# taz.de -- Iranische Aktivisten in Deutschland: Kampfeslust und bloß kein Mit… | |
> Geflohen, aber nicht versteckt: Vier iranische Aktivisten mobilisieren in | |
> Deutschland weiter - gegen das Regime, für die Freiheit ihrer Freunde. | |
Bild: Demonstrantion iranischer RegimegegnerInnen in Berlin. | |
Um sie mundtot zu machen, haben ihre Unterdrücker fast alles unternommen. | |
Das Regime hat alle vier drangsaliert, zwei von ihnen inhaftiert, psychisch | |
und physisch misshandelt, ununterbrochen verhört und mit dem Tod gedroht. | |
Parisa Kakaee, 33, saß 48 Tage im berüchtigten Teheraner Evin Gefängnis. | |
Der 38-jährige Saeed Habibi kam gerade von der Arbeit, als er abgefangen | |
und für 70 Tage inhaftiert wurde. | |
Wann sie Seper Atefi, 21, erwischen würden, war nur noch eine Frage der | |
Zeit. Hesam Misaghi, 22, entschied sich zur Flucht, als ihn das islamische | |
Revolutionsbüro einbestellte. Wer hierhin vorgeladen wird, der kann einfach | |
verschwinden, ohne dass irgendjemand erfährt, wo er ist. | |
Und jetzt sind die vier fernab vom iranischen Regime, aber doch mittendrin. | |
An einem Septembertag stehen sie gemeinsam vor der iranischen Botschaft in | |
Berlin, schreien auf Farsi, fordern die Freilassung Oppositioneller. | |
Letztes Jahr demonstrierten sie noch in ihrer Heimat, dem Iran. | |
Protestierten als Teil der Grünen Revolution gegen den islamistischen | |
Staat. Damals wurden sie vom Westen gefeiert und bewundert für ihren Mut | |
aufzustehen, gegen die gefälschten Wahlen und den Diktator Ahmadinedschad. | |
Parisa Kakaee, Saeed Habibi, Seper Atefi und Hesam Misaghi sind vier von 50 | |
Iranern, die die Bundesregierung aufgenommen hat. Sie alle haben eine | |
monatelange Odyssee hinter sich, sind untergetaucht und geflohen. "Ich bin | |
mit der U-Bahn hierhin", antwortet Seper Atefi auf die Frage, wie er nach | |
Deutschland gekommen sei. Dann lacht er, zeigt auf seinen Freund Hesam | |
Misaghi und schiebt hinterher: "Wir haben für viel Geld auf einem Maultier | |
mit Hilfe eines Menschenschmugglers die türkische Grenze überquert." Dort | |
haben sie zu fünft in einer kleinen Wohnung am Rande einer Vorstadt gelebt, | |
immer mit der Angst vor dem iranischen Nachrichtendienst. | |
Die jungen Männer gehören der Religionsgemeinschaft der Bahai an, die im | |
Iran mit rund 350.000 Mitgliedern die größte religiöse Minderheit stellt | |
und seit 1983 verboten ist. Seit der islamischen Revolution 1979 sind etwa | |
200 Bahai-Anhänger hingerichtet worden, unter Irans Präsident | |
Ahmadinedschad ist der Druck auf die Bahai weiter gewachsen. Im August hat | |
ein iranisches Gericht die Mitglieder der Bahai-Führung des Landes zu | |
jeweils 20 Jahren Haft verurteilt. | |
Bloggen statt schweigen | |
Angst ist ein starkes Gefühl, das detonieren kann. Aber keiner der vier | |
Exil-Iraner, die vor der Berliner Botschaft demonstrieren, lässt dieses | |
Gefühl zu. Sagen sie zumindest. Sie engagieren sich seit Jahren bei der | |
Menschenrechtsorganisation "Committee of Human Rights Reporters" (CHHR) und | |
legten sich mit der iranischen Regierung an. Im Januar 2010 beschuldigte | |
das Regime die CHHR, Verbindungen zur verbotenen Gruppe der | |
"Volksmudschaheddin des Iran" zu haben. Seitdem wird jegliche | |
Zusammenarbeit mit ihnen als Straftat verfolgt. Und deswegen mussten die | |
vier das Land verlassen. | |
Aber immer noch rufen sie in ihren Blogs ([1][www.chrr.biz]) zum | |
politischen Widerstand auf. Noch immer veröffentlichen sie ihre Statements | |
und Reaktionen auf die Politik im Netz, auf Persisch und Englisch. Sie | |
wollen nicht schweigen, auch nicht unerkannt bleiben. Sie wollen | |
weitermachen, nach vorn schauen, nicht immer zurück. | |
Der IT-Spezialist Saeed Habibi möchte nicht über seine Zeit im Gefängnis | |
sprechen. Zu belanglos sei das gewesen. Der sehr ruhig sprechende Mann will | |
lieber die Rechtlosigkeit der Arbeiter im Iran, über die Unterdrückung der | |
Frauen diskutieren. Erst wenn man ihn zu politischen Themen fragt, fängt er | |
an ununterbrochen zu reden. | |
Parisa Kakaee, die als Psychologin ein UN-Projekt für afghanische Kinder in | |
Teheran leitete, spricht sachlich und bestimmt über ihre 48 Tage in Haft. | |
"Ich wollte nicht fliehen, ich wollte es so", antwortet die sehr müde | |
wirkende Frau auf die Frage, warum sie der Vorladung des Revolutionsbüros | |
gefolgt sei. Von dort aus habe man sie ins Evin-Gefängnis gebracht, wo sie | |
den ganzen Tag ohne Unterbrechung verhört worden sei. Immer wieder habe man | |
ihr mit Folter und Hinrichtung gedroht. Parisa Kakaee sagt das so | |
beiläufig, wie sie hätte anmerken können, dass der Postbote spät dran ist | |
oder der Tee kalt. | |
Nach Verbitterung muss man bei ihr und ihren Mitstreitern lange suchen. Was | |
man findet, ist Kampfeslust. Keiner der vier will seine Geschichte in den | |
Vordergrund rücken. Sie sprechen nicht über die Umstände der Flucht, weil | |
sie wissen, wie schnell aus Interesse Mitleid werden kann. Wie bei so | |
vielen Fluchtgeschichten. Am Ende ist man Statist in einer Dokumentation | |
über das eigene Leben. Opfer einer traurigen Entwicklung. Stattdessen | |
machen sie immer wieder auf ihre Freunde aufmerksam, die entweder noch im | |
Iran Angst vor den Geheimdiensten haben, im Gefängnis sitzen oder als | |
Flüchtlinge in der Türkei hausen. Deswegen gehen sie in Berlin auf die | |
Straße, um gegen das Regime zu protestieren. | |
Ein Dutzend Iraner halten die Homepage chrr.biz aufrecht, die sich mit | |
allem beschäftigt, was politisch und sozial relevant für den Iran ist - | |
auch mit den Themen Menschenrechte und Pressefreiheit. Da sie auch auf | |
Englisch schreiben, wird die Seite auch jenseits der persischen Hemisphäre | |
gelesen. Das Internet ist für viele die letzte Möglichkeit, frei zu | |
berichten. Deswegen versucht das autoritäre Regime im Iran mit aller Macht, | |
das Netz zu kontrollieren: Mehr als hundert Blogger und Journalisten sitzen | |
bereits hinter Gittern. Als einziger Ausweg bleibt vielen nur die Flucht. | |
"Wir stehen auf der Seite der Menschen im Iran, die ihr Recht auf freie | |
Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit ausüben wollen", sagte | |
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) 2009, nachdem die Grüne Revolution | |
gewaltsam niedergeschlagen worden war. Den Solidaritätsbekundungen sind | |
seither kaum Taten gefolgt. Gerade einmal 50 Oppositionellen hat | |
Deutschland Zuflucht gewährt, nach langem Ringen. Erst waren sogar nur 20 | |
im Gespräch. Andere Länder haben wesentlich mehr Iraner aufgenommen. | |
Dennoch, aufgeben gilt nicht. Deswegen rufen die vier Dissidenten zu immer | |
neuen Aktionen auf. Viel mehr internationale Aufmerksamkeit für die | |
iranische Opposition sei dringend erforderlich, meinen sie. | |
Zum Beispiel für Shiva Nazar Ahari - Gründungsmitglied der | |
Menschenrechtsorganisation CHRR und Herausgeberin der Webseite "Azad Zan" | |
(Frauenbefreiung). Die 26-Jährige ist eine Freundin der vier | |
Menschenrechtsaktivisten und sitzt seit Dezember wieder einmal im | |
Evin-Gefängnis. | |
Keine Atempause | |
Für Ahari unterstützen die vier Aktivisten in Berlin eine Demonstration von | |
"Reporter ohne Grenzen" vor der iranischen Botschaft. Aber die öffentliche | |
Aufmerksamkeit ist erheblich gesunken. Nur wenige sind gekommen: Andere | |
Exil-Iraner, Sympathisanten, Mitarbeiter von "Reporter ohne Grenzen" | |
fordern lautstark Aharis Freilassung. Auch der Erfolg der Aktion ist | |
gering: Am 18. September wird die bloggende Dissidentin zu sechs Jahren | |
Haft und 76 Peitschenhieben verurteilt. Wegen "Propaganda gegen das Regime" | |
und "Moharebeh" (Feindschaft gegen Gott), so das Teheraner | |
Revolutionsgericht. | |
Warum ruhen sich die vier Exil-Iraner nicht aus? Warum demonstrieren sie | |
immer noch? Immerhin sind ihre Familien noch im Iran, wird eine Rückkehr | |
durch ihre Kritik erschwert. Denn das Regime im Iran beobachtet die | |
Oppositionellen auch in Deutschland genau. Und warum haben sie nie | |
aufgegeben angesichts all der persönlichen Opfer? "Ich mache das, was ich | |
tun muss", antwortet Parisa Kakaee, die anderen nicken. | |
Für die, die im Iran etwas ändern wollten, ist das deutsche Exil ein hoher | |
Preis. Aber ohne Zuversicht kein Aufstehen am Morgen, kein Durchhalten in | |
der Fremde. Alle vier träumen davon, in den Iran zurückzukehren, | |
irgendwann. Dort hatten sie ein Leben, hier müssen sie sich ein Provisorium | |
aufbauen. | |
Die Psychologin Parisa Kakaee etwa will wieder an die Universität, sich | |
stärker auf die Arbeit mit Kindern spezialisieren. Sepehr Atefi träumt | |
davon, Schriftsteller zu werden. Bis es so weit ist, wollen sie in | |
Deutschland weiter demonstrieren, für einen freien und demokratischen Iran. | |
Wie die anderen. "Ich wünsche mir jeden Tag, zurück in den Iran zu können", | |
sagt Hesam Misaghi. "Aber ich muss mich an den Gedanken gewöhnen, im Exil | |
zu sterben." | |
19 Oct 2010 | |
## LINKS | |
[1] http://www.chrr.biz | |
## AUTOREN | |
Cigdem Akyol | |
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