# taz.de -- Berliner Landesregierung 1990: Künast beendet Gerüchte um Rot-Gr�… | |
> Vor 20 Jahren verließen die Grünen die Koalition, Anlass war die Räumung | |
> der Mainzer Straße. Nach der Wahl 2011 könnte es zu einer Neuauflage | |
> kommen. | |
Bild: Anders als 1989 will Renate Künast 2011 im Berliner Senat die Köchin we… | |
So viel grüner Aufbruch war selten. "Berlin muss jetzt endlich eine Stadt | |
für alle werden", forderte Renate Künast in ihrer Antrittsrede als grüne | |
Spitzenkandidatin und stellte sich in eine Reihe mit John F. Kennedy: "Ich | |
träume davon, dass in diesem Land jede und jeder sagen kann: Ich bin ein | |
Berliner, hier bin ich gewollt, habe Chancen, kann mitgestalten - das ist | |
das Ziel." | |
20 Jahre zuvor war das Ziel nicht mehr "mitgestalten", sondern das genaue | |
Gegenteil. Am 15. November 1990 erklärte Renate Künast, damals | |
Fraktionschefin der Alternativen Liste (AL) im Abgeordnetenhaus, die erste | |
rot-grüne Koalition in Berlin für beendet. Zuvor hatte sie im taz-Interview | |
über die Koalition mit der SPD von Walter Momper gesagt: "Wir stehen vor | |
einem Scherbenhaufen." Anlass des Bruchs sei gewesen, dass die SPD die AL | |
nicht von der Räumung der besetzten Häuser in der Mainzer Straße zwei Tage | |
zuvor unterrichtet habe. | |
Rot-Grün, Grün-Rot. In ihrer Bewerbungsrede im Museum für Kommunikation vor | |
zehn Tagen hat sich Renate Künast vorerst alle Optionen offen gelassen, | |
einschließlich eines Bündnisses mit der runtergewirtschafteten CDU. Dennoch | |
ist und bleibt die Koalition mit der SPD das Maß auch der grünen Dinge. | |
Einmal, um die Scharte vor 20 Jahren wettzumachen. Zum zweiten, weil | |
Künast, die Kellnerin von damals, diesmal Köchin, also Regierende | |
Bürgermeisterin, werden will. Für manche SPDler ebenso unvorstellbar wie | |
das Bündnis mit der "Igelpartei" 1989. | |
Eine Liebesheirat war die erste Auflage von Rot-Grün von Anfang an nicht. | |
Doch das Ergebnis der Wahl vom 29. Januar 1989 ließ SPD und AL keine Wahl. | |
Die Diepgen-CDU war mit einem Minus von 8,7 Prozent eingebrochen und | |
landete nur hauchdünn vor der SPD. Diepgens Koalitionspartner FDP verfehlte | |
den Einzug ins Parlament, anders als die rechtsextremen Republikaner, die | |
7,5 Prozent erreichten. Die AL-Basis war dennoch skeptisch. Erst ein Appell | |
des grünen Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele, eine solche | |
"Jahrhundertchance" nicht verstreichen zu lassen, brachte die Mehrheit für | |
Rot-Grün. Neben den Senatorinnen und Senatoren der SPD regierten seit März | |
1989 im sogenannten Frauensenat auch die AL-Senatorinnen Sybille Volkholz | |
(Schule), Anne Klein (Frauen) und Michaele Schreyer (Stadtentwicklung). | |
Rot-Grün in der Frontstadt Westberlin - für viele war das ein Albtraum. Die | |
Kreuzberger Hausbesetzerszene fürchtete die fürsorgliche Umlagerung und | |
begrüßte die Koalition mit der Besetzung von acht Häusern. Als die AL die | |
Räumung mittrug, war eine neue Parole geboren: "Wer hat uns verraten? | |
Sozialdemokraten! Wer verrät uns schneller? Die ALer!" Aus Rache | |
randalierte die Szene am 1. Mai 1989 so sehr wie seit Langem nicht mehr. | |
Aber auch das Westberliner Kleinbürgertum fürchtete um seine Freiräume. | |
Erst recht, als der Senat daran ging, die vielgepriesene Freiheit der | |
Westberliner mit einem Tempolimit von 80 Stundenkilometern auf der Avus zu | |
beschneiden. Vor allem Motorradfahrer hatten die Stadtautobahn bis dahin | |
genutzt, um ihre Hondas und Suzukis ans Limit zu fahren. Das war noch nicht | |
alles. Um das Röhricht an den Havelufern zu schützen, wurde der | |
Motorbootverkehr auf dem Wannsee eingeschränkt, die Havelchaussee wegen des | |
Trinkwasserschutzes gesperrt. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Jochen Feilcke | |
wetterte gegen die "Bürgerschreckkoalition", die den Berlinern "auch die | |
letzten Bereiche selbstbestimmter Lebensfreude genommen" habe. | |
In dieser Situation kam der Fall der Mauer gerade recht. Walter Momper | |
feierte sich mit rotem Schal als Regierender Bürgermeister der Herzen, | |
Helmut Kohl wurde tags darauf vor dem Rathaus Schöneberg ausgepfiffen. Eine | |
politische Antwort auf das Zusammenwachsen der Stadt aber hatte auch der | |
rot-grüne Senat nicht. Das musste vor allem Stadtentwicklungssenatorin | |
Michaele Schreyer erfahren. Während sie auf dem Potsdamer Platz noch eine | |
Bundesgartenschau plante, betrieb die SPD den Verkauf der Flächen an | |
Daimler-Benz. Mehrfach drohte Schreyer mit Rücktritt. Sie könne es "nicht | |
billigen", dass von einem Konzern "diktiert wird", wie die Mitte der Stadt | |
auszusehen habe. | |
Auf der Kippe stand die rot-grüne Koalition also nicht erst mit der Räumung | |
der Mainzer Straße am 14. November 1990. Und bereits im Juni 1990 wurde auf | |
einem Parteitag der AL über einen Ausstieg debattiert. Nur eine | |
buchhalterische Bilanz des Abgeordneten Bernd Köppl besänftigte die | |
Koalitionsgegner: An 700 bis 800 der 1.200 Senatsentscheidungen sei die AL | |
beteiligt gewesen. Kontroversen habe es nur bei 30 Entscheidungen gegeben, | |
fünf habe die AL verloren. Am Ende stimmten 310 Mitglieder für die | |
Fortsetzung der Koalition, 190 dagegen. | |
Der alternative Pragmatismus konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die | |
AL mit dem Mauerfall ins Hintertreffen geraten war. Nicht mehr nur das | |
Westberliner Biotop galt es zu regieren, sondern eine Metropole im | |
Wartestand. Vor allem stand die Frage im Raum: Wie weiter mit der DDR? | |
Während die SPD auf Wiedervereinigungskurs ging, plädierten die meisten | |
ALer für die Zweistaatlichkeit. | |
In diesen Tagen dachte auch Momper über einen Ausstieg aus der Koalition | |
nach: Er träumte von einer absoluten Mehrheit. So kam, was kommen musste - | |
die Mainzer Straße bot den willkommenen Anlass. Zwar bemühte sich der Senat | |
um eine Verhandlungslösung für die 130 Häuser, die im "Sommer der Anarchie" | |
in Ostberlin besetzt wurden. Mit Bernd Finger schickte Rot-Grün sogar einen | |
hochrangigen Beamten in den Ostberliner Magistrat, um das Gespräch mit den | |
Besetzern zu suchen. Doch bald stellte Finger fest, "dass in die besetzten | |
Häuser immer mehr West-Berliner kamen. Damit veränderte sich die | |
Gesprächskultur." | |
Als Renate Künast, die Vorsitzende der AL-Fraktion, am 15. November 1990 | |
das Ende von Rot-Grün bekannt gab, warf sie Momper eine "unerträgliche | |
Stimmungsmache" vor. Die SPD habe geräumt, ohne Verhandlungsspielräume | |
auszuloten. Tatsächlich aber, meint Finger, sei die Räumung bereits vor den | |
Krawallen im November beschlossene Sache gewesen. "Sowohl der Magistrat als | |
auch der Senat waren sich einig, dass an der Räumung kein Weg mehr | |
vorbeiführt", sagt Finger der taz. An dieser Diskussion seien auch | |
Vertreter von Bündnis 90 und der Bürgerbewegung beteiligt gewesen. | |
So sind die Ereignisse vor 20 Jahren nicht nur rot-grüne Geschichte, | |
sondern auch Teil der rot-grünen Legendenbildung. Grün waren die Guten, Rot | |
die Bösen. Zumindest diesen Gestus hat sich die neue Spitzenkandidatin | |
bewahrt. In ihrer Antrittsrede sagte sie: "Berlin ist eine Verheißung, aber | |
seine Regierung ist eine Zumutung." | |
16 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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