# taz.de -- 50 Jahre auf der Bühne: Berlin liebt Romy | |
> Ein Vorbild in Sachen Queerness: Romy Haag feierte im Berliner Tipi am | |
> Kanzleramt mit Show-Hedonismus der 70er und 80er ihr rundes | |
> Bühnenjubiläum. | |
Bild: Zeitreisende soll man nicht aufhalten: Romy Haag. | |
"Hach, ich finde das immer sou schön", wird Romy Haag irgendwann in einer | |
Song-Anmoderation sagen, mit jenem typischen Mix aus Rudi-Carrell-Akzent | |
und Elmar-Gunsch-Timbre, "diese ganze junge Leute, die sich beim Kirchentag | |
treffen … und dann alle ouhne Kondome … " Das ist natürlich ein Brüller. | |
Die Gäste im Tipi am Kanzleramt, dessen Zelt in Berlin tatsächlich neben | |
dem Kanzleramt steht, lachen sich scheckig. Romy, im großen und später im | |
fedrig-kleinen Schwarzen, mit hautfarbenen Nyloneinsätzen an den Stellen, | |
die früher echte Haut gezeigt hätten, festen roten Haaren und straff | |
gezogenem Make-up-Gesicht, plinkert zurück wie eine freundliche, gealterte | |
Barbiepuppe. Nach 50 Jahren auf der Bühne weiß man halt, wie mans macht. | |
Berlin liebt Romy. Erstens kennt man sie schon ewig, seit diesem | |
Etablissement in Schöneberg nämlich, das Romy zwischen 1974 und 1983 | |
betrieb und das Berlin damals, zu Mauerzeiten, einen echten Schubser in | |
Richtung Weltstadt versetzte, allein schon durch den Namen: "Chez Romy | |
Haag". Das klingt nach Show, nach Mondänem, nach oh, là, là und Urbanität, | |
nach echten Stars, falschen Wimpern und viel Nachtaktivität. | |
Zweitens hat sie ja angeblich David Bowie nach Berlin gelockt, und ob | |
Berlin sich ohne "Heroes", ohne Bowie-Iggy Pop-Drogen-WG genauso prächtig | |
entwickelt hätte, ist die Frage. Und drittens stand auf einer ihrer Single, | |
unter "Superparadise", das die A-Seite war, "Hermaphrodite", der Songtitel | |
der B-Seite. Dabei war es auch ein Label, ein ganz besonderes: Romy, das | |
wusste jeder ZDF-Zuschauer in Pusemuckl, sah zwar aus wie eine auffallend | |
schöne Frau mit echtem Busen und allem Pipapo, aber sie hatte zwischen den | |
Beinen etwas, was ihr die Eintragung "m" in der niederländischen | |
Geburtsurkunde und außerdem eine Menge Fragen bescherte, an denen ein | |
kleines Mädchen, von dem die Familie denkt, es sei ein Junge, ganz schön | |
verzweifeln kann. Romy lief weg, arbeitete unter anderem in einem Beruf mit | |
dem verheißungsvollen Namen "Schönheitstänzerin" und ließ sich mit 33 | |
Jahren operativ auch körperlich ihrem inneren Empfinden angleichen. Und | |
wählte als Wohnort Berlin, das sich in Sachen Queerness seit ein paar | |
Jahren vorbildlich entwickelt. Eigentlich war sie sogar einer der ersten | |
entspannt queeren Stars der Stadt. | |
Im Tipi-Programm "Everybody knows", das aus mit nicht besonders | |
umfangreicher, aber selbstbewusst rauchiger Stimme vorgetragenen | |
Interpretationen bekannter Songs bestand, schlug sich das subtil nieder: | |
Annie Lennox und Grace Jones durften immer schon auch von Butch-Lesben | |
gemocht werden, Lou Reeds "Walk on the wild side" ist vielleicht nicht das | |
einfallsreichste Stück zum Covern, aber die darin besungene Candy Darling | |
eine der bekanntesten Transsexuellen aus Warhols Factory. "Verruchte" oder | |
"The port of Amsterdam" besingen eh die Toleranz, und wer wenn nicht Romy | |
dürfte sonst "Heroes" darbieten? | |
Ihre Band, deren (nach außen hin) weibliche Mitglieder sämtliche (nach | |
außen hin) männlichen Mitglieder souverän um einen Kopf überragen, setzt | |
neben Oldschool-Gitarrensoli auf Keyboardsounds, und untermalt viele Songs | |
(die Brecht-Interpretationen wie von der Seeräuberjenny glücklicherweise | |
nicht) nach Chansonanfängen mit rumpeligen, schunkelaffinen Discobeats: Man | |
kommt aus dem Show-Hedonismus der 70er und 80er und will das gern zeigen. | |
Außerdem braucht eine fast 60-Jährige, die mit 9 als Clown in Varietés | |
auftrat, in der musikalischen Untermalung nicht auf retro zu machen, wie es | |
junge Chansonnieren tun: Sie ist selbst retro genug. | |
Zum Ende hin häufen sich die Blumensträuße auf der Bühne, die Menge tobt, | |
und Didi Hallervorden und Lilo Wanders sind auch noch da. Romys junge | |
Augen, die tatsächlich in jeder Sekunde des Auftritts funkeln, haben alle | |
rumgekriegt. Wurscht, ob da Natur, Lichttechnik oder silberne Kontaktlinsen | |
im Spiel waren. | |
8 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Gedenken an Christoph Schlingensief: Ende einer Epoche | |
Die Volksbühne Berlin hat sich noch einmal vor Christoph Schlingensief | |
verneigt und verabschiedet - mit einer ungewöhnlich fröhlichen Gedenkfeier. |