgerichtes ihr Urteil verkünden, | |
springt die Angeklagte auf den Tisch vor der Anklagebank und schreit mit | |
wutverzerrtem Gesicht: "Ihr Nazischweine! Scheiße! Ihr Schweine!" Es ist | |
der 28. Dezember 1977, Verena Becker, Mitglied der Roten Armee Fraktion | |
(RAF), wird im Gerichtssaal von Stuttgart-Stammheim wegen sechsfachen | |
Mordversuches an Polizeibeamte, wegen schwerer räuberischer Erpressung und | |
wegen Straßenraubs zu lebenslanger Haft verurteilt. "Ich nehme euer | |
Scheiß-Urteil nicht an", schreit sie. Becker schlägt um sich und geht mit | |
ihren Holzschuhen auf die Justizangestellten los. Sechs Wärtern und zwei | |
Wärterinnen gelingt es schließlich, die Angeklagte aus dem Saal zu | |
schieben. | |
Der lange Weg der Verena Christiane Becker in den militanten Untergrund | |
beginnt im Alter von 19 Jahren. Mit ihrer Freundin Inge Viett, die später | |
auch zur RAF gehen wird, wirft die Feministin nachts in Berlin die Scheiben | |
von Sexshops ein, hinterlässt dabei Aufkleber: "Die schwarze Braut kommt". | |
Becker unterstützt die "Schwarze Hilfe", eine Gruppierung, die sich für | |
anarchistische Gefangene einsetzt. Zusammen mit Inge Viett stößt sie zur | |
"Bewegung 2. Juni". Das ist eine Gruppe der Stadtguerilla, die sich in | |
ihrer Namensgebung auf den Tod des von einem Polizisten erschossenen | |
Studenten Benno Ohnesorg bezieht. | |
Am 2. Februar 1972 beteiligt sich Verena Becker an einem Bombenanschlag auf | |
den "Britisch Berlin Yacht Club" in Berlin-Gatow. Es ist eine | |
Solidaritätsaktion für die Genossen von der Irish Republican Army (IRA). | |
Drei Tage zuvor hatten im nordirischen Londonderry britische Soldaten bei | |
einer Demonstration 13 Katholiken erschossen. Aber die Bombe in Gatow | |
explodiert nicht. Am nächsten Morgen findet der Yachtclub-Hausmeister die | |
Metallkonstruktion. Arglos trägt er sie in seine Werkstatt, spannt sie in | |
einen Schraubstock, um sie zu öffnen. Die Bombe explodiert. Der Hausmeister | |
verblutet. | |
Fünf Monate später wird Becker am 21. Juli in Berlin verhaftet. Wegen der | |
Sprengstoffexplosion und anderer Taten verurteilt das Landgericht 1974 | |
Becker zu sechs Jahren Jugendstrafe. | |
Wenig später wird Peter Lorenz, der CDU-Spitzenkandidat, kurz vor der Wahl | |
zum Berliner Abgeordnetenhaus von Mitgliedern der "Bewegung 2. Juni" | |
entführt. Becker gehörte zu den Personen, die die Guerilla im Austausch mit | |
Lorenz freipresst. | |
Als Becker im März 1975 das Flugzeug in den Jemen besteigt, das die | |
Bundesregierung den Freigepressten zur Verfügung stellt, macht sie schnell | |
gegenüber den anderen Kampfgenossen deutlich, dass es ihr nun um die RAF | |
gehe. Hier auf der Arabischen Halbinsel wird in den folgenden Monaten die | |
größte Anschlagserie geplant, die die Bundesrepublik unter dem Titel | |
"Deutscher Herbst" für immer verändern wird. Unterschiedliche Zellen kommen | |
zusammen: die Leute vom "2. Juni" stoßen auf die Mitglieder der RAF, mit | |
dabei auch die Terroristen um den legendären "Carlos". | |
Im Jemen fällt auch das Todesurteil für den Generalbundesanwalt Siegfried | |
Buback. Der Anschlag ist der Auftakt für die "Offensive 77", die im Herbst | |
in der Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin | |
Schleyer, der Entführung des Urlauberjets "Landshut" und in dem Tod der | |
RAF-Gründer Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe in | |
Stuttgart-Stammheim gipfelt. | |
Becker gerät am Morgen des 3. Mai 1977 - vier Wochen nach der Ermordung des | |
Generalbundesanwalts Buback - zusammen mit ihrem Kampfgefährten Günter | |
Sonnenberg in Singen in eine Personenkontrolle im "Café Hanser". Als sie | |
sich nicht ausweisen können, werden sie von Polizisten zu ihrem Fahrzeug | |
begleitet. Sonnenberg und Becker eröffnen dort das Feuer, einer der | |
Polizisten wird lebensgefährlich verletzt. Sonnenberg erhält einen Schuss | |
in den Hinterkopf, Becker wird in den Unterschenkel getroffen. Im Wagen der | |
beiden wird die Waffe sichergestellt, die bei dem Anschlag auf den | |
Generalbundesanwalt und seine beiden Begleiter Wolfgang Göbel und Georg | |
Wurster benutzt wurde. | |
Am 28. November 1977 beginnt in Stuttgart-Stammheim der Prozess gegen | |
Verena Becker. Einen Monat später wird sie wegen der Schießerei zu | |
lebenslanger Haft verurteilt. | |
Nach zwölf Jahren Haft wird sie von dem damaligen Bundespräsidenten Richard | |
von Weizsäcker begnadigt. Sie verlässt am 30. November 1989 - dem Tag des | |
RAF-Bombenattentats auf Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen - die | |
Justizvollzugsanstalt Willich. | |
19 Jahre später ermittelt im April 2008 die Bundesanwaltschaft erneut gegen | |
Becker. Neue Untersuchungen, auch angestoßen von Michael Buback, weisen | |
DNA-Spuren Beckers am Bekennerschreiben zum Mord an Generalbundesanwalt | |
Buback nach. Daraufhin wird ihre Wohnung durchsucht, am 27. August 2009 | |
wird sie wegen des dringenden Tatverdachts, am Mordanschlag auf Siegfried | |
Buback beteiligt gewesen zu sein, festgenommen. Becker lebt da seit fast 20 | |
Jahren im Haus ihrer Schwester in Berlin, ist als Heilpraktikerin | |
ausgewiesen und ist seit fünf Jahren befristet berentet. | |
Nach ihrer Festnahme wird bekannt, dass Becker sich schon Anfang der | |
Achtzigerjahre der Kölner Verfassungsschutzbehörde anvertraute. Sie verriet | |
auch einiges über das Innenleben der RAF und über das Attentat auf Buback. | |
So sei die Entscheidung über dessen Leben und Tod auf einer | |
"Vollversammlung" in einem niederländischen Badeort von der RAF quasi | |
basisdemokratisch gefällt worden. Becker nannte auch die Namen der Täter - | |
der Geheimdienst schätzte ihre Angaben als seriös ein. Alle überprüfbaren | |
Angaben hätten sich als richtig erwiesen. | |
Beckers Initiative zur Mitarbeit folgte einem schwer nachvollziehbarem | |
Kalkül. Die in Köln einsitzende Frau wurde mehr als zwei Wochen vernommen. | |
Zur Tarnung hieß es, sie sei schwer erkrankt in ein Krankenhaus verlegt | |
worden. Die Inhaftierte will ihren Gesprächspartnern nur das berichtet | |
haben, von dem sie vermutete, dass es den Geheimen ohnehin bekannt war - | |
weil andere geplaudert hätten. Als "Honorar" spekulierte sie auf eine | |
vorzeitige Haftentlassung, um dann möglichst bald den bewaffneten Kampf | |
wieder aufzunehmen. Zur Haftentlassung kam es nicht. | |
Beckers Geheimdienstkontakte waren einigen RAF-Gefangenen bekannt. Sie | |
selbst hatte sie gebeichtet und als Sühne vorgeschlagen, sich umzubringen. | |
Die GenossInnen lehnten ab, kappten aber jeden weiteren Kontakt - sie | |
schickten die Genossin in den "Normalvollzug". | |
Folgt man der Darstellung des Magazins Der Spiegel, dann dauerte die erste | |
Fragerunde beim Verfassungsschutz gut zwei Wochen. Das Ergebnis: eine | |
82-Seiten-Akte vom 4. März 1982. Außerdem gibt es in Köln noch eine | |
Fallakte, gut 200 Seiten, mit den Originalaussagen. Beides trägt seit | |
beinahe drei Jahrzehnten den Stempel "Geheim". Die Aufzeichnungen wurden | |
jüngst vom CDU-Bundesinnenminister Thomas de Maiziere zwar den | |
Prozessbeteiligten zur Verfügung gestellt, deren Geheimhaltung aber nicht | |
aufgehoben. In wieweit diese Akten im jetzt beginnenden neuen Prozess eine | |
Rolle spielen werden, ist daher offen. | |
29 Sep 2010 | |
## AUTOREN | |
Wolfgang Gast | |
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