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# taz.de -- Debatte Krankenversicherung: Reiche Versuchskaninchen
> Private Krankenversicherungen garantieren nicht, dass ihre Mitglieder
> bestmöglich versorgt werden. Viele Untersuchungen sind nutzlos und nicht
> im Sinne der Patienten.
Bild: Viel hilft nicht viel, weder bei Medikamenten, noch bei der Versicherung.
Erfreulicherweise warnt die private Krankenversicherung mittlerweile vor
sich selbst. "Labor zum Gelddrucken" titelte PKV Publik, das Magazin des
Verbands, in seiner Septemberausgabe und schimpfte: "Für Privatversicherte
sind die Pro-Kopf-Ausgaben in der Labormedizin fünfmal so hoch wie für
Kassenpatienten. Dieser krasse Unterschied ist medizinisch nicht zu
rechtfertigen."
Wohl aber zu erklären mit menschlicher Gier. Das Wissenschaftliche Institut
der privaten Krankenversicherung (WIP) hatte die Ausgaben für
Laborleistungen im ambulanten Sektor, gemeint sind Blut- und
Urinuntersuchungen beispielsweise, analysiert und dabei die Aufwendungen
von gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) und privater Krankenversicherung
(PKV) miteinander verglichen. Das Ergebnis: "Offensichtlich stehen hier bei
vielen Ärzten finanzielle Interessen über Patienteninteressen und
Qualitätsbewusstsein."
Aufträge selbst erteilt
Besonders auffallend: 80 Prozent der Laborleistungen wurden nicht in
medizinischen Fachlabors erbracht, sondern in der eigenen Praxis. Die Ärzte
hatten sich den Auftrag zur Laboruntersuchung selbst erteilt. "Das zeigt
eindrucksvoll, welche Fehlanreize die Gebührenordnung für Ärzte enthält",
urteilt das Magazin. "Sie führt an vielen Stellen zu medizinisch nutzlosen,
wenn nicht gar schädlichen Mengenausweitungen, die ganz und gar nicht im
Interesse der Patienten sind."
Nun sind ein paar überflüssig erstellte kleine oder große Blutbilder nicht
der Untergang des Abendlands. Aufregend bleibt aber die folgende
Erkenntnis: Eine private Krankenversicherung sichert nicht verlässlich das
Wohl der Privatversicherten.
Genau dieses Privileg, bestmöglich versorgt zu werden, glauben 9 Millionen
Menschen in Deutschland mit ihrer Mitgliedschaft in einer privaten
Krankenversicherung erworben zu haben. Sie akzeptieren dafür jährliche
Beitragssteigerungen, die jeder Beschreibung spotten: Bis zu 7 Prozent mehr
drohen vielen Privatversicherten im nächsten Jahr. Sie wähnen sich in den
besten Händen - von Chefärzten, die keineswegs immer so fürchterlich viel
besser sind als routinierte Oberärzte.
Irren sich die Privatversicherten kollektiv? Wollen sie einfach nicht den
Nutzen begreifen einer Bürgerversicherung für alle, in der Grüne, SPD und
Linke sie im Fall eines Regierungswechsels zwangsversichern wollen?
Es hat Vorzüge, privat versichert zu sein, unbestritten: die Wartezeiten
sind kürzer, der Zugang zu Spezialisten ist besser, und im Krankenhaus darf
man immer noch davon ausgehen, dass im privaten Einzelzimmer auch am
Wochenende das Blut weggewischt wird - gesetzlich Versicherte wissen da
anderes zu berichten.
Zweiklassenmedizin
Es ist legitim, die eigenen Interessen zu verteidigen, gerade wenn es um
die Gesundheit geht, das höchste persönliche Gut überhaupt. Solidarisches
Gesundheitssystem? Sozialer Friede? Wer viel hat, der hilft dem
Schwächeren? Es stimmt ja: Für den Zusammenhalt der Gesellschaft wären die
Einführung der Bürgerversicherung, die Abschaffung der Zweiklassenmedizin
sowie der damit verbundene Neid wichtig und richtig. Allein: Wer den Krebs
hat, der sieht nur das eigene Überleben gefährdet.
Insofern ist es den einzelnen Privatversicherten nicht zu verübeln, dass
sie nicht weniger egoistisch sind als der Rest der Gesellschaft. Dass sie
nicht gleich Hurra schreien, wenn es um die Einführung einer
Bürgerversicherung geht, die sie nicht nur zum Teilen ihrer Privilegien mit
Millionen anderen zwingen würde. Sondern die für einige von ihnen sogar
noch teurer würde als ihre jetzige Privatversicherung.
Nur: Die beste medizinische Versorgung kann es - in egal welchem System -
nur dann geben, wenn die Kontroll- und Sanktionsmechanismen funktionieren.
Doch im Moment versagen die auch bei den Privaten grandios. Gerade weil
Ärzte hier bei ihren Verordnungen und Therapien kaum wirtschaftlichen
Zwängen unterworfen sind, gerade weil sich hier hartnäckig die falsche
Überzeugung hält, innovativ sei gleichbedeutend mit nützlich, floriert die
Geschäftemacherei.
Im besseren Fall bekommt die Patientin ihre schlecht heilende Wunde
kostspielig vakuumversiegelt, obwohl der therapeutische Zusatznutzen nicht
nachgewiesen ist. Im schlechteren Fall aber ist der Privatversicherte an
Prostatakrebs erkrankt und wird nun ambulant bestrahlt nach der sogenannten
Brachy-Therapie. Die haben die gesetzlichen Krankenkassen aus ihrem
Leistungskatalog mittlerweile gestrichen. Zwar setzt die Bestrahlung dem
Prostatakarzinom zu. Unklar ist aber, wie stark sie die angrenzenden
Körperregionen schädigt.
Nicht auf Augenhöhe
Verfechter der privaten Krankenversicherung kontern gern, ihre Versicherten
genössen Wahlfreiheit. Kein Patient sei gezwungen, die ihm angebotenen
Therapien zu nutzen. Sagt der Arzt also, machen Sie Brachy, dann kann der
mündige Patient erwidern, nein danke, das ist mir zu riskant. Zynischer
geht es kaum. Ein Patient, insbesondere ein schwer kranker Patient,
verhandelt niemals mit seinem Arzt auf Augenhöhe, nicht mal als gebildeter
Privatversicherter.
Umso mehr ist er darauf angewiesen, dass der Arzt selbst auf dem neuesten
Stand der Wissenschaft ist und nicht blind jeder Innovation glaubt, nur
weil der Pharmavertreter seines Vertrauens ihm gerade die Vorteile
dargelegt hat - die dem Arzt entstünden, sofern er das Medikament besonders
häufig verordnete.
Systeme, und das gilt auch für die Krankenversicherung, lassen sich
reformieren, wenn die Ursachen für ihre Nachteile und Fehlanreize auch von
den Betroffenen als schädlich empfunden werden. Eine Bürgerversicherung als
Antwort auf die Übermacht der Gewinninteressen der Ärzte und der
Pharmaindustrie forderte ehemals Privatversicherten deutlich höhere
Beiträge ab. Doch paradoxerweise schützt die gelebte Solidarität die
Interessen der Besserverdienenden, weil die Bürgerversicherung die Chance
öffnet auf ein kontrolliertes, patientenorientiertes Gesundheitssystem. In
Beitragssätzen ist dieser Wert schwer zu messen.
5 Dec 2010
## AUTOREN
Heike Haarhoff
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