# taz.de -- Moritz von Uslar über sein Buch: "Ich stelle mich einfach hin und … | |
> "Eine Reise in die denkbar weiteste Ferne". Der Berliner Journalist und | |
> Autor Moritz von Uslar hat für sein Buch "Deutschboden" drei Monate in | |
> Brandenburg verbracht. | |
Bild: Herein in die ostdeutsche Dorfidylle: Moritz von Uslar zeigt Respekt vor … | |
taz: Herr von Uslar, Sie sind für drei Monate in die Brandenburger Provinz | |
gezogen und haben darüber das Buch "Deutschboden" geschrieben. Die | |
Kleinstadt, die Sie Oberhavel nennen, ist Zehdenick, 14.000 Einwohner, 60 | |
Kilometer nördlich von Berlin. "Und noch heute sah es hier exakt so aus, | |
wie die in Berlin sich eine beschissene Kleinstadt in der beschissenen Mark | |
Brandenburg vorstellten", heißt es an einer Stelle. Mit "die in Berlin" | |
meinen Sie auch sich selbst, oder? | |
Moritz von Uslar: Absolut. Die Reporterfigur fährt mit einem Haufen | |
Klischees los, und diese Klischees werden im Laufe des Buches durch die | |
Wirklichkeit ersetzt. Die Wirklichkeit ist ja immer irrer, immer besser als | |
das beste Klischee. Ich spreche von der unschlagbaren Sonderbarkeit der | |
Wirklichkeit. | |
Welche Klischees hatten Sie im Kopf? | |
Die üblichen: Abwanderung, Arbeitslosigkeit, Überalterung, rechtsradikale | |
Töne, strukturschwache Gegend. Aber das alles gibt es auch in | |
Mecklenburg-Vorpommern, in der Eifel oder in Oberfranken. | |
Sie sind aber nach Brandenburg gegangen. | |
Das hatte pragmatische Gründe. Alle vier Tage musste ich in Berlin sein, um | |
mich um meine Familie zu kümmern. | |
Dann ging es Ihnen gar nicht um eine Ost-West-Geschichte? | |
Natürlich spielt die Ost-West-Thematik, sobald ich mich für Brandenburg | |
entscheide, eine Rolle. Aber Mauerfalljahrestag oder die Wiedervereinigung | |
waren nicht der Anlass für das Buch. Mein Thema war eine Reise in die | |
denkbar weiteste Ferne - die liegt eben nicht in New York, sondern in der | |
Mark Brandenburg. Die DDR-Biografien haben mich interessiert. Manchmal | |
hatte ich den Eindruck, dass die Leute, die von außen eigentlich dasselbe | |
sind wie ich, noch eine andere Dimension in ihrer Biografie haben, eben, | |
weil sie eine Kindheit in der DDR hatten: als hätten sie ein Leben mehr. | |
Darum beneide ich sie. Trotzdem ist die Ost-West-Thematik nicht zentral. | |
Warum nicht? | |
Im zwanzigsten Jahr der Einheit verläuft die Grenze nicht mehr zwischen Ost | |
und West. Es ist eine zeitliche Grenze: War man 1989 schon ein fühlender, | |
denkender Mensch? Ja oder nein, das ist die Frage. | |
Auf fast jeder Seite Ihres Buches schwingt Angst mit: dass das Benzin | |
ausgehen könnte, obwohl der Tank voll ist, die Pension zu betreten, die | |
Kneipe, den Boxclub. Ist Ihnen über zwei Jahrzehnte nach dem Mauerfall der | |
Osten tatsächlich so unheimlich oder ist es die Pose eines Popliteraten? | |
Ich halte Angst für einen Grundzustand. Wer keinen Respekt hat vor einer | |
Gastwirtschaft mit dunklen Scheiben und einer Bierfasstür, hinter der einen | |
30 Männer schweigend angucken, den verstehe ich nicht. Ich finde es auch | |
nicht einfach, an eine Tankstelle zu kommen, wo 20 Jungs stehen, und "Guten | |
Tag" zu sagen. Die Romanfigur und ich, darauf muss man immer wieder | |
hinweisen, das sind natürlich zwei verschiedene Figuren. | |
Wie gut kannten Sie den Osten vorher? | |
Ich bin mit neun Jahren, im Jahr 1979, mit meinen Eltern nach Berlin | |
gezogen. In den 80ern habe ich Urlaube in Rostock und Dresden verbracht. | |
Bis 1990 war ich einige Dutzend Male in der DDR. Es wird immer geschrieben, | |
der Schritt von Berlin nach Brandenburg sei für mich ein großer gewesen. | |
Dies ist Blödsinn. | |
Im Buch geben Sie sich als unbedarfter Westler, der mit Hütchen und | |
Aufnahmestift unterwegs ist und sich einen Camouflagerucksack zulegt, um | |
"den Einheimischen weniger Angriffsfläche" zu bieten. | |
Als unbedarft würde ich die Reporterfigur, die ich da hochfahre, nicht | |
bezeichnen. Eher als gezeichnet, als ganz schön kaputt. Der Hut ist eine | |
Verkleidung, mit der ich die klassische Reporterfigur aus dem | |
Schwarz-Weiß-Film karikiere. Der Reporter ist, natürlich, eine lächerliche | |
Figur. | |
Wieso fiel Ihre Wahl auf Zehdenick? | |
Dieser Ort hat sich nicht durch besonders krasse Zustände ausgezeichnet, es | |
ist ein schöner Ort. Überspitzt gesagt: Ich wollte nicht zwischen | |
Plattenbauten warten, bis ich eins auf die Fresse kriege. Ich versuche, | |
mich bewusst anders als der Reporter im Spiegel oder in der | |
RTL-Sozialreportage zu benehmen. Ich stelle mich einfach hin, saufe und | |
warte, wie sich die Dinge entwickeln. Das ist der absolute Luxus. Ich will | |
über eine gewisse Stumpfheit, Getrübtheit der Wahrheit bewusst nicht | |
hinaus. Was ich fantastisch finde, sind die äußere Ereignislosigkeit und | |
die sprachliche Begabung der Leute. | |
Als Sie entdecken, dass es auch in der ostdeutschen Kleinstadt einen | |
freundlichen Umgangston gibt, sind Sie bisweilen enttäuscht. Eine | |
Bäckereiverkäuferin verkauft Ihnen ein Schweineohr und wünscht Ihnen "einen | |
schönen Abend". Wäre es Ihnen lieber gewesen, sie hätte es Ihnen um die | |
Ohren gehauen? | |
Natürlich freue ich mich, wenn die Leute nett sind. An dieser Stelle rege | |
ich mich auf, weil ich bestimmte Floskeln als kaputt empfinde. Die | |
Reporterfigur hat ja auch Berlin verlassen, weil sie sich - so naiv das | |
klingt - nach einem direkten, geraden, rauen Umgangston sehnt: weniger | |
Floskeln, weniger Bullshit. Es geht mir um die Schilderung einer | |
Alltäglichkeit. Ich glaube daran, dass Subjektivität mit viel Zeit auch | |
eine Art von Objektivität ergibt. Der Reporter, der sich drei Monate Zeit | |
nimmt, bildet mehr Gegenwart, mehr Wirklichkeit ab als der, der nur einen | |
Nachmittag bleibt. Ich habe versucht, mich etwas herunterzudimmen, ein | |
bisschen dumm zu stellen. Ich wollte den Zustand des Nicht-genau-Wissens | |
möglichst lang halten. | |
Warum? | |
Das Buch geht ja an die Grenze der Reportage, es macht die Probe aufs | |
Exempel: Was passiert, wenn man sich wirklich einlässt? | |
Und, was passiert? | |
Man kommt Menschen nahe. Es bilden sich Beziehungen. Etwa zu den Jungs der | |
Punkrockband 5 Teeth Less. | |
Sie sagen "Zum Geleit", dass die Zeit in Zehdenick "eine der besten" Ihres | |
Lebens war. Warum? | |
Weil sie so intensiv war. Es tut sehr gut zu erleben, dass der Mensch | |
fremde Menschen kennenlernen kann. Das ist ein Bestärken der nicht | |
zynischen Kräfte. Der Kern der Erfahrungen ist der, dass der Typ mit seinem | |
Bier in der Kneipe einer ist, der ziemlich helle, lustig und überraschend | |
geistreich ist. Mit dieser Nachricht komme ich zurück. | |
Haben Sie jetzt einen anderen Blick auf den Osten? | |
Meine Empathie hat sich enorm gesteigert. | |
Sie bekamen mehrere Spitznamen verpasst: "Stadtmensch", "Seine | |
intellektuelle Wenigkeit", "Vogelweide". Welcher gefällt Ihnen am besten? | |
Jede Art von Titulierung, die mich nicht ganz ernst nimmt, finde ich gut. | |
Wenn die mich Vogelweide nennen, sind wir im Gespräch. | |
Sie haben sich in Zehdenick sechs englische Wörter auf den linken Unterarm | |
tätowieren lassen. Welche sind das? | |
"Im left, youre right, shes gone", ein Elvis-Presley-Song von 1956, dem | |
Geburtsjahr des Rock n Roll. Ich wollte um Himmels Willen keinen | |
tiefsinnigen Satz. | |
Am 19. November kehren Sie für eine Lesung nach Zehdenick zurück. Wird der | |
"Starreporter" aus dem Buch auftreten oder Sie? | |
Selbstverständlich ich, Moritz von Uslar. Ich werde da meine Nase und mein | |
dummes Gesicht hinhalten, lesen und Fragen beantworten. Da schließt sich | |
ein Kreis. Mich interessiert das Theaterstück des Abends, die vielen | |
Ebenen, die da zusammenkommen: der Reporter, das Buch, die beschriebene | |
Wirklichkeit, die wirkliche Wirklichkeit, die beschriebenen und die | |
wirklichen Personen. Ich erwarte mir in erster Linie eine Klärung. | |
Was wollen Sie klären? | |
Ich porträtiere eine Kleinstadt, ich porträtiere aber nicht Zehdenick im | |
Besonderen. Das wird für viele eine Neuigkeit sein. Meine erste Pflicht und | |
Aufgabe bestand darin, ein gutes Buch zu schreiben, meine zweite darin, den | |
Leuten gerecht zu werden. | |
Die Betreiber der Pension, in der Sie gewohnt haben, fühlen sich | |
verspottet. Trifft Sie das? | |
Ja, das beschäftigt mich. Ich nehme das sehr ernst. | |
Sie schreiben im Vorwort, Sie seien als Fremder gekommen und als | |
Einheimischer gegangen. Wird die Lesung ein Heimspiel oder haben Sie Angst | |
vor den Reaktionen der "Ureinwohner"? | |
Ein Heimspiel findet vor Fans statt. Zur Lesung in Zehdenick kommen keine | |
Fans, da kommt die Wirklichkeit. Darauf freue ich mich. | |
9 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Barbara Bollwahn | |
Barbara Bollwahn | |
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