# taz.de -- Fraktionschef der Linkspartei im Interview: "Wir sind der Motor" | |
> Der Hype um die Grünen und Renate Künast werde sich bis zur Wahl 2011 | |
> lange abgekühlt haben, sagt der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Udo | |
> Wolf - und hofft, dass die Linke dann mit Inhalten punkten kann. | |
Bild: Udo Wolf: "Wir haben ein Jahr vor der Wahl noch genügend Zeit, unsere Wa… | |
taz: Herr Wolf, würden Sie manchmal gern die Zeit zurückdrehen? | |
Udo Wolf: Nein, warum? | |
Sie waren bis 1990 bei der Alternativen Liste, den heutigen Grünen. Und die | |
sind bei den Umfrageergebnissen gerade ganz vorn. Hätten Sie sich damals | |
anders entschieden, wären Sie heute beim Höhenflug dabei. | |
Dass ich damals bei den Grünen ausgetreten bin, hatte durchaus inhaltliche | |
Gründe. Vor allem den Grund, dass die Grünen kein Verständnis dafür | |
aufbrachten, was die Menschen mit dem Zusammenbruch des real existierenden | |
Sozialismus erlebt haben. Als undogmatischer Linker aus dem Westen wollte | |
ich genauso wie mit den Bürgerrechtlern auch mit Erneuerern und Reformern | |
in der PDS zusammenarbeiten. Davor haben sich die Grünen gedrückt. | |
Doch heute punkten die Grünen mit ihren Themen. | |
Ich denke, die Grünen profitieren vor allem von der Schwäche des | |
bürgerlichen Lagers. In dem Maße, wie Schwarz-Gelb Kredit auch im | |
klassischen liberalen Lager verspielt, legen die Grünen zu. Früher hätte | |
das einen Aufschwung im sozialdemokratischen Lager bedeutet. Das ist heute | |
anders. | |
Die Umfrageergebnisse der Linkspartei sind weitgehend konstant. Aber in den | |
Koalitionsmöglichkeiten, die derzeit diskutiert werden, kommt die | |
Linkspartei selten vor. | |
Das liegt vermutlich daran, dass wir so unaufgeregt arbeiten. Wir haben | |
über fast zehn Jahre bewiesen, dass wir diese Stadt regieren können. Wir | |
haben gezeigt, dass wir bei wichtigen Reformvorhaben der Motor sind, zum | |
Beispiel bei der Bildungsreform oder Fragen der Daseinsvorsorge. Aber wir | |
bieten für die Medien gerade einfach keine Neuigkeiten. Spannend wird es | |
für uns daher, wenn sich die Aufregung um Künast versus Wowereit gelegt hat | |
und es wieder um Inhalte geht. | |
Werden sich die fehlenden Neuigkeiten als Nachteil im Wahlkampf erweisen? | |
Vor allem mit Inhalten Wahlkampf zu machen ist immer eine Herausforderung. | |
Aber da wir nun schon ein Jahr vor den Wahlen diesen riesigen Hype mit | |
Künast und Wowereit haben, wird sich das wohl bis zum nächsten September | |
abgekühlt haben. | |
Wie gut kennen Sie Renate Künast? | |
Sehr gut und sehr lange. Sie war damals, als ich und mehrere andere die | |
Grünen verlassen haben, eine der wenigen, die noch mit uns gesprochen hat. | |
Und nicht gesagt hat: Wer geht, ist ein Verräter. | |
Haben Ihnen das viele vorgeworfen? | |
Ja. Wir hatten viele Anfeindungen, als wir sagten, dass wir gehen. Es gab | |
auch eine ganze Reihe von Freunden und Freundinnen aus den Reihen der | |
Grünen, bei denen sich in dem Moment herausgestellt hat, dass es mit der | |
Freundschaft eher dünn ist. | |
Hat sich das normalisiert? | |
Auf Berliner Ebene: ja. Aber um auf den Hype zurückzukommen: Ich glaube, | |
bei den Wahlen wird es auch darum gehen, wer solide Arbeit macht. Und daher | |
haben wir gute Chancen. | |
Sollten Sie nicht trotzdem mal einen Kopf an der Spitze präsentieren? | |
Wir haben mindestens drei Köpfe, die schon sehr bekannt sind. Das sind | |
unsere beiden Senatorinnen und unser Senator. Und auch mit dem weiteren | |
Personaltableau und zusätzlich mit denen, die nachgekommen sind, können wir | |
uns jederzeit sehen lassen. | |
Sie haben sich selbst außen vor gelassen. Sie stehen als Fraktionschef doch | |
auf der Shortlist für die Spitzenkandidatur, oder? | |
Ich glaube, wir haben ein Jahr vor der Wahl noch genügend Zeit, unsere | |
Wahlkampfstrategie zu personalisieren. Wir müssen nicht jetzt schon unsere | |
Personalaufstellung in den Mittelpunkt stellen. Sollen sich Wowereit und | |
Künast erst einmal eine Runde abarbeiten. Wir setzen Themen, und dann | |
schauen wir mal, wie es im ersten Quartal 2011 aussieht. | |
Ein Streitthema der Koalition ist die Verlängerung der A 100. Wenn es zu | |
einer Neuauflage von Rot-Rot kommt, werden Sie sich dagegen einsetzen? | |
Ja, das haben wir auch 2006 getan. Nur hatten wir damals ein | |
vergleichsweise bescheidenes Wahlergebnis. Daher konnten wir diesen Punkt | |
in den Koalitionsverhandlungen nicht durchsetzen. | |
Das kann im nächsten Jahr genauso passieren. | |
Der Unterschied ist, dass das Thema mittlerweile in der gesellschaftlichen | |
Debatte angekommen ist, es gibt eine Mobilisierung und damit ordentlich | |
Rückenwind gegen das Vorhaben. Das hat Potenzial wie bei den Protesten zu | |
Stuttgart 21. Und die SPD ist bei dem Thema gespalten. Beides kommt uns | |
zugute. Wenn die SPD das Projekt durchsetzen wollte, hätte sie nur noch | |
eine Option: Sie müsste mit der CDU koalieren. | |
Und die A 100 zur Volksabstimmung stellen, wie Wowereit das jetzt bei | |
Großprojekten angeregt hat? | |
Gäbe es die Möglichkeit, auch als Regierung Volksentscheide anzuregen, | |
würde ich das begrüßen. Aber dafür müssten wir die Verfassung ändern, und | |
das braucht eine Zweidrittelmehrheit im Abgeordnetenhaus. Was innerhalb | |
eines Jahres nicht so einfach ist, wie wir es gerade beim Wahlalter 16 | |
erleben. | |
Also waren Wowereits Äußerungen nur heiße Luft? | |
Ich freue mich zumindest, dass Wowereit Plebisziten nun mehr abgewinnen | |
kann als in der Vergangenheit. Das ist vor allem im Hinblick darauf gut, | |
dass Bürger die A 100 ja tatsächlich zum Thema eines Volksbegehrens machen | |
könnten. | |
Der Senat hat in der Vergangenheit auch Kampagnen gegen Volksbegehren | |
gefahren - zum Beispiel gegen Pro Reli. | |
Das waren Volksbegehren gegen die Regierung. Es gibt auch solche, bei denen | |
wir das Gleiche wollen, zum Beispiel beim Volksbegehren für eine bessere | |
Kita-Betreuung. Da haben wir uns mit den Initiatoren geeinigt. | |
Wie ist das bei dem Volksbegehren zur Offenlegung der Verträge über die | |
Teilprivatisierung der Wasserbetriebe? | |
Im Kern wollen wir auch hier das Gleiche wie die Initiatoren. Wir sind nur | |
der Meinung, dass einer der Paragrafen in dem Gesetzesentwurf der | |
Initiative verfassungswidrig wäre. An diesem Punkt können wir den Entwurf | |
nicht mittragen, haben aber immer an der Veröffentlichung der Verträge | |
gearbeitet und nach Wegen gesucht, wie die Wasserbetriebe rekommunalisiert | |
werden können. | |
Welche Wege könnten das sein? | |
Vorstellbar wäre für uns, die Anteile von RWE und Veolia zurückzukaufen. | |
Das ginge, wenn Berlin dafür Kommunalkredite aufnimmt. Da geht es um | |
ziemliche Summen - Berlin hatte die Wasserbetriebe 1999 für umgerechnet 1,7 | |
Milliarden Euro verkauft. Aber wenn ein Rückkauf gelänge, brächte das | |
sichere Einnahmen für das Land und niedrigere Wasserpreise für die Bürger. | |
Jetzt hat die taz die Verträge veröffentlicht, der Wirtschaftssenator hat | |
mittlerweile ihre Echtheit bestätigt. Rückt die Rekommunalisierung näher? | |
Es ist gut, dass jetzt jeder lesen kann, was das für ein unsäglicher | |
Vertrag war, den CDU und SPD 1999 bei der Teilprivatisierung abgeschlossen | |
haben. Der Weg zur Veröffentlichung, den Rot-Rot gemeinsam mit den Grünen | |
durch die Änderung des Informationsfreiheitsgesetzes ermöglicht hat, wäre | |
langwieriger gewesen. Und den Verhandlungen des Wirtschaftssenators mit den | |
Privaten über die Tarifentwicklung dürfte es auch nicht schaden. Ob | |
letztlich die Rekommunalisierung gelingt, ist leider nicht allein eine | |
Frage des guten Willens. Denn wir würden zwar gern kaufen, RWE und Veolia | |
aber derzeit nicht verkaufen. | |
Wenn es trotzdem zum Volksentscheid kommt - wird es eine Gegenkampagne | |
geben? | |
Es wird keine Kampagne gegen den Volksentscheid geben. Weil wir aber davon | |
ausgehen, dass einer der Paragrafen verfassungswidrig ist, werden wir auch | |
nicht empfehlen können, beim Volksentscheid zu zu stimmen. | |
Richtig aktiv geht es in letzter Zeit bei der Berliner Linkspartei nicht | |
voran. Das Klimaschutzgesetz stockt, und auch der Kompromiss zur A 100 | |
bedeutet ein Abwarten. | |
Wir arbeiten ziemlich aktiv am Partizipations- und Integrationsgesetz und | |
der Neuordnung der Jobcenter. Bei der A 100 haben wir mit der Entscheidung, | |
dass in dieser Legislaturperiode keine Bagger rollen, ein Zeitfenster | |
geöffnet, in dem eine Debatte stattfinden kann. Das finde ich nicht passiv. | |
Die Vorbereitungen laufen aber trotzdem weiter. | |
Ich finde die Entscheidung, dass nicht gebaut wird, einen Erfolg und das | |
lasse ich mir auch nicht kleinreden. Was das Klimaschutzgesetz angeht, | |
haben wir einen Konflikt zwischen klimapolitischen Zielen und der Frage, | |
inwieweit das Mieter oder Besitzer kleiner Eigenheime belastet. Da einen | |
Kompromiss zu finden, der gerecht und auch rechtssicher ist, kostet einfach | |
Zeit. | |
Also schon Stillstand. | |
Nein, es ist ein schwieriger Abwägungsprozess, der durch bundespolitische | |
Entscheidungen zum Nachteil von Mietern nicht leichter geworden ist. Ich | |
bin zuversichtlich, dass wir Ende November zu Entscheidungen kommen. | |
3 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
Svenja Bergt | |
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