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# taz.de -- Nazi-Erbe: Die ArisierungsGEWinnler
> Der Hamburger GEW gehört ein Haus in repräsentativer Lage, das früher in
> jüdischem Besitz war. Doch die Gewerkschaft möchte sich nicht von ihrem
> Besitz trennen
Bild: Das Haus in der Rothenbaumchaussee 19.
In der Hamburger Rothenbaumchaussee steht ein Haus, sieht aus wie jedes
andere dort. Ist es aber nicht. Besitzer des Hauses Nummer 19 ist die
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Um dieses Haus mit der
repräsentativen Adresse gibt es seit zehn Jahren Auseinandersetzungen, denn
es wurde 1935 von seinen jüdischen Besitzern verkauft und vor der
"Lehrervereinshaus GmbH" für den Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB)
arisiert. Die Frage, die seit zehn Jahren von den Mitgliedern der GEW
diskutiert wird, lautet: Was tun wir mit dem Haus? Behalten oder nicht
behalten und andere Nutzung? Unter dem Titel "Die Lehrergewerkschaft und
ihr ,Arisierungserbe'. Die GEW, das Geld und die Moral", haben Bernhard
Nette und Stefan Romey, beide Mitglieder der GEW, beim Konkret Literatur
Verlag eine Dokumentation der Auseinandersetzung vorgelegt. Die Autoren
stehen, im Unterschied zur Spitze der GEW in Hamburg, auf dem Standpunkt:
nicht behalten und andere Nutzung.
Die GEW-Leitung ist der Ansicht, dass es sich beim Kauf nicht um eine
Arisierung gehandelt habe, die Lehrervereinshaus GmbH trotz Gleichschaltung
1933 keine Nazi-Organisation war, der Kaufpreis marktüblich und bei der
Kaufsituation die Verkäufer nicht unter Zwang standen. Der Fall bekommt
seine Brisanz aus der anti-faschistischen Tradition, der sich die GEW
verpflichtet fühlt, einer Pflicht, aus der sie sich entlässt, wenn es um
mehr als Gefühle geht, etwa um Grundbesitz.
Das Haus hatte fünf jüdische Besitzer: Moritz Max Bauer, der 1937 in
Deutschland an einer Krankheit starb, und dessen Erbe Klaus Jürgen Bauer;
Julius Hallgarten, dessen Eltern Hedwig Hallgarten geborene Rée und Albert
Hallgarten; und Julius' Schwester Mercedes M. Meyerhof, geborene
Hallgarten.
Die in den USA lebenden jüdischen Eigentümer des kurz Ro 19 genannten
Hauses hatten nach 1945 keinen Rückerstattungsantrag gestellt. Ab 1954 ging
die Immobilie in den Besitz der GEW Hamburg über. Mit einigen der
Nachfahren hat die Arbeitsgemeinschaft Ro 19 Kontakt aufgenommen. Sie
unterstützen den Gedanken der Rückgabe des Hauses, um dort ein jüdisches
Museum zu gründen.
Ende 2009 hat die chassidische Organisation Chabad Lubawitsch der GEW das
Angebot gemacht, das Haus, das den jüdischen Besitzern 1935 gerade einmal
40.000 Reichsmark gebracht hat, für 2,2 Millionen Euro zu kaufen, um dort
ein religiöses Zentrum zu errichten. Darum ist nun eine Auseinandersetzung
innerhalb der jüdischen Gemeinde Hamburgs entbrannt, weil deren
Vorsitzender, Ruben Herzberg, gegen den Kauf eines Arisierungshauses ist.
Als es 1948 um die Frage ging, wem das Haus nach dem Ende des
Nationalsozialismus gehören soll, meldete die neu gegründete hamburgische
Lehrergewerkschaft, die zunächst den Namen "Gesellschaft der Freunde des
vaterländischen Schul- und Erziehungswesens" trug, bei der britischen
Besatzungsmacht Ansprüche an. Es sei, so wurde behauptet, von früher her
gewerkschaftliches Eigentum. Die "Gesellschaft der Freunde" trat 1948 dem
DGB bei und nannte sich dann GEW Hamburg. Es gelang ihr, das Haus von den
Briten zu bekommen, nicht zuletzt unter Mithilfe der ehemaligen
NSLB-Funktionäre Kurt Holm und Wilhelm Bernhardt. Einer der
Hauptverantwortlichen für die Ausplünderung der Juden nach 1933 war
Regierungsrat Fritz Klepser, der für die Nazis die Abteilung Überwachung
der Devisenstelle in Hamburg leitete. Nach 1945 war er für
Wiedergutmachungsansprüche zuständig.
Die Befürworter einer Rückerstattung verweisen auf Antisemitismus,
Verfolgungsdruck, den zu niedrigen Preis von 40.000 Reichsmark, von dem die
Besitzer nur einen Bruchteil bekamen. Herbert Ankenbrand, der
Aufsichtsratsvorsitzende der für die Gewerkschaftsimmobilie zuständigen
Vermögens- und Treuhandgesellschaft, argumentiert dagegen mit ökonomischen
Zwängen. Es gehe um die finanzielle Zukunft der GEW.
Es gab Debatten, Abstimmungen, Austritte, Papiere, Konferenzen, Gespräche,
Peinlichkeiten wie den Versuch von Klaus Bullan, Vorsitzender der GEW
Hamburg, das Haus zu behalten, dafür aber die Gewerkschaft mit 10.000 Euro
zum Förderer des Bertini-Preises für "couragiertes Eintreten gegen Unrecht,
Ausgrenzung und Gewalt von Menschen gegen Menschen" zu machen. Die
Verantwortlichen des Bertini-Preises wiesen dieses Ansinnen zurück. Und es
gab abstruse Argumente, wie die des Historikers Jörg Berlin: "Bei genauer
Betrachtung sowohl des Gebäudezustands und der Möglichkeiten das Haus
rentabel zu vermieten als auch der Lebensumstände der zur Zeit des Verkaufs
in Deutschland lebenden Besitzer gibt es keinen konkreten oder eindeutigen
Hinweis, Ro 19 sei vor allem wegen eines verschärften antisemitischen
Verfolgungsdrucks schnell zu einem Schleuderpreis verkauft worden."
Bei Ro 19 handelt es sich um ein typisches Vorgehen. Nach 1945 war niemand
bereit, zurückzugeben, was er sich an jüdischem Vermögen unter den Nagel
gerissen hatte. Daran hat sich nichts geändert. Bei der GEW kommt das
antifaschistische Selbstverständnis hinzu, das dem Fall seine moralische
Brisanz gibt. Hätten die jüdischen Besitzer ihr Haus zurückgefordert, wäre
die Sache einfacher. Sie haben es nicht getan. So muss die GEW den Ausweg
allein finden. Noch sucht sie.
29 Jan 2010
## AUTOREN
Roger Repplinger
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