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# taz.de -- Wahlkampf in Weißrussland: Opposition gegen Lukaschenko
> Am 19. Dezember wird in Weißrussland gewählt. Der Oppositionelle Andrei
> Sannikow will den Präsidenten Lukaschenko ablösen, auch wenn er weiß,
> dass seine Chancen gering sind.
Bild: Sannikow (links) mit Vladimir Neklyaev (rechts). Beide Oppositionspolitik…
taz: Herr Sannikow, viele halten die Präsidentschaftswahlen am 19. Dezember
für äußerst wichtig. Sehen Sie das auch so?
Andrei Sannikow: Wir befinden uns in einer einmaligen Situation. 16 Jahre
ist Alexander Lukaschenko an der Macht und in dieser Zeit hat sich nichts
bewegt. Jetzt hat er es auch noch geschafft, sich mit allen Nachbarn zu
überwerfen, sogar mit Russland. Außerdem hat die Wirtschaftskrise
Weißrussland stark getroffen, doch die Regierung hat nichts dagegen
unternommen. Nein, die Menschen haben genug und wollen einen Wandel.
Woran lässt sich das ablesen?
Die Leute stehen Schlange, um für einen oppositionellen Kandidaten zu
unterschreiben. Seinen Namen für Lukaschenko hergeben will niemand. Auch
bei der älteren Landbevölkerung, die ihn bisher immer unterstützte, hat
sich das geändert, auch sie will einen Machtwechsel.
Unterschriften sammeln, mit Wählern sprechen - wie machen Sie Wahlkampf?
Viel bleibt uns nicht, denn wir haben kein Zugang zu den staatlichen
Medien.
Gibt es Einschüchterung?
Einer unserer Mitarbeiter wurde vier Stunden von der Staatsanwaltschaft
verhört. Es gab Drohanrufe, Verhaftungen, Misshandlungen, Menschen
verschwanden. Ich spreche von Verschwindenlassen, weil ein junger Mann
festgenommen und der Familie nicht mitgeteilt wurde, dass er in Haft war.
Und Sie?
Mein Telefon wird abgehört. Wenn ich mich mit jemandem verabrede, sind
immer schon entsprechende Personen vor Ort. Ich werde bespitzelt. Aber für
eine Diktatur sind das gewöhnliche Maßnahmen.
Keiner glaubt, dass die Wahlen frei und fair sein werden. Warum treten Sie
trotzdem an?
Bei uns sind keine Abstimmungen frei und fair, weder Lokal- und
Parlamentswahlen noch Referenden. Deshalb interessieren sie auch niemanden.
Bei den Präsidentenwahlen ist das anders.
Warum?
Zwar glauben die Menschen nicht daran, dass die Stimmen wirklich korrekt
ausgezählt werden. Doch sie wollen am politischen Kampf teilnehmen und
zeigen, dass sie Alternativen unterstützen. Das können sie am besten
während der Wahlkampagne.
Warum sollten die Wähler für Sie stimmen?
Ich trete für Reformen ein, die Weißrussland den europäischen Standards
annähern. Die Reformen müssen mit der Wiederherstellung der Gewaltenteilung
beginnen. Bei uns herrscht ein Diktator. Wir haben kein frei gewähltes
Parlament, keine unabhängigen Gerichte und keine freie Presse. Ohne das
kann sich keine Gesellschaft normal entwickeln. Wenn das Land frei wird,
bedeutet das Freiheit für jeden einzelnen Bürger. Das wird auch die
Wirtschaft stimulieren.
Bei den Wahlen kandidieren mehrere Vertreter der Opposition. Wäre es nicht
klüger, sich auf einen zu einigen?
Das hat die Opposition 2001 und 2006 getan und es ist nichts
herausgekommen. Dass sich jetzt mehrere Kandidaten mit den Wählen treffen
und an Diskussionen teilnehmen, wird die Menschen mobilisieren.
Die Opposition gibt doch eher ein kümmerliches Bild ab …
Anstatt über die Zersplitterung zu reden, sollten wir uns ansehen, unter
welchen Bedingungen die Opposition agiert. Ihre Führer werden umgebracht
oder ins Gefängnis gesteckt. Wer sich dem Regime entgegenstellt, geht ein
hohes Risiko ein. Trotzdem hat die Opposition stets die Menschenrechte
verteidigt und damit gezeigt, dass es ein anderes Weißrussland gibt. Unsere
größte Errungenschaft ist, dass heute keiner mehr die Unabhängigkeit des
Landes infrage stellt.
Die Verschlechterung der Beziehungen zwischen Minsk und Moskau gibt viel
Raum zu Spekulationen. Wo liegen die Gründe für Russlands Gesinnungswandel?
Lukaschenko ist ein Produkt Russlands. Jahrelang hat Moskau das Regime in
Minsk gestützt. Das weißrussische Wirtschaftswunder, von dem noch vor fünf
Jahren gesprochen wurde, war nur ein Resultat von Zahlungen aus Russland in
Höhe von mehr als 50 Milliarden Dollar. Jetzt hat die russische Regierung
begriffen, dass Lukaschenko die bilateralen Abkommen nicht eingehalten hat
und dass das nur unter einer neuen Führung möglich ist. Für uns jedoch ist
am wichtigsten, dass russische Medien über die Fälle von Verschwundenen in
Weißrussland berichten.
Dort werden aber ebenfalls Oppositionelle umgebracht, verhaftet oder sie
verschwinden …
Für mich zählt, was Russland jetzt über Weißrussland sagt. Ich als
weißrussischer Politiker muss anerkennen, dass das die Situation verändert.
Manchmal ist es nicht angenehm, die Wahrheit beim Namen zu nennen. Diese
wird nicht immer von ehrlichen Leuten ausgesprochen. Und das, was jetzt von
russischer Seite als Propaganda gegen Weißrussland eingesetzt wird, ändert
nichts am Inhalt und es hat mit derartigen Fällen in Russland nichts zu
tun. Dort gibt es genügend Oppositionelle und Menschenrechtler, die sich
damit beschäftigen.
Der Weg zu einem Machtwechsel führt über Moskau? Haben Sie eben nicht von
der Unabhängigkeit Weißrusslands gesprochen?
Russland wird immer versuchen, auf die Entwicklungen im postsowjetischen
Raum Einfluss zu nehmen. Russland wird ein Machtzentrum bleiben, genauso
wie Europa eines ist. Über die Gründe der Abkehr Moskaus von Lukaschenko
können wir nur mutmaßen. Wir können aber von wirtschaftlichen Interessen
sprechen, von dem Bestreben Russlands, Weißrussland wirtschaftlich abhängig
zu machen. Wir können auch von wirtschaftlichen Interessen Weißrusslands
sprechen, die vertreten werden sollten. Wir als Transitland können da auch
zu unseren Gunsten verhandeln.
In einigen Berichten werden Sie als Lieblingskandidat Moskaus gehandelt …
Ich bin Weißrusse und lebe in Weißrussland. Dass Russland seine Beziehungen
zu Weißrussland geändert hat, begreife ich als Chance. Wenn das bedeutet,
dass ich ein Mann Moskaus bin, dann bin ich ein solcher.
Wo sehen Sie den Platz Weißrusslands?
In Europa.
Viele Signale sind bisher nicht aus Brüssel gekommen …
Nach ihrer Erweiterung ist die EU zum Haupthandelspartner Weißrusslands
geworden, über 50 Prozent, das ist mehr als mit Russland. Europa hatte alle
Möglichkeiten, um im Hinblick auf eine Demokratisierung Einfluss zu nehmen.
Leider wurden sie nicht genutzt.
Trotzdem glauben Sie, dass Weißrussland mittelfristig Mitglied der EU
werden kann. Ist das nicht unrealistisch?
In Weißrussland ist genug Potenzial vorhanden, das Land europäischen
Standards anzunähern. Dieser ganze Prozess muss sich natürlich unter
Beibehaltung einer strategischen Partnerschaft mit Russland vollziehen. Ich
bin davon überzeugt, dass die russische Führung zu dem Schluss kommt, dass
ein europäisches Weißrussland ein besserer Partner ist als ein
diktatorisches.
8 Nov 2010
## AUTOREN
Barbara Oertel
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