# taz.de -- Twitter verkauft User-Daten: Jeder zweite Tweet wird ausgewertet | |
> Der Kurznachrichtendienst hat eine neue Einnahmequelle: Er bietet | |
> Marketingfirmen an, Tweets in Echtzeit zu sehen – in einem zur | |
> Profilbildung auswertbaren Format. | |
Bild: So geht es auch. | |
BERLIN taz | 2,5 bis vier Milliarden Dollar soll Google im Lauf des Jahres | |
2010 geboten haben, um in den Besitz des sozialen Netzwerks Twitter zu | |
kommen. Das will zumindest der "Business Insider" aus Verhandlungskreisen | |
[1][erfahren haben.] Twitter habe das Angebot als "beleidigend" abgelehnt. | |
Twitter kann es sich offensichtlich leisten, solche Angebote abzulehnen und | |
ist trotzdem auf der Suche nach signifikanten Umsätzen. Nach vier Jahren im | |
Netz könnte bald neben der [2][lange erwarteten] Werbeoffensive eine zweite | |
Geldquelle erschlossen werden, Eine, die sicherlich für Kontroversen sorgen | |
wird. Geplant ist demnach der direkte Verkauf von Nutzerbotschaften an | |
Marketingfirmen und andere Interessierte - gegen hohe Geldbeträge. | |
Wie am Mittwoch bekannt wurde, hat Twitter einen Vertrag mit dem Social | |
Media-Datenlieferanten [3][Gnip] geschlossen. Der sammelt bereits seit 2008 | |
Informationen von YouTube, Facebook und anderen populären Angeboten und | |
verkauft sie dann an Marketing- und andere interessierte Firmen. | |
So können Aktivitäten in einem sozialen Netzwerk ausgewertet werden - nach | |
bestimmten Begriffen und sogar Nutzernamen. Nützlich könnte das sein, wenn | |
ein US-Kundenservice-Unternehmen über Gnip nach Feedback zu von ihm | |
betreuten Produkten sucht oder eine Werbefirma den Erfolg von Kampagnen in | |
sozialen Netzen auswerten will. | |
Unternehmen können bereits jetzt versuchen, Twitter-Daten über die | |
verfügbaren Schnittstellen auszuwerten. Doch sind diese Möglichkeiten | |
technisch beschränkt, der Zugriff auf alle verfügbaren Informationen ist | |
definitv nicht möglich. Wer Gnip nutzt, erhält einen Premium-Zugang. 50 | |
Prozent aller bei Twitter auflaufenden öffentlichen Nachrichten landen beim | |
Kunden. | |
Das ist eine gigantische Informationsmenge. Über 500 Tweets pro Sekunde | |
werden übertragen. Um diesen "Halfhose" (Englisch für "halben | |
Feuerwehrschlauch") genannten Datenstrom zu empfangen, braucht der Kunde | |
starke Rechner und eine Leitung mit mindestens zehn Megabit pro Sekunde. | |
360.000 Dollar verlangen Twitter und Gnip für diesen Service. Dafür erhält | |
der Kunde die Daten in einem leicht auswertbaren Format, sodass er | |
Statistiken anlegen, nach Begriffen gewichten oder Profile anlegen kann. | |
Mehr Daten als dieses Paket erhalten nur die beiden Twitter-Partner | |
Microsoft und Google, die den Kurznachrichtendienst für ihre Suchmaschinen | |
direkt anzapfen und Analysten zufolge mehr zahlen. Über 3000 Tweets pro | |
Sekunde schlagen so bei denSuchmaschinenbetreibern zu Spitzenzeiten auf, im | |
Schnitt sind es 1000 pro Sekunde. | |
Wer im Twitter-Strom genaue Analysen durchführen will, muss keine 360.000 | |
Dollar in die Hand nehmen. Es geht bei Gnip auch billiger. Wem für | |
statistische Zwecke nur zehn Prozent aller Tweets ausreichen, bezahlt nach | |
einem [4][US-Medienbericht] 60.000 Dollar im Jahr ("Decahose"). Zufällig | |
ausgewählte zwei Prozent gibt es für Entwickler dagegen gratis - unter dem | |
spaßigen Namen "Spritzer". | |
Wem "Halfhose" und "Decahose" zu teuer sind, kann auch nur nach bestimmten | |
Nutzern suchen lassen. Dabei wird der gesamte Echtzeitdatenstrom nach | |
Tweets durchleuchtet, die ein Mitglied des Kurznachrichtendienstes erwähnen | |
("Mentionhose"). Gnip-Chef Jud [5][Valeski glaubt,] dass dies für Firmen | |
interessant wird, die auf Twitter ablaufende Unterhaltungen studieren | |
wollen. So könnte erfasst werden, wer die Nutzer sind, die andere Nutzer | |
beeinflussen, sowie die "Inhalte, die gerade im Trend liegen". | |
Fragt sich nur, wie die Twitterer reagieren werden, wenn sie lernen, dass | |
ihre Daten woanders zu Geld gemacht werden. Twitter hat sich in seinen | |
Nutzungsbedingungen zwar entsprechende Rechte gesichert, doch bleibt ein | |
mulmiges Gefühl. Der Gnip-Verkauf zeigt, dass alles, was man im | |
Kurznachrichtendienst öffentlich äußert, gespeichert und in Suchmaschinen | |
eingespeist werden kann. Schon als Google und Microsoft damit begannen, | |
Twitter-Nachrichten in ihren Suchergebnislisten aufzuführen, wurde das | |
einigen Nutzern schlagartig klar. Nun dürfte sich das Datenmaterial noch | |
schneller verbreiten. | |
Ein Trost bleibt, wenn auch nur ein kleiner. Die von Gnip verkauften Daten | |
berechtigen nicht zur erneuten Veröffentlichung des Materials. Ein | |
Nutzer-Profiling verbieten die Verkaufsregeln aber nicht. | |
19 Nov 2010 | |
## LINKS | |
[1] http://www.businessinsider.com/google-offered-to-buy-twitter-for-25-4-billi… | |
[2] /1/netz/netzoekonomie/artikel/1/wodka-fuer-mehr-speed/ | |
[3] http://gnip.com/ | |
[4] http://www.webpronews.com/topnews/2010/11/18/twitter-sells-data-provides-an… | |
[5] http://gnip.com/twitter | |
## AUTOREN | |
Ben Schwan | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Überwachung | |
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