# taz.de -- Verschollen geglaubte Skulpturen gefunden: Kunst unterm Bau | |
> Elf von den Nazis beschlagnahmte und verschollen geglaubte Skulpturen der | |
> Moderne werden beim Grabungen für den U-Bahn-Bau am Roten Rathaus | |
> gefunden. | |
Bild: Eine Besucherin betrachtet das Bildnis der Schauspielerin Anni Mewes von … | |
Gut, dass es den Bau der ungeliebten "Kanzler-U-Bahn" gibt, muss man jetzt | |
wohl sagen. Bei Grabungen vor dem Roten Rathaus haben Archäologen elf | |
Kunstwerke geborgen, die einstmals zur NS-Schau "Entartete Kunst" von 1937 | |
gehörten. Die verschollen geglaubten Skulpturen waren zufällig bei | |
Erdarbeiten für die Verlängerung der U5 im Kellerschutt kriegszerstörter | |
Häuser unter dem Rathausplatz entdeckt worden. | |
Bei den Kunstwerken handelt es sich um Bronzefiguren und Büsten aus Keramik | |
im schnittigen Stil der Klassischen Moderne und des Kubismus - darunter so | |
berühmte wie der "Kopf" (1925) von Otto Freundlich, "Stehendes Mädchen" | |
(1930) von Otto Braun oder die "Schwangere" (1918) der Bildhauerin Emy | |
Roeder. Deren Werke waren aus den Museen in Berlin, Hamburg, Karlsruhe und | |
Stuttgart wie 16.000 andere im Rahmen der nationalsozialistischen Aktion | |
"Entartete Kunst" 1937 beschlagnahmt und nach der Wanderausstellung durch | |
das Nazi-Reich verkauft, versteckt oder vernichtet worden. | |
Der "sensationelle Schatz", wie Berlins Landesarchäologe und Direktor des | |
Museums für Vor- und Frühgeschichte, Matthias Wemhoff, am Montag bei der | |
Präsentation der Skulpturen sagte, war im Frühjahr 2010 aufgespürt und | |
gehoben worden. Ein Bauarbeiter hatte bei Enttrümmerungsarbeiten für den | |
U-Bahnbau auf Flächen an der ehemaligen Königstraße 50 - gegenüber dem | |
Roten Rathaus - eine stark verschmutzte Metallfigur gefunden. | |
Berlins Archäologen gruben tiefer und landeten Treffer, so Wemhoff. Im | |
August seien erste Zusammenhänge zur NS-Schau herausgefunden worden. | |
Experten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), der Forschungsstelle | |
"Entartete Kunst" an der FU sowie der staatlichen und städtischen Museen | |
Berlins hätten in "engagierter Zusammenarbeit" Informationen zu den Werken | |
recherchiert. Wemhoff: "Und jetzt konnten die zum Teil erheblich | |
korrodierten Kunstwerke eindeutig identifiziert werden." | |
Obwohl für drei Stücke noch kein Nachweis gelungen sei, bedeute der Fund | |
"ein kleines Wunder", sagte der Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit. | |
Noch nie seien Kunstwerke mit diesem Hintergrund entdeckt worden. Die | |
freigelegten Skulpturen seien Dokumente zur Geschichte Berlins und | |
"Zeugnisse des NS-Wahns". Durch den Fund konnte die Absicht der Nazis, | |
diese Kunst zu vernichten, "letztlich konterkariert werden", so Wowereit. | |
Wie die Skulpturen unter den Rathausplatz gelangten, ist noch unklar. | |
Sicher sei nur, so Wemhoff, dass das Wohnhaus Königstraße 50 im Krieg | |
ausbrannte. Die nicht brennbaren Bronze- und Keramikstücke "könnten dabei | |
in den Keller durchgerutscht" sein. Möglich sei auch, dass ein Bewohner des | |
Hauses, Erhard Oewerdieck (1893 bis 1977), eine Verbindung zu den | |
Kunstwerken gehabt haben könnte. Der Steuerberater und Treuhänder | |
Oewerdieck hatte bis 1941 Büroräume im vierten Stock angemietet. Mit seiner | |
Frau Charlotte hatte er während des Krieges jüdischen Mitbürgern geholfen. | |
Möglich ist, dass er die Kunstwerke versteckte. | |
Die offenen Fragen und den Weg der Werke will SPK-Chef Hermann Parzinger | |
auf einem Kolloquium 2011 "umfassend erforschen lassen". Dabei muss auch | |
geklärt werden, was aus den Skulpturen und möglicher Restitutionsansprüche | |
der Museen wird. Alle Bodenfunde - wie diese Skulpturen - sind Eigentum des | |
Landes Berlin. Darauf wies Klaus Wowereit am Montag hin. Die Skulpturen | |
sind darum ab Dienstag im Neuen Museum für die Öffentlichkeit ausgestellt. | |
9 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Rolf Lautenschläger | |
## TAGS | |
U-Bahn | |
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