# taz.de -- Hochschule: Ran an die Patienten | |
> Medizin-Studenten beklagen sich über ihre Ausbildung: zu praxisfern gehe | |
> es an der Uni zu. Die Charité hat ihr Studium nun radikal umgebaut | |
Bild: Juroren in der „Limette“: Für das Medizinstudium in Münster ist auc… | |
er Semesterstart an der Charité hat in diesem Herbst etwas Revolutionäres: | |
Die 320 neuen Medizinstudenten der Humboldt-Universität sind die ersten, | |
die im komplett überarbeiteten Modellstudiengang ausgebildet werden. 1,6 | |
Millionen Euro hat die Entwicklung von Lehrplänen und Ausstattung bisher | |
gekostet. Nun soll deutlich praxisnäher ausgebildet werden. Bisher musste | |
vier Semester lang ausschließlich für das sogenannte Physikum gepaukt | |
werden - erst danach kamen die Studierenden zum ersten Mal mit Patienten in | |
Berührung. | |
Für den neuen Studiengang soll das Physikum nun vollständig entfallen. | |
"Schon in der zweiten Woche müssen die Erstsemester lernen, wie man richtig | |
mit Patienten umgeht", sagt Harms Peters. Er hat den Modellstudiengang | |
entwickelt. In der frühen Phase könnten die Anfänger aber noch nicht viel | |
falsch machen. "Im Allgemeinen Untersuchungskurs sollen sie erst einmal | |
Grundlagen lernen: wie man zum Beispiel richtig Fieber oder den Blutdruck | |
misst. Ein Arzt wird dabei die ganze Zeit aufpassen." Am Ende des ersten | |
Semesters sollen die neuen Studenten zum ersten Mal ein Patientengespräch | |
führen. So werde von Anfang an auch soziale Kompetenz gefordert. "Es geht | |
auch darum, dass die Studenten lernen, wie man sich in einer Klinik benimmt | |
und richtig bewegt", erklärt Peters. Auch wenn der Studiengang noch nicht | |
bis ins Detail konzipiert ist, war er bei den Bewerbern sehr beliebt: 5.500 | |
wollten einen Platz an der Charité ergattern, nur knapp 6 Prozent hatten | |
Erfolg. | |
Götz Fabry, Trainer für Medizindidaktik an der Uni Tübingen, begrüßt, dass | |
die Studenten an der Charité so früh mit Patienten in Kontakt kommen. Die | |
Praxis bei der Ausbildung in Deutschland sei lange Zeit vernachlässigt | |
worden. "Häufig erleben angehende Mediziner erst mal einen Praxis-Schock, | |
wenn sie frisch von der Uni in die Klinik kommen." | |
Dazu passt eine aktuelle Umfrage des Centrums für Hochschulentwicklung | |
(CHE) in Gütersloh. Nach dieser Studie beklagen viele Studenten die | |
mangelnde Qualität des Medizinstudiums. Nur jeder vierte Medizinstudent gab | |
an, dass er im Studium gut auf die ärztliche Praxis vorbereitet werde. | |
"Universitäten haben sich ja nie als Ausbildungsstätten verstanden, sondern | |
als Vermittler von Theorie", erklärt Fabry. So sei es für die Hochschulen | |
immer eine Herausforderung gewesen, den Spagat zwischen Theorie und Praxis | |
hinzubekommen. | |
Es ist an der Charité nicht völlig neu, dass praktische Elemente im | |
Lehrplan verankert sind. Seit zehn Jahren gab es neben der klassischen | |
Ausbildung einen Reformstudiengang, mit dem die Charité neue Lehrkonzepte | |
testete. Für Didaktiktrainer Fabry hatte die Berliner Uni damit eine | |
Vorreiterrolle eingenommen. "Der Reformstudiengang war international | |
anerkannt. Man darf gespannt sein, ob der neue Modellstudiengang auch diese | |
Qualität erreichen wird." | |
Agatha Mossakowski studiert im neunten Semester den Reformstudiengang und | |
ist überzeugt, dass der neue Studiengang besser auf den Arztberuf ausbilden | |
wird. Sie hat an der Konzeption mitgearbeitet. Anfangs habe es viele | |
Vorbehalte gegen den Reformstudiengang gegeben. Als "Barfußmediziner" seien | |
die Studenten bezeichnet worden, wenn sie sich ohne theoretische Ausbildung | |
in der Klinik behaupten mussten. Vor zehn Jahren hatten die Studenten gegen | |
das theorielastige Studium demonstriert. "Mittlerweile ist auch die | |
Fakultät und das Dekanat überzeugt", sagt die Studentin. | |
18 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Martin Rank | |
Martin Rank | |
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Medizin | |
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