# taz.de -- Interview mit Stadtforscher Overmeyer: "Jugendliche sehen die Stadt… | |
> Junge Menschen suchen sich Freiräume auch in einer von Aufwertung | |
> geprägten Stadt, sagt der Stadtforscher Klaus Overmeyer. Oft kollidiere | |
> das jedoch mit dem formalisierten Planungsrecht. | |
Bild: Ob am Boden oder in der Luft: Jugendliche erobern sich ihre Räume | |
taz: Herr Overmeyer, mussten Sie als Jugendlicher um Freiräume kämpfen? | |
Klaus Overmeyer: Nein, ich bin auf dem Land, nahe der holländischen Grenze, | |
groß geworden. Mit 12, 13 waren wir nachmittags immer beim Bauern, sind | |
Trecker gefahren und haben schon mal ein ganzes Feld allein umgepflügt. | |
Heute leben Sie in Berlin und haben viel mit Stadtentwicklung, | |
Zwischennutzung und Verdrängung zu tun. Haben denn die Jugendlichen hier | |
genügend Freiraum? | |
Jugendliche brauchen Freiräume in der Stadt, und sie suchen sie sich auch, | |
das merke ich an meinem 15-jährigen Sohn. Direkt von den derzeitigen | |
Aufwertungsprozessen in vielen Vierteln verdrängt werden Jugendliche nicht. | |
Sie kommen mit 15, 16 auch ganz stark in eine Konsumphase rein und sehen | |
die Stadt als Beute. Also ziehen sie durch die Stadt, zwischen H&M und | |
Gleisdreieckbrache. Jugendliche sehen die Stadt als ein Feld, als ihr | |
Territorium, das sie selbst frei erobern können. | |
Sie arbeiten mit dem Köpenicker Skate- und Jugendprojekt Mellowpark | |
zusammen. Das hatte sich über zehn Jahre hinweg äußerst erfolgreich einen | |
Freiraum erobert, auf dem Gelände eines alten Kabelwerks. | |
Die konnten das unbehelligt von bezirklichen, genehmigungsrechtlichen | |
Auflagen machen, sie konnten den Ort ausprobieren. Darum ist es ihnen | |
gelungen, ein Konglomerat aus ganz unterschiedlichen Nutzungen aufzubauen: | |
Skatepark, eigene Rampenbaufirma, Siebdruckwerkstatt, Café, kleines Hostel | |
und so weiter. Jugendliche changieren dort zwischen Freizeitformen, | |
Jugendkulturen, unternehmerischen Aktivitäten und ehrenamtlichem oder | |
politischem Engagement. | |
Das politische Engagement fruchtet: Vom alten Standort vertrieben, zieht | |
der Mellowpark jetzt auf eine 70.000 Quadratmeter große Brache zwischen | |
Wuhlheide und Spree. | |
Ja, aber das bedeutet auch eine doppelte Formalisierung für den Mellowpark: | |
Einerseits muss man angesichts der Größe des Geländes professionelle | |
Strukturen schaffen, etwa um den Vertrag für dieses Gelände überhaupt zu | |
bekommen. Andererseits sind sie beim Mellowpark jetzt auf einmal gezwungen, | |
sich auch planungsrechtlich zu positionieren und für die Nutzung, die sie | |
auf dem neuen Gelände realisieren wollen, Baugenehmigungen einzuholen. Sie | |
müssen sich also als Jugendverein mit Dingen auseinandersetzen, die | |
normalerweise irgendwelche Projektentwickler oder Planer machen. | |
Bremst diese erzwungene Formalisierung Jugendliche aus? | |
Natürlich widerspricht die Arbeit von Jugendlichen der herkömmlichen | |
Planungspraxis beziehungsweise kommt gar nicht darin vor. Da etabliert | |
jemand auf einem Gelände wie dem des Mellowparks irgendwelche Stadtvillen | |
oder Dienstleistungsquartiere, dafür macht dann das Amt einen | |
Bebauungsplan, und der ist dann für die nächsten 100 Jahre festgeschrieben. | |
Initiativen von Jugendlichen wie der Mellowpark zeichnet aus, dass sie | |
extrem spontan, informell, ungeplant agieren. Dass das, was heute auf dem | |
Gelände ist, morgen vielleicht gar nicht mehr gilt. Gerade in dieser | |
dynamischen Entwicklungsweise liegt ein sehr großes Innovationspotenzial. | |
Wie könnte man diesen Widerspruch von behördlicher Seite her auflösen? | |
Wir müssen Lösungen finden, wo das Planungsrecht oder die Entwicklung der | |
Stadt viel stärker dynamisiert wird und offene Räume für experimentelles | |
Ausprobieren zulässt. | |
Muss also das Planungsrecht, das oft nur starr eine bestimmte Form der | |
Nutzung kennt und erlaubt, flexibilisiert werden? | |
Es macht wenig Sinn, Gesetze zu ändern. Es kommt darauf an, wie man die | |
bestehenden handhabt. Speziell beim Mellowpark würde es zum Beispiel Sinn | |
machen, einen sogenannten vorhabenbezogenen Bebauungsplan anzuwenden. Der | |
setzt bestimmte Parameter fest, könnte etwa das Gelände in einzelne Zonen | |
aufteilen und so ein sehr breites Spektrum von unterschiedlichen Nutzungen | |
zulassen. Und dann könnte dieser Plan, je nachdem wie der Jugendtreff sich | |
entwickelt, sukzessive vertieft oder fortgeschrieben werden. Dazu bestehen | |
rechtliche Möglichkeiten, die sollte man einfach suchen und ausschöpfen. | |
Etablierte Stadtentwicklung hat also noch zu viel Angst vor jugendlicher | |
Spontanität? | |
Ja, das kann man sagen. Wir haben einmal einen zehntägigen Workshop mit | |
Jugendlichen aus Ingolstadt gemacht in einem leer stehenden Gebäude in der | |
dortigen Innenstadt. Die Jugendlichen haben konkrete Ideen für die Nutzung | |
dieses Ortes entwickelt, er sollte eine öffentliche Zone sein, die ganz | |
unterschiedlich bespielt werden kann: mal als Volxküche, mal als | |
exterritoriale Spielstätte des Theaters oder als Hostel. Bei der | |
Abschlussveranstaltung waren alle begeistert, es gab eigentlich schon einen | |
Plan für die Betreibung des Gebäudes für ein weiteres halbes Jahr. | |
Was ist passiert? | |
Bei der Abschlussparty wurde eingebrochen und Equipment geklaut. Der | |
Besitzer war so angefressen, dass er danach erst mal gar nichts mehr | |
gemacht hat. Das Gebäude steht immer noch leer. | |
Blöd gelaufen. | |
Klar, viele Experimente scheitern. Zwar auf viel niedrigerem Niveau als bei | |
einer herkömmlichen Investition, wo dann gleich 13.000 Quadratmeter | |
Bürofläche leer stehen. Aber wenn man eine Verwaltung oder einen Eigentümer | |
dazu bringen will, andere Pfade zu gehen, vielleicht Räume eher offen zu | |
lassen und zu gucken, was sich da entwickelt und wie man mit dem dann | |
umgehen kann, dann darf nichts schieflaufen. Sonst sind schnell diejenigen | |
da, die sagen: Na ja, seht her, hat nicht geklappt. Und dann hören sie | |
lieber ganz auf, als Erfahrungen zu machen und aus dem Scheitern zu lernen. | |
26 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Puschner | |
Sebastian Puschner | |
## TAGS | |
Sozialarbeit | |
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