# taz.de -- Parteitag der Linken: Die zögerlichen Pragmatiker | |
> Die Ostpragmatiker und der linke Flügel sind uneins, was das | |
> Parteiprogramm angeht. Beim Treffen in Hannover bleibt es aber friedlich. | |
Bild: Es ging friedlich zu in Hannover. | |
HANNOVER taz | Ein paar hundert Genossen sind nach Hannover gekommen, um | |
über das Grundsatzprogramm der Linkspartei zu debattieren. Viele sind aus | |
NRW und Niedersachsen angereist, wo der linke Parteiflügel den Ton angibt. | |
Der pragmatische Flügel, der vor allem im Osten stark ist, ist in Hannover | |
in der Minderheit. Und gleich zu Beginn wird deutlich, warum sich die | |
Ostpragmatiker in der Debatte schwertun. | |
Sahra Wagenknecht, Vizechefin der Partei, attackiert mit agitatorischem | |
Schwung den Kapitalismus. Die Medien hierzulande würden "von einem | |
Machtkartell von drei Konzernen in Familienbesitz beherrscht". Oligopole | |
regierten die globalen Märkte, die Staaten seien hilflos. Deshalb müsse, so | |
wie es der Programmentwurf vorsieht, "privatkapitalistisches Eigentum in | |
allen Kernbereichen überwunden werden" - also verstaatlicht oder | |
vergesellschaftet werden. Die Linkspartei dürfe keinesfalls "ihre Seele | |
verkaufen", um mitzuregieren. Eine religiöse Formulierung, die nahelegt, | |
dass es sich beim Regieren um etwas Teuflisches handeln muss. Klare Ansage | |
also. Wagenknecht war der Beifall sicher. | |
Matthias Höhn, Landeschef in Sachsen-Anhalt und Pragmatiker, widersprach | |
freundlich-zögernd. Er stimmt Wagenknecht erst mal zu, dass man die | |
Eigentumsfrage stellen müsse. Die Daseinsvorsorge gehöre in öffentliche | |
Hand. Aber einfach Konzerne zu verstaatlichen sei "zu kurz" gedacht. Es | |
gehe, gerade bei Energiekonzernen, vor allem um die sozialökologische | |
Kontrolle. Die Sache sei komplizierter. | |
Diese Szene macht das Dilemma der Pragmatiker in der Programmdebatte | |
deutlich. Der linke Flügel aus Antikapitalistischer Linker (AKL) und Teilen | |
der Sozialistischen Linken (SL) arbeitet mit griffigen, | |
identitätsstiftenden Formeln. Die Pragmatiker antworten darauf mit einem | |
etwas verhuscht wirkenden "Ja, aber". So kritisiert das Forum | |
demokratischer Sozialismus (FdS), dass das Kapitalismusbild im | |
Programmentwurf völlig undifferenziert sei und "einem Horrorszenario" | |
gleiche. Das FdS hat in "13 Thesen" eine gepfefferte Kritik des Entwurfs | |
vorgelegt. Doch zu einem Gegenentwurf konnten sich die Ostpragmatiker nicht | |
durchringen. Und jetzt, so ein Realo skeptisch, "ist es dafür wohl zu | |
spät". | |
Die Pragmatiker versuchen nun, das Schlimmste zu verhindern und hier und | |
dort offenere Formulierungen durchzusetzen. Für unbrauchbar halten viele | |
Ostler vor allem die sogenannten drei Haltelinien für | |
Regierungsbeteiligungen. Demnach darf sich die Linkspartei an keiner | |
Regierung beteiligen, die Privatisierungen, Sozialabbau oder Stellenabbau | |
im öffentlich Dienst befördert. Birke Bull, Vizechefin der Linksfraktion in | |
Sachsen-Anhalt, kritisiert, dass damit das politische Urteil über | |
Regierungsbeteiligungen "durch scheinrationale Kriterien" ersetzt werde. | |
Tatsache ist: Wenn man diese drei Kriterien strikt anlegt, dann hätte die | |
Linkspartei in Berlin und Brandenburg nie regieren dürfen. | |
Dies ist die Kampflinie: Der linke Flügel will, dass der Programmtext, bis | |
auf Details, bleibt, wie er ist. Diether Dehm, Linkspartei-Landeschef in | |
Niedersachsen, malte in Hannover das Schreckensbild von einer "zerfaserten | |
Partei" an die Wand. Der Programmentwurf sei doch einstimmig verabschiedet | |
worden, ein Gegenentwurf überflüssig. Auch Parteichefin Gesine Lötzsch | |
warnte, dass "in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden ist, dass wir | |
uns wie die Kesselflicker um unser Programm streiten". | |
Davon kann in Hannover kaum die Rede sein. Es geht friedlich zu. Nur als es | |
ums bedingungslose Grundeinkommen geht, geraten Parteivizechefin Katja | |
Kipping und der Ver.di-Gewerkschafter Ralf Krämer mal aneinander. Sonst | |
scheint die Linkspartei nichts mehr zu scheuen als den offenen | |
Schlagabtausch über Grundsätzliches. Die Linkspartei ist ein fragiles | |
Bündnis sehr verschiedener Milieus: von etablierter Mittelschicht im Osten, | |
Hartz-IV-Empfängern, Westgewerkschaftern. | |
Deshalb rüttelt niemand so richtig an dem inneren Burgfrieden unter roter | |
Fahne. Der Preis dafür, so ein Reformer, ist allerdings hoch. Die Partei | |
habe "derzeit so gut wie keine intellektuelle Ausstrahlung". Ein bisschen | |
Zeit, um an der Ausstrahlung zu feilen, bleibt noch: Erst im Herbst 2011 | |
soll der Parteitag das Programm verabschieden. | |
7 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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