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# taz.de -- Spielsucht unter Vietnamesen: Zockerhilfe für Asiaten
> Die Geldvernichtung durch Spielen ist unter Vietnamesen weit verbreitet.
> Der Verein Gangway und die Spielbank haben eigens für diese Gruppe einen
> runden Tisch eingerichtet.
Bild: Spielhöllen florieren in Berlin - auch für viele Vietnamesen werden Bes…
Maria Seifert (Name geändert) erzählt nicht gern, warum ihr vietnamesischer
Mann und nicht sie den Erziehungsurlaub für ihr zweites Kind nimmt. Auf den
Grund für das väterliche Engagement ist sie nicht stolz: Arbeitet sie, so
landet das Gehalt auf ihrem Konto. Für die junge Mutter ist das
existenziell. Ihr Mann ist spielsüchtig. "Als ich mit unserem ersten Kind
Erziehungsurlaub hatte, musste ich mit Erziehungs- und Kindergeld fast alle
Ausgaben für die Familie bestreiten", erinnert sie sich. "Manchmal hatte
ich nicht einmal Geld fürs Toilettenpapier. Wir haben die Werbung genutzt,
die im Briefkasten landete", erzählt sie. "In einem Asiaimbiss mit
Automaten verspielte er zeitweise sein ganzes Gehalt." Die junge Frau liebt
ihren Mann. Sie will ihn nicht fallen lassen. "Ich weiß, dass Spielsucht
eine Krankheit ist, ich will, dass er eine Therapie macht." Aber die
Einsicht fehle ihm. "Es ist viel, dass mein Mann inzwischen davon überzeugt
ist, dass er ein schlechter Spieler ist." Aus dieser Einsicht heraus
schloss er einen Pakt mit seiner Frau: Mit 100 Euro Spieleinsatz darf er
pro Monat sein Glück testen. Mehr gibts nicht.
Spielsucht bei Vietnamesen ist ein Thema, mit dem sich Jürgen Schaffranek
vom Streatworkerprogramm Gangway seit mehreren Monaten beschäftigt. "Wir
haben ein Projekt, das die Problemlagen mit Sucht für die großen
Migrantengruppen in dieser Stadt angehen will." Bei Vietnamesen habe sich
gezeigt, dass weniger die klassischen Süchte Alkohol und Drogen das Problem
sind, sondern Spielsucht. Seit dem Frühjahr gibt es einen runden Tisch bei
Gangway mit vietnamesischen Vereinen und Vertretern der Spielbank, um
Probleme zu analysieren und Lösungen zu suchen. "Unser Ansatz ist es, nicht
nur die Süchtigen selbst zu erreichen, sondern auch das Umfeld", sagt
Schaffranek. "Nur so können wir aufklären und präventiv tätig werden."
Glücksspiel ist laut Schaffranek in ganz Asien kulturell tief verankert.
Wer im Spiel gewinnt, gilt als erfolgreicher Mensch. Und wer nicht so
erfolgreich ist, spricht nicht darüber. Darum sind Spielsucht und
Spielschulden ein Tabuthema. Son Thach von der Vereinigung der Vietnamesen
sagt: "In der Beratung wurden wir noch nie mit dem Problem konfrontiert,
weil sich Spielsüchtige nicht von sich aus Hilfe holen." Nach Einschätzung
der vietnamesischen Vereine, die sich bei Gangway zum runden Tisch treffen,
sind vor allem ältere Jahrgänge betroffen: Familienväter und -mütter, aber
auch geschiedene Frauen, die nach Trennung und Auszug der Kinder etwas
suchen, woran sie sich festhalten können. "Erstaunt waren wir, dass auch
die Spielbank Vietnamesen bereits als Problemgruppe erkannt und sogar einen
vietnamesischsprachigen Flyer zur Prävention gefertigt hat", sagt
Schaffranek.
Clemens Haase von der Spielbank Berlin bestätigt das. "Bei uns gehören
vietnamesische Spieler aller Altersgruppen zu den von Spielsucht
gefährdeten Personen." Auffällig seien die vielen Frauen aus Fernost in der
sonst männerdominierten Spielercommunity. Nicht etwa, weil vietnamesische
Männer nicht zocken würden. Sie zocken woanders. Im Dong-Xuan-Markt in
Lichtenberg, dem größten Asiamarkt, hebt die Polizei immer mal wieder
illegal betriebene Spielcasinos aus. Hier pflegt das Who is who der
vietnamesischen Firmeninhaber Berlins seine Sozialkontakte, ähnlich wie
schwerreiche Deutsche beim Golfen. Und Zigarettenhändler versuchen ihr
schmales Einkommen zu vergrößern.
Haase: "Bei uns spielen sowohl hervorragend integrierte vietnamesische
Gäste als auch solche, mit denen die sprachliche Verständigung schwierig
ist." Die Spieler aus Fernost kämen meist in größeren Gruppen. Haase ist
Spielschutzbeauftragter der Spielbank. Zu seinem Job gehört es, Menschen,
die suchtgefährdet sind, anzusprechen und an freie Träger zu empfehlen, wo
sie Hilfe erhalten. "Gerade viele Asiaten reagieren da völlig abweisend und
uneinsichtig", sagt er. Zahlreiche Vietnamesen wären bereits für das
Glücksspiel in der Spielbank gesperrt. "Wir wissen von Kunden, dass sie
dann Gruppenfahrten nach Polen zum Spielen organisieren oder an Automaten
spielen."
Geldgewinnspielautomaten, wie sie in Restaurants, Imbissen oder in Casinos
stehen, an denen auch der Ehemann von Maria Seifert spielt, fallen nicht
unter das Glücksspielgesetz. Die Automatenindustrie hat gute Lobbyarbeit
geleistet. Suchtprävention gehört anders als in der Spielbank am Potsdamer
Platz nicht zu den Pflichtaufgaben der Betreiber. In manchen
Automatencasinos in Lichtenberg und Marzahn ist mehr als jeder zweite Kunde
ein Vietnamese.
Spielsucht ist oft unsichtbar. Die Spieler sehen nicht wie Junkies aus. "In
der Firma meines Mannes weiß niemand von seiner Sucht. Er arbeitet
ordentlich", sagt Maria Seifert. Aber die Kinder würden leiden:
beispielsweise als der Vater im Zockerrausch vergaß, ihnen zu essen zu
geben. Und die dringend benötigte größere Wohnung mit zwei Kinderzimmern
wird es so lange nicht geben, solange die Spielschulden des Vaters nicht
abbezahlt sind.
Am schwierigsten war beim runden Tisch von Gangway die Frage, wie man die
vietnamesische Community für das Thema Spielsucht sensibilisieren kann.
Gerade die älteren Jahrgänge der Vietnamesen können über deutsche Medien
kaum erreicht werden. Doch sie muss man erreichen, denn ihr Wort gilt in
der Community. Projektleiter Jürgen Schaffranek: "In unserer Arbeitsgruppe
engagiert sich der vietnamesische Studentenverein Siwi besonders stark."
Die in Deutschland aufgewachsenen Studenten sprechen hervorragend Deutsch,
sind integriert und hätten auch die Einsicht, dass Spielsucht eine
Krankheit sei und behandelt werden müsse. "Wir wollten also die Eltern über
ihre Kinder erreichen."
Ein Unding in konfuzianistisch geprägten Kulturen. Denn ein Sohn oder eine
Tochter, der oder die den Eltern einen guten Rat geben will, gilt unter
traditionell gesonnen Vietnamesen als ungehorsam. Auch von Erwachsenen wird
strikte Unterordnung unter Ältere erwartet. "Die Studenten leben in zwei
Welten: Draußen sind sie gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft. In
der Familie müssen sie sich unterordnen", erklärt Schaffranek. Und dass die
Kinder in Deutschland so gut integriert sein, disqualifiziert sie in den
Augen traditioneller Eltern eher: Sie sind so schlechte Vietnamesen,
bringen den Alten nicht den nötigen Respekt entgegen.
Die Alternative zur direkten Hilfe durch die integrierten Kinder ist die
indirekte: Gangway produziert gemeinsam mit vietnamesischen Studenten ein
Aufklärungsvideo. "Das soll in den Asiamärkten und vietnamesischen
Restaurants in hauseigenen Videokanälen gezeigt werden", so Schaffranek.
Auch Kummerkästen will man dort in Kürze aufstellen. Dort können Menschen
anonym ihre Sorgen in ihrer Muttersprache loswerden. Nicht nur zum Thema
Spielsucht. Auch Erfahrungen mit Fremdenfeindlichkeit und dergleichen
können sie loswerden.
23 Nov 2010
## AUTOREN
Marina Mai
Marina Mai
## TAGS
Vietnam
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