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# taz.de -- Streit um arisiertes Haus: Der Kronzeuge aus Amerika
> In Hamburg streitet die jüdische Gemeinde über die Zukunft einer
> arisierten Villa in bester Lage. Der Gemeindevorstand hat einen Käufer,
> das charismatisch-orthodoxe Chabad-Zentrum will selbst übernehmen. Es
> geht auch um die Einheit der Gemeinde.
Bild: Verblasste Kindheitserinnerungen: Juergen Schulz vor der Villa in der Rot…
Zum Sitz der Jüdischen Gemeinde im Hamburger Grindelviertel geht es durch
eine Sicherheitsschleuse. Eine Tür geht auf, der Besucher tritt ein, und
erst wenn die erste Tür zu ist, geht die nächste auf, die ins Innere der
Talmud Thora-Schule führt. Und dann steht drinnen auf den Treppenstufen ein
Wachmann und will die Ausweise sehen.
"Sie sehen ja, es ist gar nicht so leicht, bei uns hereinzukommen", sagt
Karin Feingold, Vorstandsmitglied der Gemeinde, und lächelt hinter ihrer
großen Brille. Zusammen mit Ruben Herzberg, dem Gemeindevorsitzenden, hat
sie zu dem Treffen geladen. Darf ich vorstellen, Professor Juergen Schulz
und Professor Ann Schulz, Rhode Island, USA, die Schulzens lächeln ins
Leere hinein, der Sinn der Zusammenkunft scheint ihnen nicht ganz klar.
Juergen Schulz, 83, 1938 aus Hamburg in die USA emigriert, lehrte
Kunstgeschichte, erst in Berkeley und dann an der Brown University,
Spezialgebiet: venezianische Renaissance, aber deswegen ist er nicht hier.
Schulz ist einer der letzten Nachfahren der vormaligen jüdischen Besitzer
einer Villa, um die es in Hamburg seit Jahren Streit gibt. Die Villa liegt
in bester Lage an der Hamburger Rothenbaumchaussee und gehört zurzeit der
Lehrergewerkschaft GEW, davor dem Nationalsozialistischen Lehrerbund, der
sie 1935 für den äußerst niedrigen Preis von 40.000 Reichsmark den
jüdischen Besitzern abkaufte.
Lange hatte die Gewerkschaft gebraucht, um sich von ihrem Besitz zu
trennen, jetzt wollte sie die Immobilie für 2,5 Millionen Euro an Hamburgs
Jüdische Gemeinde geben, die allerdings hoch verschuldet ist. Herzberg
hatte darum einen jüdischen Unternehmer eingeschaltet, der das Geld geben
wollte. Zehn Jahre mietfrei, so war es abgemacht, sollte die Jüdische
Gemeinde ins Erdgeschoss ziehen dürfen, die oberen drei Stockwerke wären
für die Akademie der Weltreligionen an der Hamburger Universität reserviert
gewesen.
Noch bevor der Vertrag unterschriftsreif war, flog der Name des Käufers
auf: Es war Burton Feingold, ein Freund Herzbergs und Ehemann von
Gemeindevorstand Karin Feingold. In der Hamburger Gemeinde kam es zu
Protesten, Rabbi Shlomo Bistritzky wurde im Hamburger Abendblatt mit der
Bemerkung zitiert, Herzberg lasse "wertvolle Immobilien an seine Günstlinge
verschachern", eine Formulierung, die der Rabbi im nachhinein unglücklich
findet. Herzberg wiederum zeigte sich "tief gekränkt" und versicherte,
Feingold habe "nur Gutes tun" wollen, außerdem habe Bistritzky die Villa
selber kaufen wollen.
Rabbi Bistritzky gehört zur Jüdischen Gemeinde Hamburg, doch obwohl die
Gemeinde seit zwei Jahren keinen Rabbi mehr hat, ist Bistritzky nur ein
"freier Mitarbeiter, mit dem wir einen Honorarvertrag haben", wie Herzberg
bei jeder Gelegenheit betont. Bistritzky liest die Thora, er spricht
Gebete, zelebriert Beerdigungen - aber der Gemeinde-Rabbiner ist er nicht.
2003 ist er mit Frau und Kindern aus Israel gekommen, weil ihn die
charismatische Chabad-Lubawitsch-Bewegung nach Hamburg geschickt hat, in
die Stadt seiner Vorfahren. Bistritzky und seine Frau sind Schluchim,
Botschafter, die von der Bewegung mit Sitz in New York in die Exilgemeinden
in der ganzen Welt geschickt werden. Bistritzky sagt, er wolle "den Leuten
helfen, ihr Jüdischsein zu leben".
Der Rabbi sitzt in seinem winzigen Büro, vor sich einen alten Laptop und
ein iPhone, hinter sich ein Poster des letzten Führers der Chabad-Bewegung,
Rebbe Menachem Mendel Schneerson. In der Jüdischen Gemeinde zu Hamburg
seien "höchstens 15 Familien" orthodox, schätzt Bistritzky, die anderen
hielten die Vorschriften der Thora nicht ein. Bistritzky ist gekommen, um
das zu ändern. "Wir zwingen niemand, wir laden ein", sagt er. 613 Ver- und
Gebote gebe es für Juden, viele allerdings gelten nur in Israel, oder nur
für Männer.
Sein Chabad-Zentrum liegt versteckt hinter einer Shell-Tankstelle, im
zweiten Stock eines dünnwandigen Gebäudes, alle Türen sind offen. Das
Chabad-Zentrum ist inzwischen so etwas wie eine zweite Hamburger Synagoge,
beim Freitagabend-Gebet seien in ihrem Zentrum oft 100 Leute, in der
Synagoge der Jüdischen Gemeinde vielleicht 20, sagt Bistritzky, der ja
beides macht und es darum wissen muss.
"Chabad vermittelt, dass Jüdischsein Spaß machen kann", sagt die Managerin
Gabriele Kellermann, die eigens aus Bremen nach Hamburg zu Rabbi Bistritzky
reist, weil ihr die Jüdische Gemeinde in Bremen zu langweilig ist. In der
jüdischen Gemeinde in Hamburg, sagt sie, sei es noch schlimmer, da gehe es
"nur noch um Kaffeekränzchen und Klezmermusik", mit Jüdischsein habe das
nichts zu tun.
Bistritzky wollte die Villa in der Rothenbaumchaussee 19 kaufen, weil sein
Zentrum zu eng wird. Er war schon in Verhandlungen mit der GEW, doch als
die Jüdische Gemeinde auf den Plan trat, hatte Chabad keine Chancen mehr -
sehr zu Bistritzkys Ärger. "Was hat eine Akademie der Weltreligionen mit
Jüdischsein zu tun?", fragt er. "Wäre ein Jüdisches Zentrum nicht besser?"
Herzberg sagt, er verstehe Bistritzkys Enttäuschung, schließlich habe der
mitsamt seiner Familie in die GEW-Villa einziehen wollen. Bistritzky sagt,
das stimme, aber seine Wohnung sei immer eine Dienstwohnung, Tag und Nacht
hätten sie Besuch, schon jetzt halte seine Frau in den Privaträumen die
Sonntagschule ab.
Inzwischen liegen die Nerven auf beiden Seiten blank, darum hat Herzberg
Juergen Schulz bestellt, den feinsinnigen Kunstprofessor aus Rhode Island.
An die Villa in der Rothenbaumchaussee erinnert er sich kaum, die habe wohl
einer Großtante gehört, und er sei zu Besuch gewesen, "aber das ist lange
her".
Eine Position zu dem Streit um das Haus hat Schulz aber. Chabad Lubawitsch,
sagt er, würden sich in den USA immer mit anderen Jüdischen Gemeinden
streiten. Das Haus in der Rothenbaumchaussee dürfe "keiner kleinen Sekte
gehören, die sich mit anderen zankt", sondern müsse für alle offen sein. Er
hätte sich ein Museum gewünscht, das der jüdischen Community in Hamburg
gewidmet wäre, "nicht nur denen, die offiziell der Gemeinde angehören".
Das ist nun genau das Argument von Herzberg, der sagt, die Jüdische
Gemeinde repräsentiere alle Juden, sogar die, die gar nicht in der Gemeinde
seien. Die einen hielten es mit dem religiösen Vorschriften streng und die
anderen wieder nicht. "Wir werden auf keinen Fall eine Lösung zulassen, bei
der Partikularinteressen eine Rolle spielen", sagt Herzberg bei dem Treffen
in der Talmud Thora-Schule, und dann wiederholt er den Vorwurf, Rabbi
Bistritzky habe selbst in eine Etage der Villa einziehen wollen. Eine
weitere Etage sei für die Gäste von Chabad vorgesehen gewesen, sagt
Herzberg, der in Hamburg vor allem als engagierter Schulleiter des
Reformgymnasiums Klosterschule bekannt war, bevor er 2007 Vorsitzender der
Jüdischen Gemeinde wurde.
Wie es mit der Rothenbaumchaussee 19 weitergeht, ist allerdings weniger
klar denn je. "Wir stehen zu unserem Beschluss", sagt Andreas Hamm,
Referent bei der Hamburger GEW, zu den Plänen, an Feingold zu verkaufen.
Für ihn ist er "der Investor der jüdischen Gemeinde", aber genau das ist
inzwischen die Frage. Sind die 2,2 Millionen Euro, die als Kaufpreis
kursieren, ein Schnäppchen, wie Herzbergs Vorgänger, der
Immobilienunternehmer und CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Wankum meint? Seiner
Meinung nach liegt der Verkehrswert der Immobilie bei 4,5 bis 5 Millionen.
Ein Gutachten der Gewerkschaft von 2008 hatte den Wert der Villa dagegen
auf 2,5 Millionen taxiert, ein Nachlass von 20 Prozent sollte eine Art
Wiedergutmachung sein.
Ob Feingold bei der Stange bleibt, ist ungewiss. Der Unternehmer sei "tief
getroffen", dass er jetzt öffentlich beschuldigt werde, sagte Herzberg in
der Talmud Thora-Schule. Karin Feingold wollte sich zu den Aussichten nicht
äußern. "In der Tat bin ich verheiratet, namensgleich mit Burton Feingold",
sagte sie, sie könne aber nur sagen, "dass es mehrere Interessenten für das
Gebäude gibt".
Die Gefahr, dass bei einem privaten Käufer das Haus später wiederverkauft
werden könnte, wenn nicht von ihm selbst, dann von seinen Erben, sieht
Karin Feingold nicht. "Man kann erwarten, dass, wer auch immer das Haus
kauft, Verantwortung zeigt über seinen Tod hinaus", sagt sie, und dabei
zittert ihre Stimme.
15 Oct 2010
## AUTOREN
Daniel Wiese
Daniel Wiese
## TAGS
Judentum
Rabbi
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