# taz.de -- Kämpfer in Somalia: Fit für den Krieg mit deutschem Geld | |
> Im somalischen Bulo Hawo bekämpfen sich Islamisten und regierungstreue | |
> Truppen, die Menschen sind geflohen: Was das mit der Bundesregierung zu | |
> tun hat. | |
Bild: Die somalische Regierung hat nicht mal die Hauptstadt Mogadischu voll im … | |
NAIROBI taz | Wenn es einen Inbegriff des Niemandslandes gibt, dann muss es | |
so aussehen wie die staubige Dornbuschsavanne, die den Norden Kenias vom | |
benachbarten Somalia trennt. In dem unwirtlichen Grenzstreifen östlich von | |
Mandera, Kenias letztem Vorposten hier, sind selbst zu friedlicheren Zeiten | |
nur wenige Händler unterwegs, die Gemüse oder Getreide in die somalische | |
Grenzstadt Bulo Hawo bringen. Im Moment aber trauen auch sie sich nicht | |
dorthin: denn in Bulo Hawo wird gekämpft. | |
"Nach allen Informationen, die ich dort bekomme, ist die Lage unverändert | |
angespannt", weiß Emmanuel Nyabera vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Der | |
60.000-Einwohner-Ort ist praktisch menschenleer. "Die Bewohner sind | |
geflohen, viele über die Grenze nach Kenia", bestätigt Achmed Mohammed | |
Yusuf, einer der Ältesten von Bulo Hawo. Niemand möchte ins Kreuzfeuer von | |
Islamisten und regierungstreuen Truppen geraten. | |
Und doch fristen mehr als 7.500 Flüchtlinge ihr Dasein derzeit in | |
Schussweite von Bulo Hawo entfernt. Sie kampieren im Niemandsland, seit | |
Kenias Polizei ihnen ein Ultimatum gestellt hat. "Die Polizisten haben den | |
Flüchtlingen ein paar Stunden gegeben, um wieder nach Somalia zu | |
verschwinden", weiß Nyabera. Erst hieß es, die Flüchtlinge - vor allem | |
Frauen und Kinder - könnten in einem zehn Kilometer entfernten | |
Flüchtlingslager untergebracht werden. | |
"Aber dann gab es die Ansage: Schickt die Somalis zurück dahin, wo sie | |
herkommen, es ist sicher genug dort", so Nyabera. Dort, wo die Flüchtlinge | |
sich jetzt befinden - weder in Somalia noch in Kenia -, kann ihnen niemand | |
helfen: Nach Völkerrecht sind sie derzeit weder intern vertrieben noch auf | |
der Flucht, so dass sich weder das UNHCR noch der somalische rote Halbmond | |
zuständig fühlen. Weil jederzeit neue Kämpfe ausbrechen könnten, traut sich | |
zudem niemand in die Nähe der verzweifelten Bewohner von Bulo Hawo, die | |
ohne Wasser und Nahrungsmittel unter freiem Himmel kampieren. | |
Somalias international anerkannte, militärisch aber weitgehend machtlose | |
Regierung spricht dennoch von einem Erfolg. Die Offensive unter der Führung | |
des somalischen Parlamentsabgeordneten Barre Aden Hiirale sei erst der | |
Start einer neuen Front gegen die islamistischen Shabaab-Milizen, die Bulo | |
Hawo und die umliegende Provinz Gedo seit einem Jahr kontrollieren, heißt | |
es aus dem Präsidentenpalast aus Mogadischu. Besonders stolz ist die | |
gleiche Quelle darauf, wie der Sieg errungen wurde: mit Hilfe von hunderten | |
somalischen Kämpfern nämlich, die mit deutschem Geld in Äthiopien | |
ausgebildet wurden - "zu Polizisten", wie es heißt. Befürchtungen, die für | |
Somalias Verhältnisse hervorragend ausgebildeten Sicherheitskräfte könnten | |
in den sich zuspitzenden Krieg zwischen Regierung und Islamisten verwickelt | |
werden, haben sich in Bulo Hawo offenbar bewahrheitet. | |
Nachdem der Aufenthaltsort der Polizisten nach Ende der Ausbildung | |
wochenlang unbekannt war, räumt die Bundesregierung inzwischen ein, dass | |
die für den Polizeieinsatz in Mogadischu ausgebildeten Kräfte sich - nach | |
Angaben der Übergangsregierung - in Gedo und der nordöstlich angrenzenden | |
Provinz Bakool befinden. In einer der taz vorliegenden Antwort auf eine | |
Anfrage der Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen, ob die mit deutscher | |
Hilfe ausgebildeten "Polizisten" an den Kämpfen in Bulo Hawo beteiligt | |
waren, räumt Außenstaatssekretär Werner Hoyer dies ein. "Die | |
Bundesregierung kann nicht bestätigen, dass die betreffenden Polizisten in | |
solche Gefechte verwickelt waren. Angesichts der Lage in Somalia und der | |
häufigen Angriffe auf Polizei und Sicherheitskräfte kann dies aber auch | |
nicht ausgeschlossen werden." | |
Das von der Bundesregierung zunächst mühsam aufrecht gehaltene Bild eines | |
"Polizeieinsatzes" der gut 1.000 ausgebildeten Männer in Abgrenzung zu | |
einem militärischen Einsatz ist damit endgültig dahin. Kenner Somalias | |
hatten die Unterscheidung von vornherein als absurd kritisiert: Seit fast | |
zwanzig Jahren kennt das Land nur Bürgerkrieg. "In Somalia zeigt sich, wie | |
verantwortungslos die Ausbildungs- und Ausstattungshilfe ist, mit der | |
Bundesregierung und EU weltweit Militärregime und Bürgerkriegsparteien | |
unterstützen", sagt die Abgeordnete Dagdelen. | |
Der deutsche Alleingang sorgt auch unter für Somalia zuständigen Diplomaten | |
seit Monaten für Unmut: Anstatt die Ausbildung, wie üblich, mit den UN zu | |
koordinieren, hatte Deutschland eine Million Euro aus Mitteln des | |
Auswärtigen Amtes an die äthiopische Regierung überwiesen. Äthiopien, | |
selbst Partei im somalischen Bürgerkrieg, bildete damit die gut 1.000 | |
Rekruten in einem abgelegenen Stützpunkt aus. Bis heute ist unklar, nach | |
welchen Kriterien die Rekruten ausgewählt wurden und ob internationale | |
Ausbildungsstandards eingehalten wurden. UN-Beobachter hatten mehrfach | |
vergeblich versucht, sich ein Bild von der Lage zu machen. | |
Wenn es stimmt, was der inzwischen zurückgetretene somalische Premier Omar | |
Ali Sharmake Ende September vor Journalisten in Mogadischu erklärt hat, ist | |
das Gefecht in Bulo Hawo erst der Anfang. "Wir werden eine zweite Front im | |
Süden eröffnen", so Sharmake. Die gut 1.000 mit deutschem Geld | |
ausgebildeten Kämpfer würden gemeinsam mit 2.000 kenianischen | |
Spezialeinheiten strategische Ziele angreifen. Dazu gehöre auch die | |
Hafenstadt Kismayo, wo die Shabaab nach Ansicht von Analysten mit Schmuggel | |
die Millionen einfährt, die sie zur Finanzierung des Kampfes gegen die | |
Regierung braucht. | |
"Wir werden diese ausländisch ausgebildeten Truppen bis Ende des Jahres | |
einsetzen, um die Islamisten schnell zu schwächen", versicherte Sharmake | |
damals. Sein Nachfolger als Premier, der US-Bürger Mohammed Abdullahi | |
Mohammed, hat sich zu der geplanten Offensive bislang noch nicht geäußert. | |
Doch obwohl Mohammed eine neue Politik verspricht - erstmals in der | |
jüngeren Geschichte wurde ein Kabinett aus Technokraten statt aus | |
Clan-Hierarchen gebildet -, steht außer Zweifel, dass sein erstes Ziel ist, | |
die Islamisten zu besiegen. | |
Die im Ausland ausgebildeten Spezialkräfte könnten sich dabei wegen ihrer | |
guten Ausbildung als eine Art Trumpf im Konflikt erweisen - allerdings | |
nicht zwangsläufig für Mohammeds Regierung, sondern für denjenigen, der | |
besser bezahlt. Bislang, so gab schon Mohammeds Vorgänger Sharmake zu, | |
bezahlt die Übergangsregierung ihre Soldaten bestenfalls unregelmäßig. | |
"Manche kriegen fünf Monate lang keinen Sold", wetterte Sharmake kurz vor | |
seinem Rücktritt. "Man kann nicht erwarten, dass diese Truppen loyal ihr | |
Land verteidigen, wenn sie nicht bekommen, was sie verdienen." | |
Islamisten haben es entsprechend leicht, regierungstreue Soldaten | |
abzuwerben. Der somalische General Yusuf Hussein Osman, bis zu seinem | |
Rücktritt Ende 2009 Stabschef der somalischen Armee, weiß, dass immer mehr | |
regierungstreue Truppen samt kompletter Ausrüstung desertieren oder | |
zumindest ihre Waffen an den Feind verkaufen. "Die Regierungsarmee ist die | |
wichtigste Waffenquelle für die Islamisten", glaubt Osman. "Unbezahlte | |
Soldaten lassen sich von ihnen leicht bestechen." | |
Dabei könnte die Gefahr von Überläufern mit vergleichsweise wenig Geld | |
gebannt werden: Der Sold beträgt gerade einmal 100 US-Dollar pro Monat, | |
nicht einmal 75 Euro. Bilden die UN somalische Sicherheitskräfte aus, | |
zahlen sie den Sold, um zu verhindern, dass ihre Hilfe sich ins Gegenteil | |
verkehrt. Die Bundesregierung hingegen weigert sich bis heute, für die von | |
Deutschland ausgebildeten Männer zu bezahlen - und das, obwohl sie sich in | |
einem Abkommen mit den UN dazu verpflichtet hat. | |
"Die betreffenden Polizisten werden noch nicht von Deutschland bezahlt", | |
sagt Außenstaatssekretär Hoyer. Die Umsetzung setze "die Rückkehr der | |
Polizisten nach Mogadischu voraus, die bislang nicht geschehen ist". | |
Tatsächlich rechnet niemand, auch nicht die für Somalia zuständige deutsche | |
Botschaft in Nairobi, damit, dass die "Polizisten" je nach Mogadischu | |
kommen werden. Über Land ist die Stadt unmöglich zu erreichen. Und Flüge, | |
die den Sicherheitskräften die Reise ermöglicht hätten, wollte Deutschland | |
nicht bezahlen. Das nach einem taz-Bericht im Juli geschlossene Abkommen | |
zwischen Deutschland und dem UN-Entwicklungsprogramm wird deshalb von | |
vielen UN-Vertretern in Nairobi als Scheingeschäft kritisiert. | |
Die deutsche Untätigkeit könnte schwere Folgen haben. Die Islamisten der | |
Shabaab haben angekündigt, die somalische Übergangsregierung militärisch in | |
die Knie zu zwingen - mit allen Mitteln. Der Sprecher der Shabaab-Miliz, | |
Sheikh Ali Mohammed Hussein, rief vor zwei Wochen über islamistische | |
Radiosender und Zeitungen Frauen und Kinder auf, zum Sieg beizutragen. | |
"Kauft Gewehre und Munition für eure Kinder, denn der Koran sagt: Jemanden | |
für den heiligen Krieg auszurüsten ist so gut, wie selbst an ihm | |
teilzunehmen." Sheikh Hussein zufolge sollen in den vergangenen Wochen | |
bereits hunderte Frauen und Kinder in somalischen Camps zu | |
Selbstmordattentätern ausgebildet worden sein. Zwar lassen sich diese | |
Behauptungen nicht überprüfen, doch unwahrscheinlich sind sie nicht. | |
Derzeit herrscht in Mogadischu, der einzigen Stadt, wo die | |
Übergangsregierung überhaupt Gelände kontrolliert, ein militärisches Patt. | |
Fällt Mogadischu, beherrschen die Islamisten das ganze Land. Für | |
international aktive islamistische Terrorgruppen, die nach neuen Basen | |
suchen, wäre das eine fantastische Nachricht. Nach den tödlichen | |
Shabaab-Anschlägen in Uganda nach der Fußball-WM fürchten Somalias | |
Nachbarstaaten schon jetzt neue Anschläge. | |
24 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Marc Engelhardt | |
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